Der EU gilt Kroatien als »Musterschüler«

Geprüft und für reif befunden

Der Beitritt Kroatiens zur EU wurde auch von rechten Abgeordneten des Europaparlaments von Anfang an leidenschaftlich begrüßt.

So hohe Hürden, wie sie einem EU-Beitritt der Türkei – auch abgesehen von den derzeitigen Entwicklungen – im Wege stehen, musste Kroatien nicht überwinden. Denn Kroatien ist »genau so, wie sich der Heilige Vater ein katholisches Land vorstellt«. Der Katholizismus ist nicht nur als »Kraft gegen den Kommunismus lebendig«, er wird noch dazu »mit den Gefahren der Moderne leichter fertig«. So erklärte es der CSU-Europa­abgeordnete Bernd Posselt im Mai 2011 kurz vor dem Papstbesuch in Kroatien in einem Interview mit dem katholischen Nachrichtenportal vaticanista. In Posselts Phantasie gehört ein »zutiefst mitteleuropäisches« Land wie Kroatien zu einem Kerneuropa, das es auszubauen gelte. Daher setzte sich der 57jährige von Anfang an vehement für einen Beitritt des Balkanlandes zur Europäischen Union ein.

Bereits im Oktober 2001 schlossen die Mitgliedsstaaten ein Stabilisierungsabkommen mit Kroa­tien ab, vier Jahre später wurden die Beitrittsverhandlungen offiziell aufgenommen. Dies führte im Europaparlament allerdings nicht wie bei anderen Kandidaten zu kontroversen Diskussionen. Für die meisten Abgeordneten galt Kroatien trotz seiner Resistenz gegenüber angemahnten Reformen unter den EU-Anwärtern als »Spitzenreiter bei der EU-Erweiterung«. So wurde es während einer Debatte im Europaparlament vor drei Jahren formuliert.
Auch die ultrakonservativen Volksvertreter folgten dieser Sichtweise. So wie der erwähnte Bernd Posselt, für den Kroatien in einen »historisch-kulturellen Kontext mit Slowenien und Ungarn gehört«, weshalb das Land bereits gemeinsam mit diesen Ländern hätte in die EU aufgenommen werden müssen. Wie er selbst sagt, vertritt Posselt im Europaparlament neben der »Landeshauptstadt München« auch »die sudetendeutsche Volksgruppe, Bayerns vierter Stamm«. Er sieht seinen Einsatz in Südosteuropa und auf dem Balkan im direkten Zusammenhang mit seiner Heimat. Bayerns Wohlstand und Stabilität hingen maßgeblich von diesen Regionen ab, schreibt Posselt auf seiner Homepage. Ganz im völkischen Sinne beschreibt er seine Lebensaufgabe als »Kampf gegen jede Form von Nationalismus«, soweit nämlich dieser seinen ethnischen Identitätsvorstellungen entgegensteht. So offenbart er sein spezielles Verständnis von der transnationalen europäischen Idee.
Dass sich der Musterkandidat Kroatien über den gesamten Beitrittsprozess hinweg schwertat mit Korruptionsbekämpfung, Minderheitenrechten und Bemühungen um eine unabhängige Justiz, konnten die Mitgliedsländer nicht ignorieren. Gleichwohl wurde die Symbolkraft des Beitritts für die gesamte Region immer wieder beschworen. Im Frühjahr 2010 waren 28 der 35 Verhandlungskapitel abgeschlossen. »Die schwierigsten Themen sind, wie bei allen Verhandlungen, in der finalen Phase zu klären«, stellte Stefan Füle, das für die EU-Erweiterung zuständige Mitglied der Europäischen Kommision, damals fest. Als »größte noch ausstehende Herausforderungen« nannte Füle die Kapitel 8 und 23, die sich mit Justiz und Grundrechten sowie der Wettbewerbspolitik befassen. Der österreichische Abgeordnete Hannes Swoboda (SPÖ) forderte daraufhin seine Abgeordnetenkollegen auf, einmal mehr folgende Botschaft auszusenden: Wer seine »Hausaufgaben« mache, den belohne die EU mit einer Mitgliedschaft in der Union. Auch die Grünen-Abgeordnete Franziska Brantner blieb metaphorisch in der Schule. Aus einer regionalen Perspektive betrachtet, müsse Kroatien nun Klassenbester sein, »so dass seine Klassenkameraden später folgen können«.
Außerhalb des Parlaments wurde die Frage, ob Kroatien beitrittsreif sei, kritischer beurteilt. Noch im Oktober vergangenen Jahres machte die Kommission dem Land in zehn Bereichen neue Vorgaben. Doch als im Januar die kroatische Außenministerin Vesna Pusić in Brüssel vorsprach, schienen alle Forderungen bereits erfüllt. Im März genehmigte die EU den Beitritt des 28. EU-Mitgliedsstaats.

Mit den Reformen gab sich auch das Parlament zufrieden. Es bestehe kein Zweifel daran, dass das Land vollkommen bereit sei für die Mitgliedschaft, hielt der Berichterstatter des Parlaments, Libor Rouček, im April im Straßburger Plenum fest. Weitere Debatten seien »moutarde après dîner« (wortwörtlich: Senf nach dem Abendessen), also nicht nur überflüssig, sondern auch fehl am Platz, meinte Bernd Posselt. Es sei problematisch, so Posselt, dass jetzt Kollegen in manchen nationalen Parlamenten in letzter Minute suggerierten, der Beitritt Kroatiens sei eine noch offene Frage.
Dennoch bleibe auch nach dem Beitritt viel zu tun, befand so mancher Redner in Straßburg. Kroatien sei noch kein »totales Paradies auf Erden«, fiel etwa der Grünen Marije Cornelissen auf. Ernsthafte Bedenken erhob die Niederländerin aber nicht. Sie lobte vielmehr die raschen Fortschritte des EU-Kandidaten in Sachen Demokratie. Prozesse, die in den Niederlanden 40 Jahre gedauert hätten, seien in Kroatien binnen zehn Jahren abgeschlossen worden.
Getrübt wurde die Stimmung zuletzt vorwiegend durch Nachrichten, die die kroatischen Bürger nach Brüssel sandten. Etwa als sich im Januar 2012 die Zustimmung zum EU-Beitritt deutlich in Grenzen hielt. Zwar stimmten zwei Drittel der kroatischen Wähler für den Beitritt, doch nahm nur jeder zweite überhaupt an diesem Referendum teil. Noch geringer war das In­teresse, als im April dieses Jahres die ersten Europawahlen in der Geschichte Kroatiens abgehalten wurden. Nur knapp ein Fünftel der Bürgerinnen und Bürger Kroatiens gab seine Stimme ab.
Andreas Mölzer, führender Ideologe der rechten österreichischen FPÖ, der sich selbst als »nationalliberaler Kulturdeutscher« bezeichnet, stufte die Kroaten deshalb in der Debatte als »realistisch« ein. »Sie erwarten gar nicht erst, dass in der Union Milch und Honig fließen«, so Mölzer. Das »gute Abschneiden konservativer Kräfte bei den EU-Wahlen« wertete er als Zeichen dafür, »dass sich Zagreb dem übermächtigen Brüsseler Zentralismus entgegenstellen wird«.