Neubau für Sicherungsverwahrte in Berlin

Zelle oder Zimmer?

In der Berliner Justizvollzugsanstalt Tegel wird ein Neubau für Sicherungsverwahrte errichtet. Die Justizverwaltung geht davon aus, dass sie damit die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt, die Inhaftierten sehen das anders.

»Berlin kann weder Flughafen noch Knast«, so kommentiert Dieter Wurm, ein Inhaftierter in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel, den Neubau für Sicherungsverwahrte. Im Juni veranstaltete die Berliner Justizverwaltung eine Besichtigung für Vertreter der Presse. Zu sehen ist vor allem die »Baustelle im Bau«, wie der Tagesspiegel schrieb. Die Umgestaltung resultiert aus einer Reihe gesetzlicher Änderungen, die die Sicherungsverwahrung (SV) betreffen. Im Dezember 2009 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Vollzug der SV in Deutschland gerügt. Vor allem die Aufhebung der Begrenzung der SV auf zehn Jahre seit 1998 und die 2004 eingeführte Möglichkeit einer nachträglichen Anordnung zur Sicherungsverwahrung verstießen gegen die Menschenrechte.

Im Mai 2011 erklärte das Bundesverfassungsgericht nach einer Klage Betroffener die gesetzlichen Regelungen zur SV für verfassungswidrig und verpflichtete den Gesetzgeber, bis zum 31. Mai 2013 entsprechende, den Vollzug der SV neu gestaltende Regelungen zu schaffen. Er sollte ein »freiheitsorientiertes und therapiegerichtetes Gesamtkonzept« entwickeln. Der Vollzug müsse sich wegen des »Abstandsgebots« deutlich von der Strafhaft unterscheiden und so weit wie möglich »den allgemeinen Lebensverhältnissen angepasst« werden. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung im Anschluss an psychiatrische Unterbringung sei »nur unter engen Voraussetzungen« zulässig. Die seit dem 1. Juni gültigen gesetzlichen Regelungen betreffen bundesweit rund 500 Personen. Sie befinden sich in SV, weil sie auch nach der Verbüßung ihrer Strafe als gefährlich gelten.
Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) zeigte sich Ende Mai zufrieden: »Wir erfüllen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts pünktlich«, sagte er zu den in Berlin vollzogenen Änderungen. Richtlinie für den Neubau in der JVA Tegel, in dem zukünftig 60 Sicherungsverwahrte in sogenannten Zimmern untergebracht werden sollen, sei das »Abstandsgebot«, ab jetzt werde »freiheitsorientiert« verwahrt. Da das 15 Millionen Euro teure Gebäude jedoch nicht rechtzeitig fertiggestellt werden konnte, werden die derzeit 36 Verwahrten in der Teilanstalt 5 untergebracht und erhalten dort jeweils zwei nicht verbundene Hafträume mit je 8,53 Quadratmeter. Ein Umzug in die neue Teilanstalt ist nicht vor Ende 2014 zu erwarten. Darüber hinaus, so wird beim Rundgang durch die JVA erklärt, bestehe die Ausführung des im März verabschiedeten Gesetzes darin, dass die Verwahrten bis zu vier Mal im Jahr in Begleitung von Beamten »ausgeführt« werden, zehn statt einer Besuchsstunde im Monat in Anspruch nehmen und sich – abgesehen vom Nachtverschluss zwischen 21.30 Uhr und 6 Uhr morgens – frei bewegen könnten. Außerdem gebe es einen Anspruch auf Selbstverpflegung. Zudem erhielten die Verwahrten 75 Prozent mehr Lohn als Strafgefangene, also maximal 300 Euro, und der Schlüssel der psychologischen Betreuung werde erhöht.

Eine Justizbeamtin klopft während der Presseschau an eine der Türen der Teilanstalt 5, bevor sie die Decke, die zwischen Eisentür und Zelle hängt, beiseite schiebt. Der für einen kurzen Moment zur Meinungsäußerung geladene Insasse wirkt wenig begeistert: »Fakt ist, höchstens 25 Prozent der Häftlinge hier nutzen den zweiten Raum. Es ist ein Haftraum, und es bleibt ein Haftraum. Die rechtlichen Vorgaben werden nicht erfüllt.« Christian Templiner, der Sprecher der Sicherungsverwahrten in der JVA Tegel, berichtet von einem 200 Seiten umfassenden Schreiben, das an die Verwahrten verschickt worden sei, darin seien größtenteils Strafparagraphen aufgezählt worden. Das Schreiben habe deutlich gemacht, dass das Prinzip von Einschluss und Sanktion weiter aufrechterhalten werde. »Vor diesem Fenster sind Gitter. Wir werden hier nur verarscht«, sagt der seit mehr als 30 Jahren Inhaftierte. Er klage – notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht – gegen die Unterbringung. Bereits im Dezember vorigen Jahres kritisierte die Gefangenenzeitung Der Lichtblick unter anderem die geplante Unterbringung der Sicherungsverwahrten und warnte davor, es könne zu Hungerstreik und Revolte kommen (Jungle World 2/13).
Die zahlreichen Verlegungen im Zuge der Umstrukturierung haben nicht nur Auswirkungen auf die Sicherungsverwahrten, sondern auf alle, die in Tegel inhaftiert sind. Zur allgemeinen Unruhe tragen zudem Verlegungen in die neu eröffnete JVA Heidering bei. Wurm, der selbst von Sicherungsverwahrung bedroht ist, hat inzwischen eine Verfassungsbeschwerde beim Landesverfassungsgericht wegen der »Missachtung« des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes eingereicht. Seiner Meinung nach wird das Abstandsgebot nicht eingehalten. Er geht davon aus, dass die derzeitige Unterbringung der Sicherungsverwahrten in der JVA Tegel Teilanstalt 5 gemäß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes vom Dezember 2011 verfassungswidrig sei, »weil sie im Strafvollzug untergebracht sind«. In Kenntnis der Gesetzeslage hätten verschiedene Sicherungsverwahrte der Verlegung auf den Doppelhaftraum nicht zugestimmt. Bei einer konkreten Verweigerungshandlung gegenüber dieser »Verlegung« seien unmittelbarer Zwang und disziplinarische Bestrafungen von der Einkaufssperre bis zur Unterbringung im »Bunker« angedroht worden. Auch der Neubau, sagt Wurm, sei »voll in die Knaststrukturen eingebunden«. Selbst Lisa Jani, Pressesprecherin der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, bestätigt auf Anfrage den Unmut: »Nicht immer waren die Betroffenen damit vollumfänglich einverstanden. Diese Maßnahmen waren jedoch aufgrund der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts unerlässlich.« Der Inhaftierte Hauke Burmeister, der Mitglied der Insassenvertretung in der Teilanstalt 5 und der Gesamtin­sassenvertretung der JVA Tegel ist, war vorher bereits in diversen Haftanstalten. Er schildert die derzeitige Situation in Tegel als chaotisch: »Die Teilanstalt 5 lässt sich als ›führerloses im Ozean treibendes Schiff‹ bezeichnen. Niemand ist hier an der Umsetzung irgendeiner Zielvorgabe interessiert.« Burmeister sagt, es gebe keine Leistungskontrolle im Berliner Strafvollzug. Er drängt vor allem auf ein unabhängiges Kontrollgremium, das sich aus anstaltsunabhängigen Personen zusammensetzen müsse. Journalisten werde die Anstalt ohnehin nur so präsentiert, wie sie gesehen werden soll. Die Forderung der Vertretungen, denen er angehört, sei ganz einfach: »Verfassungskonforme Unterbringung der Sicherungsverwahrten.«

Wie auch der sonstige Strafvollzug ist die Sicherungsverwahrung, beginnend mit der jeden Morgen stattfindenden »Lebendkontrolle«, mit einem »den allgemeinen Lebensbedingungen angepassten Leben« kaum zu vereinbaren. Die für die Sicherungsverwahrten angepriesenen Lockerungen machen vor allem deutlich, welche Entbehrungen im »Normalvollzug« als »normal« und wie viele Grundrechte für Inhaftierte nicht gelten. Gehandelt wird immer erst dann, wenn es nicht mehr anders geht und Gerichte auf unhaltbaren Zuständen basierende Urteile fällen – und oft auch dies nur im Rahmen des Unvermeidlichen. Das knastkritische Blog »bauluecken« schreibt dazu, dass die Kritik an derartigen Tendenzen nicht nur dazu dienen dürfe, »Fehler« und »Skandale« aufzudecken: »Das Problem ist das System des Strafens und die gesellschaftlichen Zustände, die dieses beinhaltet.«