Über tunesische Urteile gegen »laizistische Extremisten«

Ab in den Knast!

Die tunesische Justiz schlägt zu – gegen Jugendliche, die das Freiheitsversprechen der Revolution wörtlich nehmen.

Was ist los mit der tunesischen Justiz? Die Liste der Skandalurteile verlängert sich ununterbrochen. Vier Monate Haft ohne Bewährung erhielten drei Femen-Frauen aus Frankreich und Deutschland, die vor dem Justizpalast in Tunis eine Unterstützungsaktion für die seit dem 19. Mai in Sousse im Knast sitzende Amina Sboui, ein tunesisches Mitglied von Femen, veranstaltet hatten. Als Amina in Kairouan, wo am selben Tag tausende Salafisten einen Kongress veranstalten wollten, auf ein Friedhofsmäuerchen das Wort »Femen« taggte, wurde sie festgenommen, später wegen des Besitzes eines Tränengassprays zu einer Geldstrafe verurteilt. Aber sie sitzt weiter im Loch, wegen einer neuen Anklage, die ihr einige Jahre Haft einbringen kann. Die tunesischen Tugendterroristen verzeihen ihr nicht, dass sie Bilder von ihrem nackten Oberkörper gepostet hatte, auf dem stand: »Mein Körper gehört mir und ist nicht die Quelle von irgendjemandes Ehre.« Der Berufungsprozess gegen die drei europäischen Frauen wurde vorige Woche vertagt, sie sind weiter inhaftiert. Die Familie Aminas befürchtet angesichts dessen das Schlimmste für die Tochter.
Der Rapper Alaa Yaacoubi aka Weld al 15 bekam am 13. Juni für einen Song, in dem er unter anderem die tunesischen Polizisten als Hunde bezeichnet, zunächst zwei Jahre Haft ohne Bewährung. Nach tumultartigen Szenen nach der Urteilsverkündung hagelte es weitere Anzeigen gegen einige Rapper und die französisch-tunesische Journalistin Hind Meddeb, die ein Unterstützungskomitee für Weld al 15 gegründet hatte. Ihr zufolge riefen die Polizisten ihr nach ihrer Festnahme zu: »Weil du den Rapper Weld al 15 unterstützt, wirst du ihn im Gefängnis treffen.« In ihrer Zelle habe sie Schreie von anderen Festgenommenen gehört, die von Polizisten geschlagen worden seien. Sie kehrte nach Paris zurück und erklärte: »Gestern habe ich mein Land verlassen, weil ich kein Vertrauen in das heutige Tunesien habe«. Das Ergebnis des Berufungsverfahrens gegen Weld al 15, das am Dienstag stattfinden sollte, war bis Redaktionsschluss nicht bekannt.
Bereits im März 2012 wurden die beiden Blogger Ghazi Beji und Jabbeur Mejri, die sich als Atheisten bezeichneten, zur Maximalstrafe von je siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt, weil sie Karikaturen von Mohammed und Kommentare über ihn im Internet gepostet hatten. Jabbeur Mejri ist trotz scharfer Kritik von Amnesty International an dem Urteil weiterhin inhaftiert, einer Amnestie befand ihn der Übergangspräsident Moncef Marzouki, ein ehemaliger Menschenrechtler, Anfang dieses Jahres nicht für würdig. Ghazi Beji tauchte ab und bekam nach einer Odyssee durch diverse Länder kürzlich Asyl in Frankreich.
Fast sieht es so aus, als orientiere sich die tunesische Justiz an einem Diktum von Marzouki, der im Frühjahr wüste Drohungen gegen jene ausstieß, die er als »laizistische Extremisten« bezeichnet. Die Jugendlichen, die nicht bereit sind, sich der neuen, diesmal islamistisch inspirierten Despotie zu unterwerfen, die in Tunesien droht, bevölkern die Gefängnisse. Andere, die des »laizistischen Extremismus« unverdächtig sind, können mit Milde rechnen. Die nach der schweren Randale vor der amerikanischen Botschaft in Tunis im September 2012 Inhaftierten, zumeist als Salafisten bezeichnet, wurden wie der Rapper Weld al 15 zu zwei Jahren Haft verurteilt. Allerdings auf Bewährung.