Talmi

Seite um Seite

Oh, was wird der Büchersommer wundersam! Am wundervollsten, so zeigen die Verlagsvorschauen, wird das literarische Debüt einer jungen Frau: »Strom«, von Hannah Dübgen, terminiert auf den August, laut DTV ein »herausragender Roman über unsere Gegenwart«. »Im Mittelpunkt«, so der Prospekt, »vier Menschen in vier Ländern, aus Berlin, Tokio, Paris und Tel Aviv«. Die Story: »Ada aus Berlin hat mit ihrer Freundin Judith einen Dokumentarfilm über das Leben im Gazastreifen gedreht. Judith aber stirbt kurz nach Fertigstellung des Films. Die junge japanische Pianistin Makiko ist nach Paris gezogen und gibt in ganz Europa Konzerte. Als sie erfährt, dass sie ein Kind erwartet, ist sie schockiert. Jason arbeitet für eine amerikanische Investmentfirma. In Tokio soll er den Kauf eines japanischen Traditionsunternehmens organisieren. Der Zoologe Luiz, der in Brasilien aufwuchs, lebt mit seiner jüdischen Frau und den zwei gemeinsamen Kindern in Tel Aviv, will aber weg aus Israel, weil er den politischen Wahnsinn im Land nicht mehr erträgt.« Wer den literarischen Wahnsinn in diesem Land noch erträgt, der wird sich sicher freuen, dass der Roman mit dem Satz »Über den Dächern von Paris lag eine düstere Wolkendecke« beginnt. Das ist bekanntlich die Königin unter den Romananfängen, und mit etwas Glück kommen auch die Sätze »Jason war fassungslos« und »Der Regen prasselte auf Makikos Gesicht« darin vor. Ich jedenfalls bin gespannt, warum Judith für ihr Gaza-Video sterben musste und wie sehr Luiz unter seiner wahnsinnigen jüdischen Frau leidet. Noch am Tage des Erscheinens werde ich es kaufen, und, eingekuschelt in meine düstere Wolkendecke, verschlingen. Seite um Seite. Mit Schokoladensoße.

Leo Fischer ist Chefredakteur des Satiremagazins Titanic.