Über prekarisierte Alte

Maloche statt Mallorca

Immer mehr Rentner müssen jobben. Durch die derzeitige Rentenpolitik wird die Altersarmut zunehmen.

Es gibt Leute, die wollen arbeiten! So heißt es, wenn über die immer zahlreicher werdenden erwerbstätigen Rentnerinnen und Rentner gesprochen wird. Mittlerweile kann man auch im eigenen Viertel Senioren beobachten, die Kehrwagen vor sich herschieben, wie andere ihres Alters den Rollator. Sie lediglich als besonders eifrige Vertreter des deutschen Arbeitsethos zu betrachten, dürfte ihrer Situation kaum gerecht werden.

Freiwillige Rentnerarbeit ist ein Randphänomen, jede andere Annahme wäre unrealistisch. Insgesamt jobbten im Herbst 2012 in Deutschland nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit, so berichtete die Chemnitzer Freie Presse, fast eine Million Rentner. Mehr als 810 000 gingen einem Minijob nach, von ihnen war fast jeder sechste älter als 74 Jahre. 171 000 Rentner und Rentnerinnen arbeiteten in sozialversicherungspflichtigen Verhältnissen. Damit stieg die Zahl der arbeitenden Rentner innerhalb von zehn Jahren um über ein Drittel. Knapp fünf Prozent aller Altersrentner arbeiten hierzulande, fast noch einmal so viele sind auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Der Bezug von Transferleistungen, teilte die schwarz-gelbe Bundesregierung in ihrem Alterssicherungsbericht 2012 mit, liege bei sieben Prozent für Alleinstehende beziehungsweise bei vier Prozent für Paare. In Frankreich hat sich der Anteil der arbeitenden Rentner binnen sechs Jahren verdoppelt, mittlerweile liegt er bei sieben Prozent, wie eine Studie des französischen Statistik­amts Insee belegt. Der Studie zufolge antwortete die Hälfte der arbeitenden Rentner in Frankreich auf die Frage nach ihrer Motivation, ihre Rente reiche sonst nicht zum Leben. In Deutschland liegen zu solchen Fragen »keine Erkenntnisse« vor. Dass hierzulande nicht noch mehr Rentner arbeiten, erscheint schon fast verwunderlich, jede zweite Rente lag im Jahr 2012 bei lediglich 700 Euro, wie die Deutsche Rentenversicherung kürzlich bestätigte. Dabei liegen die Bezüge von Frauen deutlich unter denen von Männern, wobei im Osten der Abstand geringer und das absolute Niveau der gesetzlichen Rente allgemein etwas höher ist, aber in den seltensten Fällen durch »private Vorsorge« ergänzt wird.

Nicht nur politische Faktoren begünstigen Altersarmut, mit deren Zunahme etwa Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und Vorsitzende des Bundesvorstands der Deutschen Rentenversicherung Bund, rechnet. Auch Jürgen Faik und Tim Köhler-Rama vom Forschungsnetzwerk Alterssicherung bemängeln in ihren Anmerkungen zum Gutachten »Altersarmut« des Bundeswirtschaftsministeriums »extrem vereinfachende Annahmen über künftige Lebens- und Erwerbsverläufe«, sie rechnen mit einem »relevanten Anstieg des künftigen Altersarmutsrisikos«. Dies ergebe sich unter anderem aus der 2004 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung beschlossenen Absenkung des Rentenniveaus, das mittelfristig nur noch 43 Prozent des Durchschnittsverdienstes betragen soll, und der Anhebung der regulären Altersgrenze auf 67 Jahre, die 2007 von der großen Koalition beschlossen wurde. Zu diesen politischen Faktoren kommt der sich ausweitende Niedriglohnsektor, in dem inzwischen fast ein Viertel der Beschäftigten arbeitet.

Gerade bei den prekär beschäftigten Arbeitnehmern ist es um die Altersrente schlecht bestellt. Es fehlen hier zwei der nahezu von allen Parteien akzeptierten und propagierten »drei Stützen« der Alterssicherung: gesetzliche, betriebliche und private Vorsorge. Auch das Bundesarbeitsminis­terium sieht in seinem letzten Alterssicherungsbericht »insbesondere für Geringverdienende ein erhebliches Risiko«. Parteiintern gilt Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit ihrer Kritik allerdings als isoliert, das Gutachten des Wirtschaftsministeriums kann somit als repräsentativ für die Haltung der Regierung verstanden werden. Dort heißt es, falls das Armutsrisiko steige, was keineswegs ausgemacht sei, so sei dies allenfalls »durch negative Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt« begründet. Die Aufgabe liege demnach bei den Gewerkschaften und Unternehmen. Die entscheidende Rolle der Politik bei der Ausweitung des Niedriglohnsektors (Jungle World 15/2013) wird dabei schlichtweg ignoriert.
»Bei einem Einkommen an der Niedriglohnschwelle von 1 800 Euro (brutto, Anm. d. Red.) wären 45 Beitragsjahre für eine Rente knapp oberhalb der Sozialhilfe nötig.« Zu diesem Er­gebnis kommen Berechnungen des DGB. Um diese Schwelle zu erreichen, sind harte Auseinandersetzungen nötig – ein Mindestlohn von 8,50 Euro reicht dazu jedenfalls nicht. Das weiß man wohl auch beim DGB, weshalb man für das Aussetzen der gesetzlich vorgesehenen Beitragssenkungen plädiert und mit der Idee einer »Demographie-Reserve« ein politisches Umsteuern einfordert. Die Notwendigkeit einer anderen Rentenpolitik erkennt im Parlament naturgemäß nur die Opposition, zumal sich die Zentralgewerkschaften nicht anschicken, auch der Regierung mit Massenstreiks auf die Sprünge zu helfen. Entsprechend geringe Erwartungen konnte man deshalb an die Debatte um die Rentenpolitik stellen, die vorige Woche im Bundestag stattfand. Die Bundestagsfraktionen der Oppositionsparteien bereiten sich derzeit auf den Wahlkampf vor. So wirft die Linkspartei der Regierung den Bruch des eigenen schwarz-gelben Koalitionsvertrags vor, der die – bisher ausgebliebene – Vereinheitlichung der Rentenberechnung in Ost und West vorsieht. Beantragt wurde diese Vereinheitlichung von den Grünen, in Varianten auch von der Linkspartei und der SPD, im Bundestag scheiterten sie an der Regierungsmehrheit. Rentenpolitisch orientieren sich die Grünen mit ihrem Konzept der »Garantierente« letztlich am SPD-Modell der »Solidarrente«, die auf eine Untergrenze von 850 Euro zielt und von der Forderung der Linkspartei nur leicht überboten wird. Die Pläne einer »Lebensleistungsrente« seitens der Union sehen hingegen nur einen Aufschlag vor, der die Grundsicherung allenfalls um 15 Euro übersteigt. Rosige Aussichten für ein geruhsames Alter sind das nicht.