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Wie heißt es bisweilen in unserer Branche? Genau: Die Themen liegen auf der Straße. Und manchmal liegen sie sogar vor der eigenen Haustür, so wie in der vergangenen Woche. Nach Polizeiangaben sprengten Unbekannte um vier Uhr morgens den Geldautomaten im Vorraum einer Postfiliale in unserer Nachbarschaft. Doch die findigen Maschinenbauingenieure, die mit der Konzeption solcher Automaten betraut sind, rechnen heutzutage offenbar mit allem, weshalb das Gerät als letzten Akt im Moment seiner Zerstörung die in ihm befindlichen Geldscheine mit Farbe besprühte und so unbrauchbar machte. Die Diebe ließen das wert­lose bunte Papier an Ort und Stelle zurück und flüchteten mit einem zwei Wochen zuvor gestohlenen Wagen, den sie nach derzeitigem Stand der Ermittlungen kurz darauf am Maybachufer, ebenfalls nicht allzu weit von unserer Redaktion entfernt, in Brand steckten. Ob aus Frustration über die missglückte Geldbeschaffung oder zur Vernichtung von Beweisen, ist bislang unklar.
»Cui bono?« haben wir uns jedoch als stets an der Enthüllung der Wahrheit interessierte Journalistinnen und Journalisten gefragt und Überlegungen in eine ganz andere Richtung angestellt. Schnell fiel der Verdacht auf unsere eigene Geschäftsführung. Denn der Geldautomat befand sich im selben Raum wie unser Postfach, in dem häufig unangenehme Briefsendungen von Ämtern und Anwälten landen. Was, wenn die Explosion also nicht dem Geldautomaten, sondern der Zerstörung der Postfächer samt lästigem Inhalt galt? Zudem ist seit dem Tag des Vorfalls unser Prak­tikant verschwunden. Der Fall schien klar zu sein: Die Geschäftsführung lässt den Praktikanten die hochexplosive Drecksarbeit machen, gibt ihm ein wenig Handgeld aus der schwarzen Kasse und setzt ihn in das nächste Flugzeug nach Südamerika. Was für eine Story! Leider konnten wir sie nicht mit dem entscheidenden Indiz stichhaltig machen: Die Explosion hat die Postfächer gar nicht beschädigt. Die Geschäftsführung ist nach dem letzten Stand der Erkenntnisse also unschuldig. Nur der Praktikant ist immer noch unauffindbar. Aber das ist ja auch eine Story. Und für sie müssen wir nicht einmal raus auf die Straße.