Die Prism-Affäre und die Internetüberwachung durch den BND

Auf der falschen Route

Das US-amerikanische Spionageprogramm Prism und das britische Überwachungsprogramm Tempora sorgen in Deutschland für Empörung. Ähnliche Machenschaften des Bundesnachrichtendienstes werden hingegen wenig beachtet.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) schlägt ernste Töne an, die SPD fordert Aufklärung, die Grünen warnen vor »Totalüberwachung«, die Linkspartei vor »Abhör- und Datensammelwut«. Publizistisch läutete Jakob Augstein die Götterdämmerung ein: Barack Obama sei »der Allmächtige«, die USA seien »ein Regime, das in dem Sinne totalitär ist, als es Anspruch auf totale Kontrolle erhebt«. Gemeinsam mit Großbritannien bedrohten sie die »nationale Sicherheit« Deutschlands.

Dabei ist nicht wirklich überraschend, was kürzlich über die Aktivitäten der britischen und amerikanischen Geheimdienste bekannt wurde. Dass nationale Spionageorganisationen notorisch Informationen sammeln, ist zwar skandalös, aber davon konnte ausgegangen werden, zumal es technisch ganz simpel ist, Daten aus dem Internet abzufangen. Der Datenverkehr an sich wird in handliche sogenannte IP-Pakete verpackt, die von einem Computer an einen anderen geschickt werden, wobei der Inhalt für die Art der Weiterleitung keine Rolle spielt. Der sendende Computer trägt die Zieladresse ein und gibt das Paket an den nächsten Router, dieser wiederum orientiert sich an der Zieladresse und schickt es an den nächsten Router. Bis ein Paket beim Empfänger ankommt, kann es 20 oder 30 Router passieren. Weil die Übertragung in diesem universalen Datennetz so kostengünstig ist, werden schon lange keine eigenen Telefonkabel mehr benutzt, um Telefongespräche weiterzuleiten. Stattdessen legen die Gespräche, in Pakete verpackt, den Großteil der Strecke im Internet zurück. Die Telekom etwa plant, bis 2018 alle Festnetztelefonanschlüsse auf VOIP umzustellen – auf Voice over IP. Auch wenn jeder Router für seine eigentliche Funktion nur die Zieladresse auswerten muss, so kann er doch auch Einblick in den Inhalt eines Datenpakets gewähren – und diesen auch kopieren. Und nicht nur das: Wenn der Datenverkehr zwischen zwei Routern über eine Satellitenverbindung läuft und nicht eigens verschlüsselt ist, was selten der Fall ist, so kann mit jeder Satellitenschüssel in passender Position und Größe dieser Datenstrom mitgelesen und für eine spätere Auswertung auch gespeichert werden.
Dass die USA den internationalen Datenverkehr über Satelliten abhören, ist nichts Neues. Schon 2001 bestätigte eine Untersuchung des Europäischen Parlaments die Existenz des Echelon-Netzwerks, das von den Nachrichtendiensten der USA, Kanadas, Australiens und Neuseelands betrieben wird. Weil damit auch Wirtschaftsspionage betrieben wurde, wurde 2004 eine der großen Anlagen in Deutschland, die Echelon Field Station 81 im bayerischen Bad Aiblingen, auf Empfehlung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses geschlossen. Doch in Darmstadt wurde eine kleinere Anlage aufgebaut und bis 2008 genutzt. Nötig sind solche Stationen aber ohnehin nur für die Überwachung des Datenverkehrs, der nicht über einen Router im Land des abhörenden Geheimdienstes geleitet wird. Einen solchen Router abzuhören, ist deutlich kostengünstiger als der Betrieb internationaler Empfangsanlagen. Da ist es selbstverständlich hilfreich, dass ein Großteil des internationalen Datenverkehrs über die USA und Kanada abgewickelt wird. Die beiden Länder bilden im Datenverkehr genauso eine Einheit wie bei den Telefonnetzen, hier sind beide Länder unter der Ländervorwahl +1 zusammengefasst. Schaut man sich die Bandbreiten an, die zwischen den Kontinenten zur Verfügung stehen, zeigt sich sofort, dass von jedem Kontinent aus die Bandbreite in die USA und nach Kanada größer ist als die Verbindungen zu allen anderen Kontinenten zusammen – außer im Fall Afrikas, das mit sehr geringen Kapazitäten datenverkehrstechnisch praktisch als Zipfel an Europa hängt.

Das Neue am US-amerikanischen Überwachungsprogramm Prism ist also eigentlich nur, dass der Geheimdienst die Daten nicht mehr mühsam zusammenstückeln muss und sich so nicht erst nach einiger Zeit ein Bild mit personenbezogener Zuordnung machen kann. Stattdessen werden die Daten bei den beteiligten US-Unternehmen einfach an der Quelle – oder beim Empfänger – komplett und in Echtzeit abgegriffen. Darüber wundern muss man sich nicht. So könnte jedes Land der Welt den Datenverkehr im Internet abhören, der über seine Router läuft. Viel internationaler Traffic wird allerdings in aller Regel nicht dabei sein, da dieser eben hauptsächlich über die USA abgewickelt wird. Trotzdem ist davon auszugehen, dass sich kaum ein Geheimdienst die Chance entgehen lassen wird, auszuspionieren, was seine Bürger im Internet treiben und welche Kontakte sie zum Beispiel ins Ausland haben.
Die öffentliche Empörung über die britische und amerikanische Internetspionage ist vor allem in Deutschland groß. So forderte Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger Anfang der Woche ihre britischen Kollegen auf, weitere Einzelheiten über das Überwachungsprogramm Tempora öffentlich zu machen. Über ähnliche Machenschaften des Bundesnachrichtendiensts (BND) ließ sie nichts verlauten. Dass der BND über den großen Knotenpunkt Frankfurt/Main den Datenverkehr überwacht, ging dafür aus einer Anfrage der Fraktion der Linkspartei im Bundestag hervor, die kryptisch damit beantwortet wurde, dass der Nachrichtendienst »infrage kommende Telekommunikationsdienstleister« auffordere, »an Übergabepunkten (…) eine vollständige Kopie der Telekommunikationen bereitzustellen, die in den angeordneten Übertragungswegen vermittelt wird«. Dass nicht nur die Kommunikation irgendwelcher strafrechtlich Verdächtiger überwacht wird, ist wahrscheinlich, denn der BND darf bis zu 20 Prozent des Fernmeldeverkehrs nach bestimmten Stichworten durchsuchen. Diese Worte, so ergibt es sich aus dem Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags für das Jahr 2011, umfassen nicht nur Begriffe aus dem Bereich des Terrorismus, sondern unter anderem auch der Bereiche Menschenhandel und Rüstung.
Eine Überraschung bot die Aufregung um Prism und Tempora aber dennoch: In der Diskussion um den Skandal der Internetüberwachung durch staatliche Stellen ging ausgerechnet die Partei unter, die sich so gern als Vorkämpferin für die Freiheit im virtuellen Raum darstellt. Gibt man in Suchmaschinen die Stichwörter Prism und Piratenpartei ein, finden sich in den großen Zeitungen und Publikationen keine Interviews und Kommentare bekannter Vertreter der Partei, sondern lediglich Hinweise auf eine Demonstration gegen den Staatsbesuch Barack Obamas in der vorigen Woche. Die Bundestagskandidatin Anke Domscheit-Berg hatte zwar eine bemerkenswerte Petition initiiert, in der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aufgefordert wurde, Obamas Auftritt vor dem Brandenburger Tor für eine strenge Rüge zu nutzen. Das Bauwerk stehe für die »Freiheit Deutschlands«, daher sei es »bittere Ironie«, dass einer der »Chefstrategen der globalen Überwachungskultur« am »Symbol für das Ende eines Überwachungsstaates« sprechen dürfe. 40 000 Menschen unterzeichneten die Petition.

Zur Demonstration gegen Obama, für die die Piratenpartei zugleich geworben hatte, erschienen etwa 75 Personen. Ihr Höhepunkt war eine Rede des Bundestagskandidaten Markus Kompa, dessen ganzer Esprit sich demjenigen am besten erschließt, der in antiimperialistischen Texten eine gewisse unfreiwillige Komik zu erkennen vermag. Einige Tage später wollte Kompa mit einer Abmahnung an den britischen Geheimdienst für Schlagzeilen sorgen. Er warf der Behörde vor, ein von ihm im Jahre 1984 geschaffenes Kunstwerk, das er dieser Tage per E-Mail an einen Journalisten versandt habe, abgefangen und gespeichert zu haben, was eine illegale Vervielfältigung künstlerischen Eigentums sei. In dem mäßig launigen Text, adressiert an die Government Communications Headquarters, »Anschrift und Faxnummer egal, kommt sowieso beim Empfänger an«, forderte Kompa die Abgabe einer Unterlassungserklärung und den Nachweis über die Vernichtung der Daten. Der große mediale Coup gelang Kompa jedoch nicht. Am Dienstag wies Google News lediglich vier Treffer in online verfügbaren Publikationen für diese Meldung aus.