In Griechenland werden marginalisierte Gruppen verfolgt

Jagd auf die Ausgegrenzten

In Griechenland werden Angehörige marginalisierter Bevölkerungsgruppen inhaftiert und medizinischen Zwangstests unterzogen.

Beliebt bei seinen Untergebenen ist der neue Gesundheitsminister Adonis Georgiadis nicht, Krankenhäuser kann er meistens nur unter dem Schutz zahlreicher Polizisten besuchen. Doch von solchen Protesten lässt sich das ehemalige Mitglied der ultrarechten Partei Völkische Orthodoxe Gesamtbewegung (Laos) nicht beirren, er hat die von Menschenrechtlern als rassistisch kritisierte Verordnung 39A wiedereingeführt. Diese Regelung wurde von einem seiner Vorgänger, dem Sozialisten Andreas Loverdos, im April 2012 erlassen, jedoch im Mai dieses Jahres unter internationalem Druck wieder abgeschafft, nachdem sie als Rechtsgrundlage für umstrittene Razzien genutzt worden war.
Georgiadis, bekannt für seine antisemitische Haltung, verdankt seinen Posten der durch die plötzliche Schließung der staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt ERT Mitte Juni ausgelösten Regierungskrise. Die linke Partei Dimar verließ die Koalition, die beiden verbleibenden Regierungsparteien, die konservative Nea Dimokratia, der Georgiadis nun angehört, und die sozialdemokratische Pasok, ernannten ihn zum Gesundheitsminister. Kaum im Amt, setzte er die umstrittene Verordnung 39A wieder in Kraft, kündigte allerdings an, sie solle bald durch eine neue Regelung ersetzt werden. Die Verordnung bestimmt, welche Krankheiten als Gefahr für die öffentliche Gesundheit gelten und wie diese kontrolliert werden sollen. Unter anderem mögliches, Gesundheitstests anzuordnen.
Nach Angaben von Amnesty International wurden seit vorigem Jahr Hunderte Prostituierte, Drogenabhängige, Migrantinnen und Migranten festgenommen, in Polizeistationen geschleppt und zwangsweise auf HIV untersucht, die meisten ohne eine andere Rechtsgrundlage als die Regelung des Gesundheitsministeriums. Voriges Jahr wurden persönliche Daten und Fotos von 29 Frauen, die bei unfreiwilligen HIV-Tests als HIV-positiv diagnostiziert worden waren, unter dem Vorwand des »Schutzes der öffentlichen Gesundheit« in der Presse veröffentlicht. Sie wurden in vielen Medien als »Gesundheitsbomben« und »Huren« verleumdet und der schweren Körperverletzung beschuldigt. Die meisten der Frauen wurde nach monatelanger Haft von den schweren Anschuldigungen freigesprochen. Alle sind jetzt jedoch stigmatisiert.

Die Veröffentlichung der Daten verletzt die ärztliche Schweigepflicht, doch trotz der heftigen Kritik von griechischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen geht die Regierung weiterhin gezielt gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen vor. Am stärksten betroffen sind nach wie vor papierlose Migrantinnen und Migranten, die im Rahmen der Dauerrazzia »Xenios Zeus« (Jungle World 7/2013) weiterhin verfolgt und unter unmenschlichen Bedingungen in einem der vielen neuen Haftlager oder in griechischen Polizeiwachen inhaftiert werden.
Im März begann in Athen die neue Polizeioperation »Thetis«. Dutzende Drogenabhängige wurden in der Hauptstadt festgenommen und in Amygdaleza, einem relativ neuen Haftlager für Migranten außerhalb Athens, oder in Polizeista­tionen eingegesperrt. Sie wurden registriert und medizinischen Untersuchungen unterzogen, auch ohne ihr Einverständnis, wie die griechische Presse berichtet. »Jeden Tag bringen sie uns in die Polizeistation und dann irgendwohin weit weg von Athen. (…) Diejenigen, die Geld hatten, sind zurückgekommen. Ein Mann, der kein Geld hatte, ist zu Fuß nach Athen gekommen und hat dafür eineinhalb Tage gebraucht«, erzählte ein Drogenabhängiger, der anonym blieben will, der Zeitung Efimerida ton Syntakton.

Solche Operationen tragen nicht zur Lösung des Problems bei, meinen Organisationen wie Ärzte der Welt, die im Stadtzentrum von Athen mit Streetworkern täglich Drogensüchtigen, Obdachlosen und Migranten helfen. »Es ist so, als ob jemand seine Hunde zu vertreiben versucht, die jedoch immer wieder zurückkommen«, sagt Nikitas Kanakis, Präsident der Ärzte der Welt. Er glaubt, dass es auch nicht zur sogenannten öffentlichen Ordnung beiträgt, wenn zahllose Polizisten mit den Razzien beschäftigt sind. Überdies fehle es an geeigneten Mitteln, um mit Problemfällen umzugehen. Zum Beispiel gebe es in den Polizeibussen kein ärztliches Personal für die Festgenommenen, obwohl diese oft schwere Gesundheitsprobleme haben. In Gesprächen, die die Or­ganisation mit Polizisten führte, äußerten diese ebenfalls Bedenken. »Sie sagen uns: ›Was machen wir mit diesen Menschen? Warum machen wir solch eine Operation, anstatt Verbrecher zu jagen?‹«, berichtet Kanakis.
Auch Hilfsorganisationen für Drogenabhängige kritisieren die repressiven Maßnahmen. »Wenn die Kürzungen im Gesundheits- und Sozialwesen enorm sind und wenn ständig die Probleme und Bedürfnisse wachsen, zielt das Suchen nach Sündenböcken nicht darauf ab, Erkrankungen zu bekämpfen, sondern darauf, die öffentliche Meinung von den eigentlichen Ursachen für die Situation und von deren Beseitigung abzulenken«, sagt Charalampos Poulopoulos, der Direktor von Kethea, der größten Hilfsorganisation für Drogenabhängige.
Dem Verband der HIV-Erkrankten, Thetiki Foni (Positive Stimme), zufolge wurden seit März keine neuen Transporte von Drogenabhängigen nach Amygdaleza beobachtet. Organisationen wie diese hoffen, dass durch erneute Proteste die Regelung zum zweiten Mal zurückgenommen wird, zumal die Regierung Erklärungen schuldig bleibt. »Wir warten seit 30. März 2012 auf den wissenschaftlichen Bericht der zuständigen Behörde, der erklärt, aus welchem Grund diese Gesundheitsregelung erforderlich ist. Der Staat hat bis jetzt keiner NGO den Bericht bekannt gemacht, trotz wiederholter Anfragen. Bei unsere letzte Anfrage am 12. Juli wurde uns gesagt, dass uns am nächsten Tag der Bericht überreicht wird, was nicht der Fall war«, sagt Marialena Kloka von Thetiki Foni.
Besorgniserregend ist auch die Art und Weise, wie die Polizei gegen Transsexuelle vorgeht. Nach Angaben des Fördervereins Transgender wurden seit vorigem Jahr mehr als 50 Trans­gender-Frauen festgenommen und gezwungen, sich einem HIV-Test zu unterziehen. Selbst die Anwältin der Transsexuellen, Ilektra Koutra, wurde willkürlich inhaftiert. Sie beschreibt, dass sie von Polizisten daran gehindert wurde, ihre Mandanten zu besuchen. Als sie darauf bestand und drohte, die Beamten anzuzeigen, hätten die Polizisten sie in die Zelle gelassen und dann die Tür hinter ihr geschlossen. »Du wolltest doch rein in die Zelle«, habe ihr ein Polizist gesagt und sie erst später rausgelassen.
Amnesty International rief die griechischen Behörden auf, diese willkürliche Inhaftierung zu untersuchen, die Belästigung von benachteiligten Gruppen zu beenden und sofort die Verordnung 39A abzuschaffen. Bei der HIV-Prävention müssten die Menschenrechte respektiert werden und Tests freiwillig erfolgen. Doch die Diskriminierung dauert an. In den vergangenen Wochen wurden Drogenabhängige, die sich in Therapie befanden, vor Athener Krankenhäusern festgenommen, weil Gerichtsverfahren gegen sie anhängig waren.
In Griechenland wächst der Einfluss rechtsextremer Gruppen, die Regierung bedient sich autoritärer Maßnahmen gegen benachteiligte Bevöl­kerungsgruppen. »Wenn die Polizei versucht, die Rolle der Gesundheitsstellen zu ersetzen, und diese die (ärztliche) Schweigepflicht und Deontologie im Rahmen einer ›guten Zusammenarbeit‹ mit den Staatsanwaltschaften verletzen, ist die Gefahr groß. Gestern waren es die Prostituierten, die Einwanderer, heute sind es die Drogenabhängigen«, sagt Poulopoulos. »Wer wird der nächste sein?«