Wie Deutschland die Zusammenführung migrantischer Familien erschwert

Die Sprache der ­Politik

Wer aus dem Ausland zu seinem Ehepartner nach Deutschland ziehen will, muss schon vor der Einreise Deutschkenntnisse nachweisen. Die EU-Kommission hat ­deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet.

Man stelle sich vor, eine, sagen wir, chilenische Ehefrau kommt in Berlin am Flughafen an, wird von ihrem Mann abgeholt, der hier bereits lebt und arbeitet, und kann nicht selbst das Taxi ­bestellen. Jedenfalls nicht, wenn der Taxifahrer kein Spanisch spricht. Sagen wir, der Taxifahrer spricht ausschließlich Deutsch, die chilenische Ehefrau hingegen kein Wort, der chilenische Ehemann erbarmt sich und erklärt dem Taxifahrer, wo er hinfahren soll. Ist das nicht ein klares Indiz für eine Zwangsehe? So ungefähr argumentierte die Bundesregierung, als sie 2007 Sprachtests für Ehegatten vor der Einreise einführte. »Schwiegerfamilien, denen die neu einwandernden Opfer von Zwangsverheiratungen nach der Einreise ausgesetzt sind, nutzen die mangelnden deutschen Sprachkenntnisse aus, um ein eigenständiges Sozialleben der Opfer zu verhindern«, hieß es in der Gesetzesbegründung. Wer keine deutsche Staatsangehörigkeit hat und mit seiner Familie in Deutschland zusammenleben will, muss also schon vor der Einreise einfache Deutschkenntnisse nachweisen.
Dabei war klar, dass es weniger darum ging, Zwangsehen zu verhindern, als vielmehr darum, Menschen mit schlechtem Zugang zu Bildung von der Migration nach Deutschland abzuhalten. Klar war auch, dass die Vorschrift nicht unbedingt in Einklang mit EU-Recht steht. Ehe und Familie sind durch das Grundgesetz, die Europäische Menschenrechtskonvention und die EU-Grundrechte-Charta geschützt. Und die EU-Richtlinie zur Familienzusammenführung sieht vor, dass Ausländer, die legal in der EU leben, Ehepartner nachholen dürfen. Deutschland ist nicht der einzige EU-Staat, der versucht, den Ehegattennachzug mit Sprachtests vor der Einreise zu erschweren. Dennoch erweist sich Deutschland hier einmal mehr als Vorreiter einer besonders repressiven Asyl- und Ausländerpolitik. Schon bei der Einführung des Dublin-Systems, mit dem Flüchtlinge auf die Mitgliedstaaten verteilt werden, hat Deutschland dafür gesorgt, dass in der Bundesrepublik möglichst wenige Asylanträge gestellt werden. Auch dass die Abschiebehaft bis zu 18 Monate betragen darf, kam auf Druck der Bundesregierung zustande. Und für die Residenzpflicht, die die Bewegungsfreiheit von Asylbewerbern auf einen Landkreis oder das Bundesland beschränkt, gibt es eine spezielle Klausel im europäischen Recht – kein anderer Mitgliedstaat sieht solche Repressionen vor.
Da ist es nicht verkehrt, wenn die Deutschen aus Brüssel hin und wieder in die Schranken verwiesen werden. Mit dem Vertragsverletzungsverfahren wird das Erfordernis von Sprachkenntnissen nun doch vor dem Europäischen Gerichtshof landen, jedenfalls wenn die Bundesregierung bei ihrer Haltung bleibt. Abzusehen war das schon lange, die EU-Kommission hatte bereits 2011 ­erklärt, dass sie die Regelung für rechtswidrig hält. Und auch das Bundesverwaltungsgericht sah ein, dass es die Vorschrift am Europäischen Gerichtshof vorlegen müsste. Bisher kam es nur deshalb nicht zu einer höchstrichterlichen Entscheidung, weil die Behörden stets im letzten Moment nachgaben. Denn dass der Gerichtshof die Regelung kippen wird, ist eigentlich schon klar.