Das neue Album der Fuck Buttons

Krach und Hypnose

Wenn elektronischer Noise-Pop die Massen erreicht: Das britische Duo Fuck Buttons veröffentlicht ein neues Album – und stellt sich breitbeinig auf.

Es ist ein denkwürdiger Augenblick. Im Rahmen der Eröffnungsfeierlichkeiten der Olympischen Spiele in London betritt eine Band die Bühne, die gar nicht wie eine aussieht. Sie sind zu zweit, haben keine Saiteninstrumente dabei, nur allerlei elektronisches Equipment auf einem großen Tisch ausgebreitet. Kleinteiligen Krimskrams, der mit bunten Kabeln zusammengehalten wird. Als sich ihr Song emporschraubt, wird sakraler Noise-Pop für Minuten zu einem Massenphänomen. Über eine Milliarde Zuschauer dürfen »Surf Solar« über sich ergehen lassen. Das Stück ist nicht gerade das, was Durchschnittshörer als eingängig bezeichnen dürften.
Fuck Buttons sind plötzlich Gesprächsthema. Wobei sie niemand beim Namen nennt. Zumindest nicht im britischen Radio. Lediglich »F. Buttons« kommt den Moderatoren über die Lippen, alles andere wäre wohl jugendgefährdend oder zumindest unanständig.
Natürlich könnte der immense Popularitätsgewinn im Jahre 2012 für die Entwicklung der Band mitverantwortlich sein. Fuck Buttons haben den Krach auf ihrem neuen Album »Slow Focus« reduziert, verzichten auf die Schreieinlagen und ihren genussvollen Dekonstruktivismus – auf die schrägen Elemente also, die für den Sound ihrer ersten beiden Alben prägend waren.
Der Band deshalb zu unterstellen, sich der Masse anbiedern zu wollen, wäre naheliegend. Und schlichtweg unzutreffend. Denn »Slow Focus« weist als Titel auf die anspruchsvollen Eigenheiten hin, die alle sieben Stücke des Albums bestimmen. Es geht darum, sich Zeit zu nehmen, genau und konzentriert hinzuhören. Der Linse aufmerksam zu folgen, die sich erst im Verlauf der Songs allmählich über den ineinandergeschobenen Synthesizer-Melodien scharfstellt und den Blick auf ein sonisches Gemälde offenbart. Langsam, aber nur langsam wird so deutlich, dass die lustvolle Unterwanderung von Hörgewohnheiten, die Vorliebe für klangliche Unschärfen, auch in »Slow Focus« vorhanden ist.
Wie etwa im großartig bizarren »Year of the Dog«. Der Song erinnert durch seine dissonanten und klirrend hohen Töne – sind es Geigen oder doch verfremdete Schreie? – an die körperlich herausfordernde Intensität der Orchesterwerke von Krzysztof Penderecki. Dem polnischen Komponisten gelang es, den psychischen Horror in Stanley Kubricks »The Shining« auf beispiellose Weise hörbar zu machen. Fuck Buttons können also immer noch, was ihnen die internationale Musikpresse nachsagt: den Soundtrack zur Apokalypse liefern. Wie auch immer die auch aussehen mag.
So einzigartig »Slow Focus« ist, das Album zeugt von Entwicklungen, die derzeit in vielen Bereichen elektronischer Musik anzutreffen sind. So stehen bei vielen Künstlern, seien es die testosterongetriebenen Justice oder auch der allseits gefeierte Weltschmerz-Staubsauger James Blake, Performativität und Image mehr denn je im Vordergrund. Eine Tendenz, die sich in gewisser Weise gegen Ideen richtet, die in den neunziger Jahren en vogue waren. Damals ging es darum, einen möglichst geschlechts- und gesichtslosen Sound zu kreieren, um dem Dancefloor zur kollektiven Ekstase zu verhelfen. Die Gegenwart jedoch mag mit ihren Krisen und Verunsicherungen den Hintergrund geschaffen haben für die Beliebtheit einer Musik, die mehr als individuelle Projektionsfläche denn als kollektivierendes Tanzmedium funktioniert.
Der Live-Performance kam auch bei Fuck Buttons schon immer eine besondere Bedeutung zu, sie erfüllte einen Zweck. Die Band wollte akustisch überwältigen – ein Anspruch, der sich am ehesten in der Live-Situation verwirklichen ließ. Dass sie es auf »Slow Focus« geschafft haben, ihre »Liveness« zumindest teilweise einzufangen, scheint da nur folgerichtig.
Den meisten Songs hört man ihre Produktionsweise an. Neben der Dominanz von Melodien und der damit verbundenen strengen Anordnung der harmonischen Instrumente im Klangbild, zieht vor allem die Vermeidung musikalischer Abstraktionen Konsequenzen nach sich. Fuck Buttons flirten mit rockmusikalischen Konventionen. Dies zeigen die nicht selten zu hörenden E-Gitarren sowie das echt klingende Schlagzeug, das abgesehen von den gelegentlichen Detailverzierungen wohl auch deshalb simpel gehalten ist, um es live besser umsetzen zu können. Insgesamt dominiert eine von unzähligen übereinandergeschichteten Melodien erzeugte Wall-of-Sound-Ästhetik, deren sonische Übermacht leider so manche perkussive Idee unterdrückt. Fuck Buttons stehen breitbeiniger da, sie sind dem Prinzip Rockmusik als etabliertem Ausdrucksmedium für das narzisstische Ego noch etwas nähergerückt.
Wohlgemerkt: mit mechanischer Sturheit und ohne jeden Swing. Krautrock ist bekanntlich zurück, feiert gerade ein kleines Revival und hat offensichtlich auch Fuck Buttons inspiriert. Die Band verharrt in »Slow Focus« in rhythmischen Grundmustern, wiederholt Motive, Veränderungen werden schleichend eingeführt. Das Album setzt den lahmen Liveacts, die ausschließlich auf die schnelle Triebabfuhr ihrer überarbeiteten und krisengeplagten Fans abzielen, etwas entgegen: as Changieren zwischen Live-Spektakel und Hypnose.
Apropos Hypnose – die sieben Stücke auf »Slow Focus« dürften mit einer Durchschnittslänge von acht Minuten die Aufmerksamkeitsspanne grundnervöser Menschen beachtlich übersteigen. Zumindest vor der heimischen Hifi-Anlage. Aber der Sound von Fuck Buttons entfaltet sich eh am besten auf Festivals. Ihrer generationenübergreifenden Einladung folgen Techno-Trance-Hippies und ambitionierte Moshpit-Jungspunde gleichermaßen. Der perfekte Soundtrack zum Schwelgen, Schwitzen und sich ekstatisch durch die Undercut-Mähne Fahren.

Fuck Buttons: Slow Focus. Atp (Indigo)