Frank Motz im Gespräch über Habgier und die Ausstellung »To Have and Have Not« in Leipzig

»Diese Frage hat mich bisher nicht beschäftigt«

Die Kunst darf bekanntlich alles, nimmt sich aller Themen an und ist niemandem Rechenschaft schuldig. Vor unbedachten Auseinandersetzungen ist sie deshalb noch lange nicht gefeit. Frank Motz hat eine Ausstellung zum Thema Habgier kuratiert, die derzeit in der Leipziger Halle 14 zu sehen ist.

Banken in Gestalt wilder Tiere, ein Frauentorso im Pelz mit umgehängtem Davidstern, eine Videoansprache des Kurators, in der von »parasitärer Akkumulation« die Rede ist ­– die öffentlich geförderte Gruppenausstellung »To Have and Have Not« in der Leipziger Halle 14 weckt schon auf den ersten Blick die Befürchtung, hier werde die Kritik der politischen Ökonomie mit einer Melange aus negativer Anthropologie und personalisierter Schuldzuweisung verwechselt. Die Jungle World sprach mit dem Kurator Frank Motz über Antisemitismus in seiner Ausstellung.

Der Begriff Habgier ist nicht unproblematisch. Was hat Sie dazu verleitet, diesem komplexen Thema eine Ausstellung zu widmen?
Viele der Ausstellungen, die wir machen, beziehen ihre ursprüngliche Idee aus einem persönlichen Erfahrungsschatz. In diesem Fall geht es unter anderem darum, dass viele Menschen mehr besitzen, als sie ausgeben können. Sie könnten mit anderen teilen, der Gesellschaft etwas zurückgeben – sie tun es aber nicht. Dabei wäre das Abgeben maßgeblich, um zukünftige Kriege und Nöte zu verhindern. Denn Habgier, Neid und Geiz sind natürlich nicht nur wesentliche Triebfedern, sondern zugleich auch ein Hemmnis gesellschaftlicher Entwicklung. »To Have and Have Not« soll jedoch nicht den Zeigefinger auf fragwürdige menschliche Eigenschaften richten. Es geht darum, die Lust an der Habgier zu umschreiben und, wie es immer so schön heißt, auf ihre Risiken und Nebenwirkungen hinzuweisen.
Gehört Habgier Ihrer Meinung nach zur Natur des Menschen oder ist sie ein Produkt der kapitalistischen Produktionsweise?
Die jüngere Entwicklung des Kapitalismus – der totalitäre Turbokapitalismus und der Kapitalismus der Finanzkrise – hat die immer schon in der Natur des Menschen liegende Eigenschaft der Habgier verstärkt. Habgier wird ja schon in den Religionen seit Menschengedenken besprochen, bekämpft und bewältigt. Aber der Kapitalismus hat durch die Verschuldung der Verschuldung ein ganz anderes Potential bekommen. Man redet inzwischen über Dinge, die einfach nicht mehr da sind. Es wird mit Geldsummen gehandelt, die weder zu sehen sind geschweige denn materiell vorhanden wären. Ein wichtiger Punkt dabei ist die Unnachvollziehbarkeit. Ich muss niemandem mehr beweisen, dass ich das Geld wirklich habe, das ich zu mehren versuche. Wir sind in einem unsichtbaren, eigentlich unverstehbaren Bereich gelandet.
Sprechen wir über einzelne Exponate: »Don’t Beat Around the Bush« von Fabio Cifariello Ciardi ist eine audiovisuelle Rauminstallation, in der Reden von Barack Obama und George W. Bush übereinandergelegt werden. Wie interpretieren Sie diese Arbeit?
Dieser italienische Komponist hat sich immer wieder mit Auswüchsen der Habgier auseinandergesetzt, indem er etwa die Börsenkurse vertonte. Aus deren sehr komplexen Informationen, die ja eigentlich für uns heute nicht mehr zu verarbeiten sind, versuchte er, ein sinnlich erfahrbares Kunstwerk der Neuen Musik zu schaffen.
Bei »Don’t Beat Around the Bush« geht es um bestimmte Klischeebilder, die wir von beiden Präsidenten haben, und um ihre Hinterfragung: Hat sich die US-Missionspolitik unter Obama wirklich hin zu einer Politik der Generosität, dem Gegenteil von Habgier, verändert oder haben beide Präsidenten – und da sind wir wieder bei der Habgier – die prioritäre Aufgabe zu erfüllen, das Produkt US-Amerika und dessen Demokratieverständnis weltweit zu verkaufen? Der Künstler will aber statt eines Zeigefingers vor allem die Emotionen sprechen lassen und analysieren, inwieweit man Charakterzüge und Motive aus Tonfall und Sprachmelodie deuten oder, wenn man so weit gehen möchte, auch Habgier und Generosität musikalisch interpretieren kann.
Die Serie »Uniform« von Lisa Strömbeck beinhaltete eine Fotografie, auf der ein in Pelz gehüllter Frauentorso einen Davidstern trägt. Warum wurde diese Arbeit am Tag der Ausstellungseröffnung umgehängt?
Jetzt muss ich kurz überlegen. Hat es eine Umhängung gegeben?
Ja. Die Fotografie hatte einzeln gehangen und wurde mit einem anderen Bild der Serie ausgetauscht. Auf der jetzt einzeln hängenden Fotografie ist wieder ein in Pelz gekleideter Frauentorso zu sehen, diesmal ohne Accessoire.
Richtig. Die Umhängung wurde als Reaktion auf die Kritik von ein, zwei Besuchern veranlasst, die sich auf eine von der Künstlerin und uns so nicht intendierte, falsche Fährte gelockt sahen. Die Abbildung eines Davidsterns und die Hängung als Einzelbild folgten jedoch rein ästhetischen und keinen politischen oder sonstigen Erwägungen. Lisa Strömbeck weiß um das Symbol des Davidsterns, es diente ihr hier jedoch als bloßes Stück Schmuck. Dieses kulturelle Symbol liest man hierzulande offenbar zum Teil ganz anders ein als zum Beispiel in Schweden.
In seiner Arbeit »Worldprocessor« verwendet Ingo Günther illuminierte Globen, um auf verschiedene Sachverhalte aufmerksam zu machen. Einzig der Globus, der Geld zum Thema hat, ist auf Hebräisch beschriftet. Bedient die Ausstellung hier nicht ein antisemitisches Klischee?
Diese Frage hat mich, ich denke aber auch Ingo Günther, bisher nicht beschäftigt. Dass sich jemand darüber Gedanken macht, finde ich grundsätzlich gut, und dazu ist Kunst ja auch da. Warum dieser Globus in hebräischer Sprache ist, kann ich Ihnen aber nicht so genau beantworten. Aber die Nachfrage, ob hier antisemitische Interessen oder Assoziationen suggeriert werden sollen, kann ich nur verneinen! Aus Günthers Hunderten verschiedenen Globen ist diese Auswahl eine rein zufällige.
Vielfach kommen in der Ausstellung amerikanische Politiker, Banken oder Manager als Drahtzieher und Mächtige vor, die den »kleinen Mann« ausnehmen und für alles Übel verantwortlich gemacht werden. Genau diese Logik unterstützt die strukturell falsche Unterscheidung von raffendem, habgierigem Finanz- und gutem, generösem Produktionskapital. Aber ist das Problem nicht eher der Kapitalismus als strukturelles Ganzes anstatt einzelne Akteure?
Ja, sicherlich ist der Kapitalismus als Ganzes ein Hauptproblem. Er könnte aber nicht bestehen, wenn nicht im Kleinen jeder gern mitzocken würde. Es mangelt an Instinkt und gesundem Menschenverstand, eine Balance zu finden, sich nicht über den Tisch ziehen zu lassen. Ein Grund mehr für diese Ausstellung. Passt auf, Leute! Lasst euch in der Konsumgesellschaft nicht von jedem Scheiß überrumpeln.
In unserer Ausstellung soll der Diskurs immer changieren zwischen dem Einzelnen und der Frage, was er möglicherweise tun könnte, sowie dem Überbau, um mal mit Marx zu sprechen, sozusagen jenen dem Staatsapparat selbst inhärenten Habgiergelüsten.
Inwiefern kann Kunst überhaupt einen Beitrag zur Bearbeitung gesellschaftlich relevanter Themen liefern, ohne Gefahr zu laufen, gesellschaftliche Herrschaftsformen zu reproduzieren?
Wir machen nicht selten Ausstellungen zu Themen, von denen wir glauben, dass sie gesellschaftlich relevant sind und man durch die künstlerische Bearbeitung eine andere Perspektive, einen bewussteren Zugang zu jenen Themen schaffen kann. Die gesellschaftliche Funktion der Kunst und des Künstlers besteht unter anderem darin, unter Nichteinhaltung gesellschaftlicher Grenzziehungen Dinge anerkannt ausloten zu dürfen. Es ist bei weitem aber nicht so, dass wir uns als Kunstinstitution von jeglicher Kritik freigesprochen fühlen. Sonst würden wir uns jetzt auch nicht über die Behauptung angeblich antisemitischer Tendenzen innerhalb unserer Ausstellung unterhalten. Mir war das Thema im Antlitz unserer Schau zwar zunächst völlig neu und ich habe es nicht ganz ernst genommen. Dann habe ich gesehen, dass es auch interessant sein kann, sich mit diesen wiederum nicht von Stereotypen freien Anfragen auseinanderzusetzen, und genau das machen wir auch.

Interview: Anne Hofmann, Veronika Lechner, Barbara Schnalzger

To Have and Have Not. Halle 14, Leipzig. Bis 7. Juli