Die Regierungskrise in Portugal

Musterschüler auf Ramschniveau

Trotz Umsetzung der Sparvorgaben und Strukturreformen von Europäischer Kommission, EZB und IWF läuft es auch in Portugal alles andere als gut.

Politische Stabilität ist erste PIIGS-Pflicht. Nachdem in Portugal der kleinere Koalitionspartner, die konservative Volkspartei (PP), gegen den Ministerpräsidenten Pedro Passos Coelho von der sozialdemokratischen Partei PSD – trotz ihrer konservativen Programmatik bezeichnet sich die größte liberale Partei des Landes als sozialdemokratisch – den Aufstand geprobt hatte, ist nun wieder Ruhe eingekehrt. Der Außenminister und Vorsitzende des PP, Paolo Portas, hatte offensichtlich aus Angst vor dem völligen Bedeutungsverlust seiner Partei in der vergangenen Woche das Amt des Außenministers niedergelegt und mit dem Bruch der Koalition gedroht, sollte Passos Coelho nicht einen »Wachstumskurs« einschlagen. Nach einer Woche Regierungskrise hat der PP den Streit nun zumindest in personeller Hinsicht gewonnen. Portas selbst ist nach seinem »unwiderrufbaren Rücktritt« zum stellvertretenden Vorsitzenden des Kabinetts befördert worden und soll zukünftig die Verhandlungen mit den Gläubigern Portugals führen. Zudem wird sein Parteifreund António Pires de Lima als Wirtschaftsminister Álvaro Santos Pereira vom PSD ablösen. Wie wenig ernst der politische Umschwung des PP zu nehmen war – Passos Coelho hatte nicht zu Unrecht Portas’ Coup als »infantilen Akt« bezeichnet –, zeigte sich, als nach der Einigung beide Parteien übereinstimmend verkündeten, dass der Austeritätskurs der Regierung auch bis zu den Neuwahlen in zwei Jahren unbedingt fortgeführt werden müsse, um »griechische Verhältnisse« zu vermeiden.
Vorausgegangen waren der Einigung Interventionen der EU. Kommissionspräsident José Manuel Barroso, selbst ehemaliger Ministerpräsident des Landes und Mitglied der PSD, hatte »mit großer Beunruhigung« auf die Verhältnisse in Portugal hingewiesen und an das »Verantwortungsbewusstsein aller Parteien und ihrer Anführer« appelliert, den bisherigen Kurs fortzusetzen. Politische Instabilität »wäre katastrophal für das portugiesische Volk, umso mehr, als es erste Anzeichen für eine wirtschaftliche Erholung gibt«, sagte Barroso. Wirtschaftskommissar Olli Rehn hatte eine rasche Stabilisierung verlangt, die »die Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Erfolg schaffen« solle. Der Vorsitzende der Euro-Gruppe, Jeroen Dijsselbloem, wollte gar politische Sanktionen gegen das Land nicht ausschließen, das 2011 insgesamt 78 Milliarden Euro zu je einem Drittel aus EU-Krediten, Garantien aus dem Euro-Rettungsfonds EFSF und vom Internationalen Währungsfonds (IWF) erhalten
hatte und für das die nächste Rate in Höhe von 2,8 Milliarden Ende Juli fällig wird. Sein Aufruf, dass Portugal »seiner Verantwortung gerecht zu werden« habe, verhallte denn auch nicht ungehört.

Dabei galt Portugals Regierung als Musterschüler unter den südeuropäischen Krisenstaaten. Deutschlands Regierungssprecher Steffen Seibert hatte noch in der Regierungskrise die »Verlässlichkeit« des Kabinetts Passos Coelhos ausdrücklich gelobt, das in den vergangenen beiden Jahren nicht nur innerhalb der EU als loyaler Unterstützer der deutschen Austeritätspolitik galt, sondern dessen Krisenmanagement das Defizit des ärmsten Landes Westeuropas auch »an den Wurzeln« gepackt habe. Was er damit meint, hatte zuletzt der zunächst vom portugiesischen Verfassungsgericht blockierte, dann aber doch nur unwesentlich überarbeitete Haushaltsentwurf für das nächste Jahr bewiesen, der die Staatskasse um insgesamt 4,8 Milliarden Euro, immerhin fast fünf Prozent der Ausgaben, entlasten soll. Zu dem Plan gehören die Ausdehnung der Wochenarbeitszeit von Beamten von 35 auf 40 Stunden, die Streichung von 30 000 Stellen im öffentlichen Dienst sowie die Anhebung des allgemeinen Renteneintrittsalters von 65 auf 66 Jahre.
»É uma pessoa boa demais«, hatte Francesco Franco, Wirtschaftsprofessor an der Universidade Nova in Lissabon, begeistert im vorigen Jahr die ersten Initiativen der neuen Regierung unter Passos Coelho kommentiert: »Ein zu guter Mensch.« Gemeint war nicht etwa, dass der konservative Ministerpräsident es mit seinen Mitmenschen gut meine, sondern dass er über die Anforderungen der sogenannten Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und IWF in seinen Bemühungen, Portugal konkurrenzfähig zu machen, noch hinausgegangen war. Die Durchsetzung von Sparpaketen, Privatisierungen, Kürzungen beim Arbeitslosengeld, die
Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 23 Prozent und die weitere Reduzierung der Löhne und Verlängerung der Arbeitszeit im öffentlichen Dienst –
allesamt Maßnahmen, die bereits die sozialistische Regierung unter José Sócrates (Jungle World 41/2010) auf den Weg gebracht hatte – sowie die Abschaffung von Feiertagen wie Fronleichnam, Mariä Himmelfahrt, dem Gedenktag für die Loslösung von Spanien und dem für die Ausrufung der Republik, haben das Haushaltsdefizit im vergangenen Jahr von 9,8 auf 4,5 Prozent sinken lassen. Es sei Zeit, »die faulen und manchmal selbstbezogenen Verhaltensweisen« zu ändern, hatte der Ministerpräsident verkündet. Dennoch konnte die Staatsverschuldung nur um etwa drei Milliarden auf etwas über 200 Milliarden Euro gesenkt werden, das sind immer noch etwa 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Arbeitslosenquote war zuletzt auf 17,8 Prozent gestiegen. Der IWF kam zu der Einschätzung, dass für das laufende Jahr von einem weiteren Einbruch der Wirtschaft um etwa 2,5 Prozent auszugehen sei.

Es scheint, als bestätige sich die Vorhersage Mohamed El-Erians, des Präsidenten des weltgrößten Anleihe-Investors Pimco, der den Weg Portugals zu einem zweiten Griechenland bereits im vergangenen Jahr als »alternativlos« beschrieben und von der EU eine wachstumsorientierte Politik für das Land gefordert hatte. Die Politik in Portugal und die der EU sind aber nach wie vor gegensätzlich. »Portugal hat wesentlich bessere Chancen, die Krise zu überwinden, als Griechenland«, hatte Klaus Schrader vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) entgegen El-Erians Auffassung behauptet, als er im Januar 2012 eine 70seitige Analyse der portugiesischen Wirtschaft vorstellte, die nicht nur der deutschen Regierung Hoffnungen auf eine »Gesundung« des »kranken Mannes« im äußersten Südwesten Europas machte, sondern auch die Basis für die Politik der Troika darstellt. »Es geht jetzt darum, den Standort so aufzupolieren, dass er wieder Investoren anlockt«, forderte Schrader.
Die Ansicht, dass Portugal, dessen Außenhandelsbilanz in diesem Jahrtausend immer negativ war und der Defizit zumeist an die zehn Prozent betrug, ein konkurrenzfähiges Mitglied der EU werden könnte, ist begründet in den günstigeren Voraussetzungen im Vergleich zu Griechenland. Neben dem Tourismus gelten vor allem die in den neunziger Jahren in Portugal entstandenen Industrien im Bereich der Autozulieferer und der Elektrotechnik als international konkurrenzfähig, ganz im Gegensatz zur Agrarwirtschaft, die die geringste Produktivität in der Euro-Zone aufweist. In Setúbal steht die größte und modernste Papierfabrik Europas. Und sogar über einen Weltmarktführer verfügt das Land im Gegensatz zu Griechenland: Auf der Suche nach Hoffnungsschimmern in Südeuropa war die Zeit 2011 auf die Firma Petratex aus Carvalhosa gestoßen, die im Bereich der Schwimmanzugtechnik als »innovativster Betrieb« der Welt galt. Schade nur, dass das Internationale Olympische Komitee deren Anzüge mit Auftrieb mittlerweile verboten hat. Trotzdem gilt die Textilindustrie Portugals, die immerhin 20 Prozent ihres Umsatzes mit derartigen High-Tech-Textilien macht, weiterhin als entscheidend bei allen Planungen. Die weitgehende Abschaffung des Kündigungsschutzes, die geplante Übernahme des deutschen Modells der dualen Ausbildung und die Senkung der Löhne – der monatliche Durchschnittsverdienst ist auf weniger als 1 100 Euro brutto gesunken – lassen zumindest einige Investoren jubilieren. »Es sind in erster Linie die Ärmsten, deren Einkommen in der Krise am stärksten gesunken sind«, vermeldete die Investmentbank Credit Suisse, um zwar auf die daraus resultierende Instabilität hinzuweisen, aber gleichzeitig Portugal ihren Kunden schmackhaft zu machen.

Wie fragil und von der allgemein gerühmten Stabilität der politischen Führung Portugals abhängig der »Konsolidierungskurs« des Staats letztlich aber ist, deutete sich in der Regierungskrise bereits an. Der portugiesische Leitindex sank am Tag nach Portas’ Rücktritt um bis zu 6,8 Prozent und lag mit 5 157,05 Punkten so niedrig wie zuletzt im November 2012. Zeitweilig war auch der Kurs der richtungweisenden zehnjährigen Staatsanleihen um knapp zwölf Prozent eingebrochen und betrug über acht Prozent. Vollständig erholt hat er sich bis heute nicht. Bei Neuausgaben muss die portugiesische Regierung mittlerweile 13,5 Prozent Zinsen gewähren – das nach Griechenland höchsten innerhalb der Euro-Zone –, um überhaupt noch an Geld zu kommen. Die Rating-Agentur Moody’s hat mittlerweile den Bonitätsstatus des Landes gleich um vier Stufen von BAA1 auf BA2 gesenkt, was »Ramschniveau« bedeutet. Zwar protestierte Passos Coelho in einer seiner ersten Stellungnahmen nach den Problemen im Kabinett, ein anderes Argument als die politische Stabilität des Landes, in dem der Kurs auch von den oppositionellen Sozialisten weiterhin unterstützt wird, fiel ihm allerdings nicht ein. So wird trotz eines Protestes von Angela Merkel an die Adresse der Rating-Agentur auch der Musterschüler weiterhin auf Bestnoten verzichten müssen.