Über Proteste in Bosnien-Herzegowina

Tauwetter in Sarajevo

In Bosnien-Herzegowina demonstrieren Tausende Menschen gegen eine Politik, die Neugeborenen eine Sozialversicherung und das Reiserecht verwehrt. Manche hoffen auf einen »bosnischen Frühling«.

Berina Hamidović wurde am 17. März dieses Jahres mit einer Verbindung zwischen Speise- und Luftröhre geboren, sie konnte keine Nahrung zu sich nehmen. Nach einer missglückten Operation in Sarajevo wurde ihren Eltern von den dortigen Ärzten empfohlen, sie in Belgrad operieren zu lassen. Doch an der Grenze zu Serbien gab es Schwierigkeiten, weil die serbischen Grenzbehörden nicht über den Vorfall informiert waren und Berinas Eltern keine Reisedokumente für ihr Kind abholen konnten. Auch die Dokumente, die den Krankheitsverlauf Berinas belegten, halfen zunächst nicht. Schließlich doch im Belgrader Krankenhaus angekommen, gab es erneut Probleme. Die Behörden in Sarajevo weigerten sich, die etwa 800 Euro teure Operation zu bezahlen, weil Berina keine Sozialversicherungsnummer hatte. Sie starb am 13. Juni in Belgrad an den Folgen ihrer Krankheit. Ohne den bürokratischen Irrsinn hätte ihr Leben möglicherweise gerettet werden können.

Zu den Komplikationen kam es, weil die Regierung der teilweise autonomen Republika Srpska, dem serbischen Teilstaat Bosnien-Herzegowinas, darauf besteht, eigene Sozialversicherungsnummern herauszugeben, aus denen die »ethnische« Zugehörigkeit hervorgeht. Das bosnische Parlament verweigerte dies. Seit Februar werden Neugeborenen in Bosnien-Herzegowina keine Sozialversicherungsnummern ausgestellt, daher können sie nicht versichert werden. Einen Reisepass gibt es für diese Babys derzeit ebenfalls selten.
In Bosnien-Herzegowina sind solche Schikanen Alltag. Statt zu kooperieren, blockieren sich die bosniakischen, serbischen und kroatischen Verwaltungen gegenseitig. Dagegen regt sich derzeit Protest. Nach Berinas Tod gingen im ganzen Land wieder Tausende auf die Straßen, protestiert wird aber bereits seit dem 5. Juni. Zunächst versammelten sich einige Menschen vor dem Parlament in Sarajevo, einen Tag später standen Tausende Menschen dort. Sie halten Schilder mit Schnullern, Babyfotos und der Faust der serbischen Jugendorganisation Otpor hoch, die großen Anteil am Sturz des Regimes von Slobodan Milošević hatte. Am 6. Juni, dem bisherigen Höhepunkt der Proteste, wurden etwa 800 Menschen, darunter bosnische Parlamentarier und Mitglieder ausländischer Delegationen, die an einer Konferenz teilnahmen, stundenlang im Parlament in Sarajevo festgehalten, um sie vor »gewaltbereiten Demonstranten« zu schützen, obwohl die Proteste friedlich waren.
In Sarajevo, Tuzla, Mostar und Banja Luka gehen meist junge Menschen auf die Straße, die genug davon haben, in einem Staat zu leben, in dem es meist nur darum geht, ob man Bosniake, Serbe oder Kroate ist. Die Proteste richten sich gegen den bosnischen Staat, der Kindern grundlegende Rechte wie das auf eine medizinische Versorgung und Ausreise verwährt, wodurch Menschen sogar sterben müssen. Die Regierenden erhalten ihre Macht vor allem dadurch, dass sie Ressentiments gegen die Bürger der jeweils anderen ehemaligen Teilrepubliken schüren. Gemeinsame Investitionen sind eine Ausnahme, Kinder müssen getrennt in die Schule gehen und lernen dort, die jeweils anderen Bevölkerungsgruppen zu hassen. Statt sozialer Einrichtungen entstehen ständig neue Kirchen und Moscheen, die oftmals leerstehen.

Über 20 Jahre nach Kriegsausbruch finden sich auf der Straße nun junge Bosnierinnen und Bosnier zusammen, die genug von den Konflikten haben und verstehen, dass sie im Grunde ähnliche Schwierigkeiten haben. Das Hauptproblem ist der Hass zwischen den einzelnen Nationalitäten, der einen funktionierenden Staat unmöglich macht. Noch sind die Proteste klein, in erster Linie getragen von der gebildeten Mittelschicht. Noch ist unklar, ob dies die Geburtstagsstunde einer einheitlichen bosnischen Protestbewegung ist oder ob die Proteste schnell wieder abflauen. Soll Bosnien-Herzegowina jemals ein funktionierender Staat werden, muss dies von der Bevölkerung gegen die politische Führung durchgesetzt werden.