Alarm!? Hoaxes und echte Gefahren in sozialen Netzwerken

Digitale Panik

Wie der Alarmismus in sozialen Netzwerken nervt. Und inwieweit er berechtigt ist.

Und immer wieder »Alarm« – meist mit vielen Ausrufezeichen und diversen Rechtschreibfehlern. Nutzerinnen und Nutzer von Facebook wissen an dieser Stelle schon, wovon die Rede ist: nämlich von den unermüdlich verbreiteten Warnungen vor einem – in aller Regel gar nicht existierenden – User, der Freundschaftsanfragen dazu nutze, den heimischen Computer zu hacken. Es gibt auch Warnungen vor dem sozialen Netzwerk selbst, vor der neuesten »Facebook-Schweinerei«. Letztere kann, so die Nachricht, nur dadurch abgewendet werden, dass man diesen Beitrag weiterverbreitet. Vermutet wird dabei wohl, dass bei dem Unternehmen Facebook zigtausende Beschäftigte nur daran arbeiten, jeden Tag zu überprüfen, wer diese Meldung geliket hat.
Manchmal sind diese »Alarm«-Postings aber nicht nur rundweg bescheuert, sondern gemein. In einer der neuesten dieser Warnungen, die seit Mitte Mai verbreitet wurde, wird beispielsweise vor einem Programm namens »Graphic Search« gewarnt. In der Nachricht folgt eine ausführliche Anleitung, wie man verhindern kann, dass »jeder bei FB (sogar jemand aus dem Ausland)« die eigenen Kommentare, Bilder und »Gefällt mir«-Angaben sehen könne. Wer die Einstellungen seines Kontos entsprechend ändert, dürfte allerdings ziemlich einsam bei Facebook werden, denn in Wirklichkeit sorgt man dafür, dass die eigenen Aktivitäten aus der Timeline der Freunde verschwinden. Während viele derjenigen, die falsche Alarmmeldungen über angeblich gefährliche Face­book-Neuerungen verbreiten, ihren Freundinnen und Freunden bloß vermeintlich hilfreiche Tipps zur Verfügung stellen wollen, sieht die Sache bei denjenigen, die diese Hoaxes in die Welt setzen, ganz anders aus.

Erstaunlich häufig finden sich Verschwörungstheoretiker als Urheber solcher Falschmeldungen. Erstaunlich deswegen, weil gerade diejenigen, die sich stets von finsteren Mächten überwacht fühlen und Facebook mitsamt seinem jüdischen Erfinder Mark Zuckerberg für ein Instrument der Spionage von »denen« halten, gleichwohl sehr aktiv auf der Plattform sind. In anderen Fällen erhoffen sich die Verbreiter finanziellen Gewinn. Immer wieder werden Fake-Profile bekannter Marken angelegt, auf denen Nutzerinnen und Nutzern Gewinne versprochen werden, wenn sie die Seite liken, teilen oder Freunde werden. Meist werden iPads oder andere teure elek­tronische Geräte als Belohnung versprochen. Mimikama.at, eine Webpage, auf der Hoaxes entlarvt werden, warnt davor, diese Angebote weiterzubreiten, denn: »Je höher ihre Reichweite, desto besser kann eine solche Aktion später auch zum Verteilen von schädlichen Links dienen. Durch Likes und Kommentare outet ihr euch eventuell als zu leichtgläubig, dies zusammen mit eurem nun bekannten Profil ermöglicht es jedem, euren Facebook- Profilnamen in Erfahrung zu bringen und damit auch Spam an eure Facebook-Adresse zu senden.« Auch das Sammeln von Adressen dürfte ein Motiv sein, denn, entsprechende Einstellungen vorausgesetzt, kann jede und jeder die E-Mail-Adressen aus dem Freundeskreis sehen und ganz einfach kopieren.
Hoaxes sind freilich kein Phänomen des Internet-Zeitalters. Auf der Website www.historybuff.com wird als Beispiel die Geschichte eines Mannes namens Lozier erzählt, der 1824 die New Yorker vor den Folgen der Bautätigkeiten rund um die Wall Street gewarnt haben soll. Manhattan, so habe er erzählt, werde durch die vielen neuen Häuser zu schwer und werde versinken, weswegen das Nordende abgesägt und auf das offene Meer geschleppt werden müsse, wo man es umdrehen werde. Anschließend könne es wieder zurückgebracht werden. 300 Leute, so heißt es in einem Bericht von 1862, sollen von dieser Idee begeistert gewesen sein und stellten sich als Freiwillige zur Verfügung. Aber stimmt diese Geschichte oder ist auch sie nur ausgedacht? Man weiß es nicht. Thomas F. De Voe, der Autor des Artikels aus dem Jahr 1862, behauptet, sein Onkel sei dabei gewesen – bis heute gehört der Vermerk, etwas sei dem Freund einer Freundin oder eben auch einem verstorbenen Onkel passiert, zu den Grundbestandteilen einer erfolgreichen urban legend.

Wie diese urban legends sind aber auch Facebook-Hoaxes nicht immer nur lustiger Schwachsinn, sondern sollen Angst einjagen, verunsichern oder Bevölkerungsgruppen diffamieren. In Schweden werden Hoaxes allerdings manchmal auch gezielt genutzt, um Rassisten bloßzustellen oder Diskussionen über Online-Aktivismus anzustoßen. Diesen gibt es vor allem auf Facebook und Twitter, oft trägt er extrem populistische Züge. Im Jahr 2010 wurde beispielsweise nach einem Mord in der schwedischen Stadt Landskrona eine Gruppe auf Facebook gegründet, die den Namen des 23jährigen Tatverdächtigen trug, »Vi som hatar N. N. – Mannen som mördade XX i Landskrona« (Wir hassen N. N., den Mann, der XX in Landskrona umgebracht hat). Rasch wuchs die Gruppe auf rund 2 000 Mitglieder, die nach Herzenslust ihren Hass ausleben durften: Man forderte die Todesstrafe, hetzte gegen Ausländer, veröffentlichte Drohungen nicht nur gegen den mutmaßlichen Täter, sondern auch gegen seine Familie und Einwanderer im Allgemeinen. Bis die Initiatoren der Gruppe nach einigen Tagen Titel und Beschreibung änderten. Unter der Überschrift »Wir wollen ein offenes und tolerantes Landskrona« stand nun: »Dies war bislang eine dieser Hassgruppen, in der ganz normale Jugendliche ganz schnell Teil eines aggressiven Mobs wurden, der nach Folter und Todesstrafe schrie. Falls du zu den wenigen gehörtest, die sich dagegen wehrten: Gratulation. Falls nicht: Hast du daraus wenigstens nun etwas gelernt?«
In einer E-Mail an die Tageszeitung Dagens ­Nyheter erklärten die Initiatoren der Gruppe, man habe diesen Hoax bewusst geplant, »um alle diese hasserfüllten Rassisten an einem Ort zu versammeln und dann mit dem Namenswechsel zu düpieren. Im Grunde handelte es sich um einen Klon einer bereits existierenden Gruppe, in der die Identität des Tatverdächtigen bereits öffentlich gemacht worden war und in der es zu zahlreichen Nazi-Statements kam.«
Ob die Mitglieder der Facebook-Gruppe zu Landskrona tatsächlich daraus gelernt haben, ist allerdings fraglich. Mehr als 500 waren gleich nach der Namensänderung ausgetreten, vermutlich, weil sie das neue Ziel Toleranz keinesfalls unterstützen wollten. Wirklich überrascht dürften sie jedoch nicht davon gewesen sein, dass die Gruppe praktisch über Nacht eine ganz andere wurde, denn kurz zuvor hatte ein spektakulärer Fall landesweit Schlagzeilen gemacht. Unter dem Namen »2kr per medlem til jordbävningsoffren i Haiti« (Zwei Kronen spenden wir pro Mitglied an die Erdbebenopfer in Haiti) hatten sich rasch mehr als 200 000 Menschen zusammengefunden. Um plötzlich festzustellen, dass die Beschreibung geändert worden war und nun die »Svenska nekrofil-förenigen« mitteilte, dass sie 500 000 Kronen spenden werde, denn schließlich wolle man nur Sex mit schönen Leichen haben. Dass es eine »Schwedische Nekrophilen-Vereinigung« gar nicht gibt und es sich bloß um eine derbe Trollerei handelte, machte die Wut der Hereingefallenen allerdings nicht geringer. Der schwedische Blog »trollhare«, dessen Betreiber sich mit den Themen Transsexualität und Trolls beschäftigt, bemüht sich überdies schon seit einigen Jahren, für das Engagement von Leuten, die beispielsweise Spendengruppen wie der vermeintlichen für die Erdbebenopfer beitreten, den Begriff »Duktivism« durchzusetzen.
Duktivism setzt sich aus dem schwedischen duktig (gut) und dem englischen activism zusammen und sei »Aktivismus ohne besonders viel Aktivität, etwas, das man nur tut, um sich gut zu fühlen«. Im Unterschied zu aktiver Nächsten­liebe bedeute Duktivism, dass man weder Geld und Zeit investieren, noch »sein olles Sofa zum Wohltätigkeits-Flohmarkt schaffen« müsse. »Duktivism steht für ganz wenig Arbeit, ganz wenig Ahnung und vor allem dafür, sich ganz wenig Gedanken machen zu müssen«. Auf Like zu klicken oder bei Twitter etwas zu retweeten, reiche vollkommen aus.