Über das Buch »Superhelden« von Grant Morrison

Regelmäßig die Welt retten

Der Comic-Zeichner Grant Morrison hat ein Buch über die Superstars des Genres geschrieben, in dem er erklärt, warum die ­Helden ihre Unterwäsche über hautengen Hosen tragen, und wie sie von der Atombombe profitiert haben.
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Anfang der siebziger Jahre kam ich zum ersten Mal in Kontakt mit Superhelden, die weder Mäuse noch Enten waren. An einem Kiosk, ­der mich regelmäßig mit Yps und den damals noch relativ neuen »Lustigen Taschenbüchern« versorgte, kaufte ich mir ein billig wirkendes Heftchen, das ganz am Rande des Zeitungsregals bereits einige Zeit vor sich hin zu gilben schien. »Marvel Comics« stand auf dem Titelblatt.
Als ich es zu Hause las, verstand ich kein Wort. Die Geschichten waren ganz anders gezeichnet als alles, was ich aus Entenhausen kannte. Das hier war so billig gezeichnet und hastig koloriert. Die ganze Geschichte schien nur einen Sinn zu ergeben, wenn ich mir die nächste Ausgabe auch noch kaufte. Und die übernächste. Und so weiter. Als meine Eltern das schäbige Heft entdeckten, sahen sie mich an, als hätte ich eine Neue Revue oder etwas noch Schlimmeres gekauft. Das Heft verschwand im Schrank. Weggeworfen habe ich es aber meiner Erinnerung nach nicht. Diese seltsame Comicwelt schien von einem anderen Kontinent zu stammen als dem, auf dem meine Freunde Goofy und Franz Gans lebten. Obwohl auch dieser Kontinent damals schon seit Jahrzehnten bewohnt war, und zwar von Superhelden wie Captain America, Human Torch, Spiderman und den Fantastic Four.
Wenn sich einer mit den US-amerikanischen Superstars des Genres auskennt, dann er: der schottische Comic-Autor Grant Morrison, selbst ein Superstar seiner Zunft und verantwortlich für so spektakuläre Titel wie »Batman: Arkham Asylum«, »Animal Man«, »Doom Patrol« und »New X-Men« bis zu »Superman« und »JLA – Justice League of America«.
In dem gerade erschienenen, voluminösen Band »Superhelden. Was wir Menschen von Superman, Batman, Wonder Woman & Co. lernen können« schildert er die vier großen Epochen der Superhelden, von ihrem ersten Auftauchen in den dreißiger Jahren bis heute. Ohne die Erfahrung von Weltkrieg und Atombombe, so die These des Autors, hätte der Aufstieg der Superhelden nie so rasant verlaufen können. Man brauchte Superhelden, um die traumatischen Erfahrungen verarbeiten zu können. An vielen Beispielen weist Morrison nach, dass jede gesellschaftliche Veränderung binnen kürzester Zeit in den Comics reflektiert wurde. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren wurde versucht, diese boomende neue Bilderindustrie mit einem eigenen Kodex zu bändigen, der den politischen Würgegriffen der McCarthy-Ära nicht ganz unähnlich war. Doch das erwies sich als vergeblich. Nach einer kurzen Krise, die sich in den sinkenden Verkaufszahlen der plötzlich langweiliger gewordenen Geschichten niederschlug, griff der Comic sich wieder jedes neue Phänomen, um seine Helden in Unterhosen dafür oder dagegen ins Feld ziehen zu lassen. Egal, ob die nun Hippietum oder Punk, Kalter Krieg oder Turbokapitalismus hießen.
Superman, der 1938 seinen ersten Auftritt hatte, war ein heimatloser Vertriebener vom Planeten Krypton, den ein Wissenschaftler in einem hastig gebauten Raumschiff ausgesetzt hatte, und der nach langer Irrfahrt auf der Erde landete. Er setzte modische Standards, die für Superhelden bis heute gelten. Er trug ein hautenges Sportgewand mit einem Logo auf der Brust, ein Cape um den Hals und seine Unterwäsche stets über der Hose. Sein Erfolg setzte quasi mit der ersten Ausgabe ein.
Kein Wunder, dass schon ein Jahr später sein größter Konkurrent um den Titel des populärsten Superhelden aller Zeiten auftauchte: Batman. Wenn Superman ein Sohn des Himmels mit übermenschlichen Kräften war, schien Batman genau sein Gegenstück zu sein: ein schwerreicher irdischer Geschäftsmann namens Bruce Wayne, der nachts im schwarzen Cape und ohne jegliche übermenschliche Kräfte die Unterwelt von Gotham City bekämpfte. Während Superman sein Alter Ego, den nervösen Reporter Clark Kent, stets als Maskerade benutzte, wirkte Batman/Bruce Wayne immer auch wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde. An Batmans Abenteuern arbeitete viele Jahre später auch Grant Morrison mit.
Der 1960 in Glasgow geborene Morrison hat in seinem Buch aber auch noch eine weitere Geschichte zu erzählen: seine eigene. Zunächst war das Buch als Autobiographie geplant. Doch dann stellte sich heraus, dass man die Geschichte Morrisons nicht ohne die Geschichte der Superhelden erzählen konnte, ohne die sein Leben schließlich ganz anders verlaufen wäre. Und umgekehrt ließ sich die Geschichte der Superhelden auch nicht darstellen, ohne Morrison zu erwähnen.
Von frühester Kindheit an war er von den gezeichneten Abenteuern fasziniert. Als sein Vater Ende der siebziger Jahre durch eine Affäre mit einer kaum volljährigen Friedensaktivistin die eigene Familie »explodieren ließ«, kapselte Morrison sich ab und begann selbst zu zeichnen. Binnen drei Jahrzehnten wurde er vom Nerd, der die braven Leser einer heimischen Abonnementzeitung mit wöchentlichen, blutrünstigen Rächergeschichten schockierte, zum derzeitigen künstlerischen Leiter der Batman-Comics. 2006 wurde Morrison, der über brodelnde Kreativität und ein fast zwanghaftes enzyklopädisches Wissen verfügt, vom Brancheninformationsdienst »Comic Book Resources« zum »zweitbeliebtesten Comic-Zeichner aller Zeiten« nach Alan Moore gewählt. Mittlerweile ist Morrison seit über 35 Jahren im Geschäft. Deshalb hat er auch das Recht, ganz am Ende seines Buchs grundsätzlich zu werden. »Superhelden-Storys«, fasst er zusammen, »entstehen auf dem angeblich niedrigsten Niveau unserer Kultur, aber sie enthalten alle Träume und Ängste von Generationen in anschaulichem Format. Erschaffen von Arbeitern, die zu ihrer Zeit marginalisiert, verspottet, ausgebeutet und als Sündenböcke missbraucht wurden, gelang es ihnen stets, eine direkte Verbindung zum kulturellen Unterbewusstsein und seinen Zuckungen herzustellen.« Man kann sagen, dass »Superhelden« ein herausragendes Buch für Fans der Popkultur ist. Auch deshalb, weil viele Comic-Leser sich in den Schilderungen von Morrison selbst erkennen dürften.
Die Faszination an Superhelden scheint ungebrochen. Gerade die wirklich guten Comic-Charaktere scheinen unsterblich zu sein. Superman ist gerade wieder als »Man of Steel« in den Kinos zu sehen. Heath Ledger bannte 2008 jeden Kinozuschauer im bislang letzten Batman-Film mit seiner Darstellung des irren Joker.
Gerade frage ich mich, was wohl aus dem alten Marvel-Comic geworden ist? Wenn ich mich richtig erinnere, müsste er in seinem Schrankversteck zwei Umzüge überstanden haben, bis das Möbelstück auf einem Dachboden endgelagert wurde, mit der Begründung: »Ist doch zu gut zum Wegschmeißen.« Und zwei Umzüge sollten für echte Marvel-Superhelden doch zu schaffen sein. Beim nächsten Besuch in der Heimat werde ich den Schrank mal wieder öffnen.

Grant Morrison: Superhelden. Aus dem Englischen von Paul Fleischmann. Hannibal-Verlag, Innsbruck 2013, 528 Seiten, 29,99 Euro