Jan St. Werner hat ein feines Soloalbum veröffentlicht

Ambient ohne Umgebung

Jan St. Werner ist die eine Hälfte des Elektronik-Duos Mouse on Mars. Jetzt hat er sein erstes Album unter eigenem Namen veröffentlicht.

Es ist schwierig, Jan St. Werner in einem günstigen Moment zu erwischen. Mit seiner Band Mouse on Mars tourt er regelmäßig um den gesamten Erdball, in den Tourpausen produziert er Soloplatten, Videoinstallationen und Kunstereignisse. Kein Wunder, dass er beim Interview am Telefon leichte Ermüdungserscheinungen zeigt. Am Vortag ist er zehn Stunden durch ein Unwetter ­gefahren, im Hintergrund hört man die Tochter spielen. »Im Moment wirkt es, als würde man das, was man früher in einem Jahr gemacht hat, an einem Tag machen. Aber das ist irgendwie gar nicht anstrengend, sondern beflügelnd.«
Kurz bevor in München seine erste Oper »Miscontinuum« aufgeführt wurde, ein dreistündiges Stück über Zeitverschiebungen, ist »Blaze Colour Burn« erschienen, sein neues Soloalbum. Es ist nicht sein erstes. Aber wo er sich früher hinter Pseudonymen wie Lithops oder Noisemashinetapes verbarg, tritt er nun mit eigenem Namen auf – und mit neuer Rolle. »Blaze Colour Burn« ist der Auftakt für seine »Fiepblatter«-Reihe, die mit einer Tape-Veröffentlichung und der Studioversion von »Miscontinuum« fortgesetzt wird. »Ich bin da sozusagen das Ein-Mann-Theaterstück«, beschreibt Werner seine Rolle.
»Bei ›Fiepblatter‹ agiere ich nicht als Solokünstler neben dem ganzen Mouse-on-Mars-Wahnsinn, sondern bin eben auch wie ein ­Archivar, der das Material nur zusammenstellt.« Deshalb ist das erste Album unter seinem Klarnamen doch nur zur Hälfte ein Soloalbum geworden. Anstatt wie früher seine Mitmusiker aufzunehmen und einmal quer durch das Labyrinth der digitalen Effektkette zu schicken, hat er sich diesmal darauf beschränkt, nur sanft zu manipulieren. So überraschen die Stücke gerade dann, wenn sie aus dem digitalen Signalverarbeitungsgewitter ausbrechen. Auf dem zweiteiligen »Spiazzacorale« hört man Menschen reden und im Chor singen. Es ist die Aufnahme eines acht Stunden dauernden Konzerts auf einem zentralen Platz in Umbrien. Und darum gruppieren sich alte Soundtracks von Klang- und Videoinstallationen: Verspielte Miniaturen aus Beiläufigkeit, auf wenige Synthesizermotive reduziert, die meistens ins Nirgendwo entgleiten. Keine Musik für Flughäfen, auch nicht für imaginäre Filme – Ambient ohne Umgebung. »Eigentlich ist in den Stücken selbst schon alles hybrid«, sagt Werner, »weil man nicht mehr genau nachvollziehen kann, ob das jetzt so eingespielt wurde und an welchen Orten es stattgefunden hat.«
Ein Ort, an dem Jan St. Werner sich in den vergangenen Monaten häufiger aufgehalten hat, ist der Münchner Kunstverein. Mehrere Monate inszenierte er hier »Das Asymmetrische Studio«, ein Zusammentreffen unterschiedlicher Künstler mit ihm und seiner Musik. »Das ›Asymmetrische Studio‹ ist eine Art Gedankenwelt, in der ganz disparate Elemente recht rau collagiert werden und trotzdem ganz selbstverständlich nebeneinander und miteinander existieren – eine Art modernes Cabaret Voltaire.«
Es ist nicht die erste Kollaboration dieser Art. 2004 stellten Mouse on Mars eine Ausstellung in der Düsseldorfer Kunsthalle zusammen, die vor allem aus Werken von Freunden und Mitstreitern bestand, die sich von der Musik der Düsseldorfer inspirieren ließen. Aber in München ging es um Zusammenarbeit. An einem Abend unterhielt sich Werner dort mit dem Neue-Musik-Komponisten Helmut Lachenmann, dann spielte er mit dem brasilianischen Candomblé-Ensemble Black Manual ein Stück, in dem traditionelle Trommelelemente aus der Voudou-Religion auf die sehr abstrakten und harschen softwaregenerierten Sounds von Jan St. Werner trafen.
Die Annäherung verschiedener E-Musiken – egal ob säkulare Neue Musik oder religiöse Trommelei – ist dabei typisch für die Herangehensweise von Jan St. Werner: »Es stellen sich immer wieder diese Momente ein, in denen es so konkret, nachvollziehbar und direkt funktioniert, dass es keine Schulen, keine Codes und keine Übersetzung mehr gibt.« Was zunächst esoterisch klingt, beinhaltet als nachvollziehbare Methode eine Art elektronischen Free Jazz für jedermann, inklusive der Beschäftigung mit Software-Interfaces. Mouse on Mars haben im vergangenen Jahr eine iPhone-App mit Samplefunktion programmieren lassen, in München stellte der russische Musikwissenschaftler Andrej Smirnov elektronische Musikinstrumente aus der Frühzeit der Sowjetunion vor. »Da steckt wahnsinnig viel Musiktechnologie drin, das waren die Anfänge von Touch-Interfaces«, erzählt Werner. »Damals entstanden zahlreiche Ein-Mann-Erfinderbüros von Leuten, die dachten: ›Wir erfinden jetzt den neuen Menschen.‹ Kunst und Musik – alles musste neu, aber vom Menschen modulier- und veränderbar sein.«
Modulation, Interface – diese Begriffe hallen nach aus einer Zeit um die Jahrtausendwende, als die Demokratisierung der Musikproduktionsmittel qua Digitalisierung der Musik auf der Tagesordnung stehen sollte. Mouse on Mars und damit auch Jan St. Werner waren damals Teil eines Netzwerks aus unabhängigen Musikern und Labels, die den neuen Möglichkeiten auch die Chance auf eine größere Autonomie sahen. Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. In der digitalen Musikökonomie sind die Künstler weiterhin das schwächste Glied der Verwertungskette, vielleicht sogar schwächer als noch vor 15 Jahren. Zwar steht in fast jedem Durchschnittshaushalt genügend Digitaltechnik, um problemlos ein vollständiges Album aufnehmen zu können, aber der große musikalische Sprung nach vorne ist ausgeblieben.
Ist der wuselige Musiker Jan St. Werner nicht doch vielmehr der Figur des Kurators ähnlich, wie er im Kunstbetrieb in den vergangenen Jahren dominant geworden ist? Eine Art nomadischer Kulturmanager – immer gut vernetzt, von Institution zu Institution wechselnd und sich dabei selbst zur Marke stilisierend. Der Künstler-Kurator als Vorreiter projektbasierter Arbeitsformen in der »regulären« Ökonomie? Und sind Ereignisse wie eine einmalige Kollaboration mit Künstlern in einer Kunstinstitution nicht auch typisch für Popmusik geworden, seit der Tonträger an Wichtigkeit verloren hat und stattdessen Acts wie das Londoner Elektronik-Duo Hype Williams Auftritte zur Kunst- und Theaterperformance stilisieren?
Aber würde man die Geschichte so erzählen, man täte den Beteiligten Unrecht. Denn warum sollte man etwas ändern, nur weil der Kulturbetrieb heute eher so funktioniert, wie es Jan St. Werner und sein Umfeld seit gut 20 Jahren tun, als aus einem Kölner Freundeskreis nicht nur Mouse on Mars, sondern auch der A-Musik-Laden samt Vertrieb hervorging? Vielleicht reicht es einfach, einen Tick besser vernetzt zu sein als die professionellen Netzwerker und zum Beispiel eine Oper mit unbekannten Noisemusikern aufzuführen, weil man sie lieber mag, statt etablierte Geräuschmusikmarken zu präsentieren. Nach links und rechts zu schauen und dabei die wechselnden Subversionskonjunkturen des Kunstbetriebs einfach zu ignorieren und sich stattdessen so zwischen Bildender Kunst, Theorie, Videoinstallation und Musik zu vervielfältigen, bis kein Markenkern mehr erkennbar ist. »Ich frage mich nicht mehr: ›Wie kriege ich das überhaupt zusammengeführt?‹« erzählt Jan St. Werner. »All diese Aktivitäten sind eher wie ein Golem. Ich hab da so lange meine Phantasmen reingesteckt, und jetzt hat sich ein Mini-Lehm-Alter-Ego entwickelt, und das rennt da jetzt noch rum und stellt sich mal hierhin und mal dorthin.«

Jan St. Werner: Blaze Colour Burn (Thrill Jockey)