Ashkan Khorasani im Gespräch über den Hungerstreik der Flüchtlinge in München

»Ein Hungerstreik ist kein Scherz«

Der 24jährige Ashkan Khorasani war während des Hungerstreiks der Flüchtlinge in München (Jungle World 27/13) Sprecher der Asylsuchenden. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) behauptete, die Verhandlungen seien an der »kompromisslosen, radikalen Positionierung dieses Rädelsführers« gescheitert, die Hungerstreikenden seien »von Khorasani instrumentalisiert worden«. Der Münchener Bürgermeister Christian Ude (SPD) sprach von einer »Kommandostruktur« und sagte, Khorasani habe »das Leben anderer Menschen eingesetzt zum Zweck, politische Ziele zu erreichen«. Khorasani floh als kommunistischer Oppositioneller aus dem Iran. Seit vergangenem Jahr ist er als politischer Flüchtling in Deutschland anerkannt.

Was halten Sie von den Vorwürfen, die Christian Ude und Joachim Herrmann gegen Sie erhoben haben?
Das ist die älteste Politikerstrategie: Zuerst macht man eine einzelne Person oder Gruppe für einen Protest verantwortlich und danach dämonisiert man sie mit Hilfe von Gerüchten. Deshalb sind die Forderungen der Asylsuchenden jetzt fast vergessen worden, man redet vor allem über meine Person, mein Englisch, meinen Bart. Leider versucht man auch, mich aufgrund solcher Anschuldigungen vor Gericht zu bringen.
Ihnen wird unter anderem vorgeworfen, die Flüchtlinge für Ihre Zwecke instrumentalisiert zu haben.
Ich halte den Vorwurf der Instrumentalisierung für geradezu paranoid: Als ob es da eine Person oder Gruppe gäbe, die die eigentlich unpolitischen Flüchtlinge manipulieren und alles organisieren würde. Eine einzelne Person oder Gruppe kann so einen Protest überhaupt nicht organisieren. Außerdem erscheinen in dieser Sichtweise die Beteiligten als Objekte, nicht als handelnde Subjekte.
Ich dagegen meine, dass die Non-Citizens in dieser kapitalistischen Gesellschaft eine sehr problematische Stellung haben und deshalb selbstverständlich hochpolitisch sind. Als mir die Politiker in München vorwarfen, ich sei zu politisiert, und mich deshalb nicht als Gesprächspartner akzeptieren wollten, dachte ich mir: Ihr könnt froh sein, dass nicht die Asylsuchenden selbst hier sind und verhandeln! Es ist respektlos den Non-Citizens gegenüber, anzunehmen, dass sie sich instrumentalisieren ließen. Sie glauben nicht an Führerschaft.
Wie sah Ihre Rolle während des Hungerstreiks aus?
Ich kam zu den beiden Verhandlungen nur als Bote und hatte keinerlei Mandat. Um ihre Energie zu sparen, haben die Durst- und Hungerstreikenden beschlossen, mich als Boten einzusetzen. Ich war während der beiden Verhandlungen ständig mit ihnen in Kontakt: Am Mittwoch telefonierte ich während des Gesprächs mehrmals mit ihnen, am Samstag verließ ich sogar einmal die Verhandlung und bin zum Zelt zurückgegangen. Kein einziger der Hungerstreikenden hat mir danach gesagt, dass er mit meiner Arbeit nicht zufrieden gewesen wäre.
Wie verliefen die Verhandlungen aus Ihrer Sicht?
Sie waren schrecklich. Bei der ersten war ich allein, ohne eigenen Übersetzer. Die Situation war sehr ungleich. Man ließ mich nicht ausreden, schrie mich an, wollte mich nicht als Vertreter der Asylsuchenden akzeptieren. Beim zweiten Treffen kamen Hans-Jochen Vogel und Alois Glück und sagten, dass sie keinerlei politische Macht, keine Angebote hätten. Warum sind sie also gekommen? Wir sollten den Hungerstreik ohne Gegenleistung abbrechen.
Wie war die Beziehung zwischen den Non-Citizens und ihren Unterstützern in München?
Die Beziehung war sehr gut. Alle Unterstützer haben vorher den Supporter-Codex zu lesen bekommen, worin steht, dass es bei dem Protest ausschließlich um die Belange der protestierenden Non-Citizens gehen soll. Weil Unterstützer und deutsche Staatsbürger gegenüber den Non-Citizens Privilegien haben, dürfen sie sich nicht einmischen und über Ziele oder Mittel des Protests bestimmen. Es geht um die Selbstorganisation der Betroffenen.
Ist diese Selbstorganisation die Stärke der derzeitigen Bewegung?
Ja, mit Sicherheit. Und diese Selbstorganisation macht die vorhin genannten Gerüchte haltlos. Es gibt bei diesem Protest keine Führerschaft. Im Gegenteil: Wenn die Asylsuchenden Entscheidungen treffen, dann stimmen sie nicht einfach ab. Sie glauben nicht an Mehrheiten oder Minderheiten. Sie treffen sich, diskutieren, tauschen Argumente und Begründungen aus, partizipieren, treffen aktiv Entscheidungen. Sie gehen auf die Straße, kommen ins Zentrum der Gesellschaft, sogar in das Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Das ist Selbstorganisation.
Die Flüchtlinge haben in München den Begriff des Non-Citizen geprägt. Weshalb?
Die Non-Citizens haben selbst einen Begriff gewählt, mit dem sie angesprochen werden wollen. Das ist ein erster Schritt der Selbstermächtigung. Sie haben ihre Verhältnisse analysiert und diesen Begriff gefunden. Gerade durch die Praxis des Protests haben sie ihn gefunden. Ein richtiger Begriff klärt die Machtstrukturen. Und Non-Citizen drückt aus, dass das Problem nicht nur Rassismus ist. Gruppen wie Karawane oder The Voice haben nie geklärt, was ein »Refugee« eigentlich sein soll. Ein »Refugee« kann demnach ein Kapitalist sein, er kann Banken, die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, oder er kann in einem abgelegenen Flüchtlingslager sitzen. »Refugee« oder »Immigrant« sind schwache Begriffe, die die gesellschaftliche Position der Geflüchteten vollkommen außer Acht lassen. Zentral für die Situation der Non-Citizens ist in einer bürgerlichen Gesellschaft aber ihr Ausschluss aus dem Produktions-, Verteilungs- und Reproduktionssystem – und nicht unbedingt, Opfer von Rassismus zu sein.
In einer Pressemitteilung haben die Hungerstreikenden den Vergleich zu Holger Meins und Bobby Sands gezogen. Warum gerade zu diesen beiden?
Das war nicht mein Text, er kam von den Asylsuchenden. Es ging ihnen dabei nicht um die politischen Ziele von Meins und Sands. Die einzige Verbindung zwischen uns und diesen zwei Personen ist, dass auch sie einen politischen Hungerstreik mit politischen Forderungen durchführten – an dessen Ende sie jedoch starben. Jedem sollte dadurch klar werden, dass ein Hungerstreik kein Scherz ist.
Sie werden in manchen Medien als geschulter, professioneller Politiker dargestellt. Sind Sie das tatsächlich?
In diesen Tagen wird schon zu viel über mich geschrieben, ich will nicht noch weiter über mich sprechen. Ashkan ist nicht wichtig.
Eine weitere Frage zu Ihnen sei dennoch erlaubt: Seit einigen Monaten sind Sie als politischer Flüchtling anerkannt. Werden Sie den Protest weiter unterstützen?
Ich bin in einer anderen Situation als die Asylsuchenden. Ich darf arbeiten, und wenn ich den Protest verlassen will, kann ich einfach gehen. Aber wenn die Non-Citizens meine Unterstützung nützlich finden, bin ich jederzeit bereit, wieder zu helfen. Die Leute machen weiter, kämpfen weiter und sie haben in diesem Kampf meine hundertprozentige Unterstützung.