Sexistische Ausfälle gegen Wimbledon-Finalistin Marion Bartoli

Kein »Wimbledon Babe«

Niemals zuvor wurde eine Wimbledon-Finalistin derart sexistisch angegriffen wie Marion Bartoli.

Nein, sie habe niemals von einer Model-Karriere geträumt: »Tut mir leid. Aber habe ich von einem Wimbledon-Sieg geträumt? Absolut, ja!«, konterte Marion Bartoli, die diesjährige Wimbledon-­Siegerin im Damen-Einzel, die niederträchtigen Bemerkungen über ihr Äußeres, zu denen sich der BBC-Radioreporter John Inverdale wie auch eine Reihe von Twitter-Nutzern verstiegen hatten. Inverdale sah sich kurz vor dem Match zu der Spekulation veranlasst, dass der Ehrgeiz Bartolis, der sie bis ins Wimbledon-Finale geführt hatte, ihrer mangelnden Attraktivität geschuldet sei, oder genauer: dem Umstand, dass ihr Vater, der sie trainierte, ihr zur Einsicht in diese verholfen habe: Der Reporter frage sich, »ob ihr Vater, der anscheinend die einflussreichste Person in ihrem Leben war, ihr im Alter von zwölf, 13, 14 Jahren sagte: ›Pass auf, aus dir wird nie eine Schönheit. Du wirst keine Scharapowa sein und du wirst auch nie 1,80 Meter groß werden, du wirst nie lange Beine haben, also musst du das kompensieren.‹«
Einige Twitter-Nutzer setzten noch eines drauf, für sie ist es ausgemachte Sache, dass eine ­Tennisspielerin attraktiv sein muss, um zum Sieg berechtigt zu sein. Einige pöbelten, dass Bartoli unattraktiv, eine »ugly bitch«, lesbisch und in Wahrheit ein Mann sei: »Jemand, der so unattraktiv und hässlich wie Bartoli ist, verdient es einfach nicht, zu gewinnen.« Verdient habe den Sieg vielmehr ihre unterlegene ­Gegnerin Sabine Lisicki, da sie, wie ein anderer User konstatierte, »fuckable« sei. Die besondere Perfidie dieser Äußerungen liegt, wie Nicole Selmer auf der Internet-Plattform Publikative.org anmerkte, in der Willkür dieser Zuschreibungen. Nicht nur, dass das Aussehen anstelle des Könnens das Kriterium für den Rang einer Tennisspielerin sein soll. Die Klassifizierungen in schön und hässlich, begehrenswert und ­abstoßend orientieren sich nicht einmal an einem, wie auch immer fragwürdigen, weiblichen Schönheitsideal, sondern sollen gerade in ­ihrer Beliebigkeit demonstrieren, dass es auf das Bemühen von Frauen, zu gefallen, gar nicht ankommt. Der Sexismus, der sich hier offenbarte, »ist eben deswegen so perfide, weil er unberechenbar ist und selbst den trainierten gesunden Frauenkörper, lange Haare und ein strahlendes Lächeln von einer Sekunde auf die andere als ›hässlich‹ brandmarken kann. Es geht nicht um die Bewertung von Attraktivität, es geht um die Abwertung von Frauen.«
Inverdales Mutmaßungen und das Gegeifer vieler Twitter-User sind allerdings nur die prominentesten despektierlichen Äußerungen über Bartoli. Den meisten Kommentaren zur Person der Sportlerin ist gemeinsam, dass sie zumindest unterschwellig ihr vermeintlich unvorteilhaftes Äußeres thematisieren und, damit einhergehend, auch ihren Status als »echte« Athletin in Frage stellen. Durchweg erfährt man, dass Intelligenz, Unkonventionalität, Ehrgeiz und Durchhaltewillen die herausragendsten Eigenschaften Bartolis sind. So informiert etwa schon der Wikipedia-Eintrag zu ­ihrer Person, dass ihr »ein weit über dem Durchschnitt liegender Intelligenzquotient von 175 bescheinigt« wird. Ein nach ihrem Sieg veröffentlichter Artikel des Sport-Informations-Dienstes (SID) mit dem bezeichnenden Titel »Die etwas andere Tennis-Heldin«, in dem selbstverständlich diese Information auch nicht fehlen darf, weiß außerdem, dass sie Hobby-Malerin ist, lässt den gealterten Tennis-Superstar John McEnroe zu Wort kommen, der ebenfalls bestätigt, dass »sie (…) nicht so aus(sieht), wie man sich eine Athletin vorstellt«, und präzisiert diesen Befund abschließend mit der Bemerkung, dass »sie nicht nur äußerlich eher an eine Diplom-Psychologin als an eine Wimbledon-Siegerin erinnert«.
Bei der BBC gingen nach Inverdales Äußerungen etwa 700 Beschwerden ein, woraufhin sich der Sender umgehend entschuldigte. Inverdale selbst reichte eine lauwarme Entschuldigung nach. Es tue ihm leid, falls sich Bartoli verletzt fühle. »Was ich auf ziemlich tollpatschige Art sagen wollte, war, dass Tennisspielerinnen in der Öffentlichkeit als 1,80 große Amazonen-Athletinnen wahrgenommen werden. Marion, die Wimbledon-Siegerin, bricht mit diesem Trend.« Für die BBC war der Journalist damit rehabilitiert; den Forderungen, ihn als Konsequenz dieser Äußerungen zu entlassen oder ihn zumindest als Kommentator des Herren-Finales zu ersetzen, kam sie nicht nach.
Der Fall Inverdale zeigt, dass der Sexismus ein dem Sport und seiner Rezeption immanenten Problem ist. So erweist sich auch die Forderung, Sportlerinnen sollten nicht nach ihrem Äußeren, sondern allein nach ihrer sportlicher Leistung beurteilt werden, als zu kurz greifend – ist es doch für Ideologie und Praxis des Leistungssports charakteristisch, dass Schönheit hier gleichsam eine Funktion der vom Körper versprochenen Kraft und Leistungsfähigkeit ist. Als schön und sexy gilt, wer fit, gesund, kräftig und nicht zuletzt aufgrund »natürlicher Anlagen« für Höchstleistungen in einer bestimmten Sportart vermeintlich prädestiniert ist – wobei, und hier kommt der genuine Sexismus ins Spiel, von Frauen viel eher eingefordert wird, »von Natur aus« diesem Ideal zu entsprechen und dabei noch gut auszusehen. Hier soll noch immer gelten, dass Männer ihren Körper (hand)haben, Frauen aber ihr Körper sind. Entspricht eine Athletin diesem Ideal nicht, schlägt ihr, wie der Fall Bartoli zeigt, entweder, wie in den Twitter-Kommentaren, blanker Hass entgegen, oder es werden, wie im Fall von Inverdale, aber auch der genannten scheinbar wohlwollenden Artikel, andere Eigenschaften und Fähigkeiten und die von Mentoren angeleitete Qual, die trotz angeblicher mangelnder körperlicher Eignung schließlich doch zum Erfolg geführt habe, über alle Maßen ­gelobt – was in diesem Zusammenhang nur eine vornehmere Variante der Thematisierung des angeblich ungenügenden Körpers ist. Es ist verständlich, dass eine professionelle Athletin wie Bartoli sich gegen die sexistische Abwertung ihrer Person mit dem Hinweis, sie habe nicht von einer Modelkarriere, sondern vom Wimbledon-Sieg geträumt, verteidigt. Eine Kritik des Sexismus im Sport, seiner Rezeption und Kommentierung wäre aber unzureichend ohne eine Kritik der ideologischen Momente von Sport und Sportlichkeit selbst.