Über Privatsphäre im Internet

Wie auf dem Dorf

Wer Privatsphäre im Internet haben will, muss sich selbst darum kümmern, geschützte Räume zu schaffen.
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Wer viel im Internet unterwegs ist, weiß: E-Mails sind nicht geschützt, ihr Versand gleicht dem einer Postkarte, die von jedem mitgelesen werden kann, der auf dem Weg vom Sender zum Empfänger zufällig einen Blick darauf wirft. Die Struktur des Internet war von Anfang an auf Offenheit ausgelegt. Private Räume kann man darin schaffen, aber man muss das selbst tun und sie entsprechend sichern. Viele Firmen machen das schon lange, sie verwenden etwa abgeschottete Intranets und gestatten von außen nur einen gesicherten Zugang via Virtual Private Network.
Auch Facebook und andere soziale Netzwerke bieten allenfalls die Illusion geschützter Räume. Selbst wenn man die eigenen Inhalte »nur mit Freunden« teilt, weiß man nie, wo die Daten landen. Dieser Kontrollverlust ist nicht mehr aufzuhalten, weil die Kommunikation immer stärker ins offene Netz verlagert wird. Informationelle Selbstbestimmung gilt als Grundrecht, wird aber im Internet zur Lüge, ganz als würde man in einer dörflichen Gemeinschaft leben. Aus dieser Erkenntnis ist der Begriff »Post Privacy« entstanden, der einen Zustand bezeichnet, in dem der überkommene Datenschutz nicht mehr greift. Tatsächlich handelt sich selbst angesichts ausufernder Überwachung um einen charmanten Begriff: Wenn immer mehr private, gar intime Daten frei verfügbar sind, verlieren diejenigen, die Datenmonopole errichten, ihre Macht.
Trotzdem kann das Bedürfnis nach privater Kommunikation nicht einfach so zum Verschwinden gebracht werden und selbst Verschlüsselung (siehe Disko, Seite 18) bietet keine hundertprozentige Sicherheit. Datenschutz bleibt also wichtig. Das deutsche Datenschutzrecht erweist sich angesichts der Enthüllungen um Prism als Farce. Verbraucherschützer bekämpfen Online-Shops mit Abmahnungen, weil diese eine falsche Klausel in ihren Datenschutzbestimmungen verwenden, das Opt-In-Häkchen bei Newsletter-Anmeldungen nicht richtig gesetzt ist oder ein Anbieter für seinen Webservice ein permanentes Cookie setzen möchte.
Vor denjenigen, die den Bürgerinnen und Bürger wirklich schaden können, bietet das deutsche Datenschutzrecht hingegen kaum Schutz. Wer ALG II beantragt etwa, tanzt den Datenstriptease. Arbeitgeber, die eine Überwachungskamera zuviel aufgestellt haben, werfen aufmüpfiges Personal einfach vor die Tür und zahlen das Bußgeld aus der Portokasse. Filesharer kriegen regelmäßig Post von Anwälten, während es fast unmöglich ist, gegen Trolls und Stalker in sozialen Netzwerken vorzugehen. Da passt ins Bild, dass Geheimdienste unsere Online-Kommunikation belauschen – vorgeblich um uns vor Terroristen zu beschützen, von denen eine geringere Bedrohung ausgeht als vom Straßenverkehr an einem ganz normalen Montagmorgen.
Paradoxerweise steht der Offenheit des Internet eine immer rigidere Kontrolle all unserer Lebensbereiche gegenüber. Datenschutz spielt eben keine Rolle, wenn ernsthafte politische oder ökonomische Interessen ins Spiel kommen. Prism zeigt das auf brutale Weise. Den USA wird man das nicht so schnell abgewöhnen können. Aber man kann innenpolitisch handeln: Das deutsche Datenschutzrecht muss von Grund auf erneuert werden – weg vom Schutz von Daten hin zum Schutz von Menschen.