Gary Schmitt im Gespräch über neue Strategien der US-Außenpolitik

»Wir werden im Nahen Osten aktiv sein«

Ziehen sich die USA aus dem Nahen Osten zurück zugunsten eines stärkeren Engagements im asiatisch-pazifischen Raum? Kann China zu einem stabilen Partner der USA werden? Diese Fragen werden seit einigen Jahren im politischen und intellektuellen Establishment der USA diskutiert. Gary Schmitt ist Kodirektor des Marilyn Ware Center for Security Studies und Leiter des Program on American Citizenship im American Enterprise Institute, einem führenden konservativen Think Tank in Washington. Er war unter anderem Geschäftsführer des Foreign Intelligence Advisory Board während der zweiten Amtsperiode von Präsident Ronald Reagan. Schmitt arbeitet zu Fragen der Sicherheit und der langfristigen Strategie der USA, er ist Autor zahlreicher Bücher. Die Jungle World sprach mit ihm über die geostrategischen Debatten in den USA.

Das US-Verteidigungsministerium hat ein Strategiepapier mit dem Titel »Sustaining US Global Leadership: Priorities for 21st Century Defense« veröffentlicht. Dort heißt es, dass ein »Austarieren« der Außenpolitik im Hinblick auf den asiatisch-pazifischen Raum notwendig sei. Man spricht von Asien als Dreh- und Angelpunkt (»Pivot to Asia«). Was heißt das überhaupt?
Diese Formulierung des Pentagons – pivot – stammt aus einer Diskussion, die von Hillary Clintons Artikel in Foreign Affairs und von anderen Offiziellen der Regierung Obamas angestoßen wurde. Die Überlegung war, Asien größere Aufmerksamkeit zuzuwenden – was aufgrund des Aufschwung Chinas und dessen Verhalten auch Sinn ergibt. Der zweite wichtige Aspekt ist die Kürzung des Militäretats um eine halbe Billion Dollar. Es war lachhaft anzunehmen, dass das US-Militär mit den Kürzungen seine bisherige Fähigkeit, mehrere Konflikte weltweit entscheiden zu können, weiterhin aufrechterhalten kann. Der pivot sollte dem Vorhaben des Rückzugs aus dem Nahen Osten einen Sinn geben. Es ist weniger eine Ausrichtung nach Asien, sondern weg vom Nahen Osten aufgrund des verkleinerten Militärs und der Ansicht des Präsidenten, dass man im Nahen Osten viel Geld verschwendet, aber nichts erreicht. Das haben wir in der zögerlichen Haltung der USA im Hinblick auf Libyen gesehen, gegenüber Syrien und dem Iran oder der distanzierteren Haltung in Afghanistan und dem schnellstmöglichen Rückzug aus dem Irak. Aus diesem Grund, so das Argument, verlagern wir unsere Ressourcen nach Asien, wo wir dauerhafte In­teressen haben.
Befürworter dieser Neuorientierung sprachen im Zuge dessen von einer »Führung aus dem Hintergrund«, man solle den Europäern eine wichtigere Rolle zukommen zu lassen.
Das könnte auch funktionieren, wenn die Militäretats in den europäischen Ländern nicht auch gekürzt würden. Die Franzosen haben in Mali und Libyen gute Operationen durchgeführt, die aber ohne die USA nicht möglich gewesen wären. Wir haben in Mali Logistik und Benzin bereitgestellt. Doch die Franzosen haben ein Papier verabschiedet, das einen kleineren Militäretat für die nächsten zehn bis 15 Jahre vorsieht. Es ist eine gute Sache, wenn die Europäer versuchen, sich mehr zu engagieren, aber dafür müssen sie auch die Ressourcen bereitstellen – und darauf deutet derzeit nichts hin.
Die US-Regierung hat nun angekündigt, in Syrien aktiv zu werden und Waffen und Trainingsmöglichkeiten für die Aufständischen bereitzustellen.
Jeder in Syrien hat Waffen. Wir haben zwei Möglichkeiten: Wir geben der Opposition die Waffen, die wir nicht in den falschen Händen sehen wollen, oder wir führen die Mission mit diesen Waffen selbst durch. Wenn wir weder das eine noch das andere tun, helfen wir niemandem wirklich. Die Opposition hat genug Feuerwaffen. Was sie nicht hat, ist eine Luftverteidigung oder Luftwaffe – das können nur wir lieferen. Außerdem ist das Timing entscheidend. Am Anfang eines Konfliktes schauen sich die Leute nach Waffen um und kommen zu dem, der ihnen am besten hilft. Wir haben das nicht getan und die Saudis und die Kataris sind eingesprungen.
Je länger der Präsident abgewartet hat, um so schlimmer und unübersichtlicher wurde es und niemand wusste, was zu tun ist. Irgendwann wurde der Präsident dazu gedrängt, etwas zu tun, und nun wird er dafür kritisiert, dass wir ohne einen wirklichen Plan eingreifen. Diese Kritik nimmt der Präsident allerdings gerne an, da er sowieso lieber gar nichts tun würde. Genauso war es auch in Libyen. Obamas Berater haben gesagt, wir können es nicht so aussehen lassen, als ob wir nichts tun. Also sind sie Gaddafi losgeworden, haben aber danach nichts getan, um Stabilität in Libyen zu erreichen. In diesem Moment müssen wir uns fragen, ob wir nicht die Bedingungen für mehr Chaos schaffen. Aber der Präsident hofft, dass seine Amtszeit bis dahin vorbei ist.
Wie sieht nun im Gegensatz dazu das Engagement in Asien aus?
Wir hatten immer diese Politik der Absicherung und Einbindung. Nun hat die Einbindung Überhand genommen. Aber Einbindung ist ein Prozess – die Frage ist, wo er hinführt. Die Idee war, dass, da sich die Chinesen in das internationale liberale System einbringen, sie dessen Regeln folgen und das System sie ändert – das ist nicht passiert. Also war das Argument, wir sollten nicht zu viel Absicherung betreiben, um die Chinesen nicht so zu verärgern, dass sie den Einbindungsprozess ablehnen. Doch die Leute begannen nun, daran zu zweifeln, dass der Einbindungsprozess diesen großen Effekt haben könnte. Die Regierung Obamas sagte nun vernünftigerweise, diese Absicherung und Einbindung erreicht nicht, was wir wollen.
Also war ihr Plan, aufs Ganze zu gehen. Lasst uns ihnen sagen, das war im Sommer 2009, dass wir zusammen so etwas wie die G2 des 21. Jahrhunderts werden können. Wir haben all diese gemeinsamen Interessen, Umwelt, Terrorismus und die Weltwirtschaft. Die Reaktion der Chinesen darauf: »Das ist ein Zeichen des Niedergangs der USA und nun kommen sie zu uns«, auch weil die US-Wirtschaftlage schlecht war. Wir haben natürlich gemeinsame Interessen, aber insgesamt gesehen unterschiedliche Prioritäten. Wenn Obama sich mit den Chinesen in Kopenhagen in Fragen des Klimawandels trifft, lassen sie ihn abblitzen. Es ist nicht so, dass die Chinesen sich nicht für die Umwelt interessieren, aber das Wirtschaftswachstum ist wichtiger im Hinblick auf die Legimität des Regimes. Also geht Obama ohne eine Einigung nach Hause. Im folgenden halben Jahr vertraten die Chinesen ihre Interessen selbstbewusster, die Rhetorik wurde schärfer und die Aktivitäten im Südchinesischen Meer wurden aggressiver. Auch im Ostchinesischen Meer konnten wir das beobachten. Nun werden unsere Verbündeten in Ostasien immer nervöser. Wir binden China ein, wo wir können, aber wir müssen uns in der Absicherung verbessern.
Die USA scheinen immer mehr Energievorkommen im eigenen Land zu erschließen. Könnte das einen spürbaren Effekt für die US-Außenpolitik haben?
Ja, in vielerlei Hinsicht. Wir werden uns aus mehreren Gründen nicht dauerhaft aus dem Nahen Osten zurückziehen. Erstens sind wir die Einzigen, die den Iran in Schach halten können. Es geht uns nicht um Öl, sondern um Stabilität in der Region. Zweitens werden wir Israel nicht im Stich lassen. Drittens ist Öl eine global gehandelte Ware. Wenn ein Konflikt im Nahen Osten die Ölpreise in die Höhe treibt, hat das einen Effekt auf die Weltwirtschaft und damit auf die US-Wirtschaft. Wir können den Nahen Osten nicht ignorieren, wie es manchmal anklingt, wenn Leute hier über Energieunabhängigkeit reden. Allerdings werden wir sicher weniger direkt involviert sein.
Auf dem Gasmarkt passiert einiges. Vor sechs, sieben Jahren haben wir Terminals für Gasimporte gebaut, die wir heute nicht mehr brauchen. Die Händler liefern nun stattdessen nach Europa. Einige Länder wie Bulgarien können jetzt den Russen sagen, wir verhandeln neu oder wir kaufen woanders. Das mindert das russische Staatsbudget und Putin kann nicht mehr nach Belieben schalten und walten. Man könnte nun die Hoffnung haben, dass dies Konflikte in Russland herbeiführt und Reformen durchkommen können. Die bloße Tatsache, dass wir bohren und andere nicht, kann einen strategischen Effekt haben.
Welche Folgen werden die Neuausrichtung der USA nach Asien und der Rückzug aus dem Nahen Osten haben?
Es ist unmöglich zu sagen, was die Amerikaner machen werden, da es von politischen Entscheidungen abhängt, wie wir in der Welt auftreten. Eine andere Wirtschaftspolitik und die Energierevolution zum Beispiel können die Haltung der USA gegenüber dem Rest der Welt entscheidend verändern. Wenn wir dann das Verteidigungsbudget weniger beschneiden, haben wir mehr Möglichkeiten. All diese Dinge haben mit Politik zu tun und nicht mit Schicksal.
Wir werden im Nahen Osten aktiv sein, der nächste US-Präsident kann das Chaos nicht ignorieren. Da mir an transatlantischen Beziehungen liegt, müssen wir auch die Europäer stärker einbinden. Die Wahrheit ist, dass die Briten und die Franzosen im Persischen Golf helfen wollen. Aber ihr Militär schrumpft. Die Freihandelsabkommen können keine strategische Partnerschaft ersetzen. Aber wenn man die Chance hat, mit EU-Offiziellen zu reden, dann werden auch sie sagen, dass sie äußerst besorgt sind über das Wachstum der chinesischen Wirtschaft und die Tatsache, dass die Chinesen sich nicht an internationale Regeln halten wollen. Es ist notwendig, ein Netzwerk von liberalen Staaten in der Weltwirtschaft zu haben.