Mikhael Manekin im Gespräch über die neue Runde der Friedensverhandlungen im Nahen Osten

»Heute geht es um Entscheidungen«

Wieder einmal gibt es Friedensverhandlungen zwischen der israelischen Regierung und der palästinensischen Führung. Die Jungle World sprach mit Mikhael Ma­nekin darüber, was davon zu halten ist. Der 34jährige arbeitet für Molad, einen linken israelischen Think Tank, und er leitete früher die Organisation »Breaking the Silence«.

Worum geht es bei Molad?
Molad ist ein relativ junger Think Tank – wir arbeiten seit anderthalb Jahren. Es geht uns darum, strategische Ansätze für die israelische Linke zu entwickeln. In den neunziger Jahren lieferten linke Parteien selbst Informationen, Methodik und Ideologie; die Arbeitspartei, Meretz und Chadash waren zusammen in politischen Komitees aktiv. Während die Rechte noch heute sehr gut darin ist, eine Infrastruktur aufzubauen, hat sich das in den linken Parteien ziemlich zerfasert. Wir wollten eine Institution schaffen, die diese Lücke füllt. Die meisten von uns waren zuvor in Menschenrechtsorganisationen und Basisbewegungen ­tätig oder bei sozialen Protesten aktiv.
Wird durch die Friedensverhandlungen eine neue Richtung israelischer Politik vorgegeben?
Das ist sehr schwer zu sagen. Es gibt weder Gründe dafür, sehr optimistisch, noch dafür, sehr pessimistisch zu sein. Wir sind noch nicht an dem Punkt, eine klare Perspektive zu bestimmen. Es würde ja auch niemand klatschen, wenn ein Patient in den Operationssaal geführt wird. Normalerweise wartet man damit, bis er wieder rauskommt. Wir müssen sehr aufmerksam verfolgen, was passiert. In der Vergangenheit wurden viele Fehler gemacht. Und da wir heute eine rechte Regierung an der Macht haben, versuchen wir bereits, mit möglichen Szenarien umzugehen, falls der Prozess fehlschlägt. Friedensverhandlungen haben hier oft zu Blutvergießen geführt, deshalb sind wir sehr vorsichtig mit Einschätzungen.
Das Attentat auf Yitzhak Rabin stellte eine historische Zäsur dar und ist für viele ein Symbol für das Ende der Hoffnung auf Frieden. Wo liegt heute der Unterschied zu den vorhergehenden Verhandlungen?
Seit der Ermordung Rabins gab es diverse Versuche, den Friedensprozess in Gang zu bringen. Seitens der USA, seitens Europas, seitens Israels, seitens der Palästinenser. Benjamin Netanyahu war bereits in seiner ersten Amtsperiode, von 1996 bis 2000, für den Friedensprozess verantwortlich. Nach ihm waren es Ehud Barak 2000/2001, Ariel Sharon 2004/2005, Ehud Olmert 2006 und noch einmal Netanyahu von 2009 bis 2011. ­Der »Prozess« an sich scheint mir wenig bedeutend. Es ist ja nicht so, als würden wir die Parameter noch nicht kennen. Wir sprechen über Tausende Stunden an Konversation, die längst stattgefunden haben. Heute geht es um Entscheidungen – ­weniger darum, ob sich die verhandelnden Parteien diesmal ein bisschen mehr mögen.
Wie Sie es darstellen, handelt es sich um Rou­tine. Der zu erzielende Kompromiss scheint auf der Hand zu liegen: Die Gründung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967. Weshalb ist das so schwer umzusetzen?
Letztlich müsste die israelische Regierung entscheiden, zu etwas wie der Grenze von 1967 zurückzukehren. Das würde in erster Linie bedeuten, dass wir israelische Siedler aus ihren Häusern evakuieren. Doch es gibt keinen politischen Willen, dies durchzusetzen. Unmöglich wäre es nicht – es würde kein Bürgerkrieg ausbrechen. Mit Blick auf Einzelschicksale wäre dieser Schritt tragisch, doch nichts, was ein Staat nicht überwinden könnte. Netanyahu glaubt dennoch nicht an diese Möglichkeit. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass er plötzlich seine Meinung ändert.
Lässt sich das Modell einer Zwei-Staaten-Lösung aufrechterhalten?
Sicher. Nur weil die Situation schon so lange besteht, ist sie noch lang nicht natürlich. Man kann das gut an Zahlen verdeutlichen. Ost-Jerusalem nicht einberechnet, leben heute an die 350 000 Siedler in den besetzten Gebieten. Aber: 67 Prozent von ihnen arbeiten innerhalb Israels, weitere 30 Prozent im öffentlichen Sektor. Nur drei Prozent der Siedler arbeiten in den Siedlungen – in der Landwirtschaft oder Industrie. Zu denken, in den Siedlungen würden nur rechte Ideologen leben, ist eine Illusion. Wir haben es mit einem stark vom Staat finanzierten Projekt zu tun, das schlicht keinen Sinn ergibt. Sobald der Staat aufhört, Siedlungen zu finanzieren, brechen sie in sich zusammen. Eine Zwei-Staaten-Lösung würde also auch aus einer nationalen Perspektive Sinn ergeben. Letztlich leben hier zwei Gesellschaften mit verschiedener Kultur, Sprache und Religion. Ich kann mir schwer vorzustellen, wie wir in einem Staat zusammenleben sollen.
Lässt sich Netanyahus Haltung auf den Druck extrem rechter Koalitionspartner wie Naftali Bennett zurückführen?
Ja, aber der Druck entsteht schon innerhalb von Netanyahus eigener Partei, dafür muss man nicht noch weiter nach rechts sehen. Die meisten Likud-Mitglieder sprechen sich klar gegen eine Zwei-Staaten-Lösung aus. Netanyahus Aussage, dass er sich poteniell auf eine solche Lösung einigen könnte, wird in den eigenen Reihen sehr kritisiert.
Was ist mit der palästinensischen Seite? Gibt es eine gemeinsame Grundlage, auf der Mahmoud Abbas sie vertritt?
Ja. Aber heute geht es nicht darum, eine Grundlage zu finden – die Aufgabe wäre es, über die bereits existierende Grundlage hinauszugehen. Alle kennen die Eckdaten. Es gibt Organisationen, deren Aufgabe nur darin besteht, zu evaluieren, wie viele Siedlungen evakuiert werden müssten, wie die Elektrizitäts- und Abwasserversorgung geregelt würde und so weiter. Man müsste sich nicht einmal mehr um die Grenzlinie streiten. Das liegt alles offen auf dem Tisch. Es ginge lediglich um eine Entscheidung.
Aber müssten sich auf der palästinensischen Seite nicht erst Hamas und Fatah einigen?
Die fehlende Einheit der Palästinenser beeinflusst natürlich ihre Verhandlungsmöglichkeiten und ruft Sorgen Israels hervor. Aber während mindestens zehn Jahren der Verhandlungen waren sie geeint – wir dagegen konnten keine Fortschritte erzielen. Außerdem sollte man festhalten, dass Israel durchaus mit der Hamas verhandelt, zum Beispiel um Gilad Shalit zu befreien. Falls wir also etwas bewegen möchten, geht das.
Was halten Sie davon, dass die USA sich als Manager der Konfliktlösung begreifen?
Man muss bedenken, dass die USA Israel jährlich über drei Milliarden Dollar militärische Hilfe leisten. Es ist nicht so, als wäre der Friedensprozess das einzige Thema, in das die USA involviert sind und als würden sie plötzlich auftauchen, um Frieden zu stiften. Ich glaube, dass die US-amerikanische Diplomatie weniger zum Frieden beiträgt als die europäische.
Inwiefern?
Europa ist kritischer gegenüber der Siedlungspolitik. Das ist auf lange Sicht gesehen positiv. Dazu kommt, dass Israel für die USA nicht nur eine internationale, sondern auch eine innere Angelegenheit ist. Den USA geht es nicht nur um die Bevölkerung Israels, sondern auch um ihre eigene, nicht nur die jüdische, auch die christlich-evangelikale Wählerschaft zu Hause.
Was halten Sie von John Kerry? Könnte der US-Außenminister die Routine der Friedensverhandlungen aufbrechen?
Ich persönlich bin langjähriger Fan von Kerry. Breaking The Silence ist in weiten Teilen durch das Winter-Soldier-Projekt inspiriert, dass er mitinitiierte. Nach seiner Zeit in Vietnam sagte er als Zeuge über negatives Verhalten US-amerikanischer Soldaten aus. Politisch ist er, was den Nahen Osten betrifft, weitsichtiger als andere. Wir hoffen auf seinen guten Einfluss, wissen aber auch: Frieden kommt nicht aus Europa oder den USA. Es liegt in der Verantwortung der israelischen Regierung, ihn einzuleiten.
Was ist mit der Verantwortung der PA?
Die PA hat natürlich auch Verantwortung für den Fortschritt des Friedensprozesses. Ich denke, sie hat in den letzten Jahren in vielen Bereichen Ernsthaftigkeit bewiesen.
Molad ist auch aus den sozialen Protesten von 2011 und 2012 entstanden. Die Proteste schienen das traditionelle Verständnis des linken Aktivismus in Israel – wonach links war, wer gegen die Besatzung war – zugunsten der sozialen Frage aufzubrechen. Bringen die Friedensverhandlungen die israelische Linke zurück in die alte Frontstellung?
Man muss aufpassen, die Themen nicht völlig in einen Topf zu werfen, die Antibesatzungswelt und die Welt der sozialen Proteste verbinden sich ja nicht notwendig. Gleichzeitig glaube ich, dass es kein Zufall ist, dass die Anführer der sozialen Proteste, die später ins israelische Parlament wanderten, bei linken Parteien landeten. Das letzte Mal, dass wir in Israel progressive Massenproteste für Frieden erlebt haben, war nach Rabins Ermordung. In dieser Zeit gingen die meisten von uns noch zur Schule. Man nannte uns »Candlelight-Generation«. Ich glaube nicht, dass es solche Proteste hier in der nahen Zukunft noch einmal geben wird. Die sozialen und ökonomischen Fragen haben inzwischen eine viel größere Basis. Aber natürlich sollte man versuchen, die Themen zu verbinden und aufzeigen, dass die Besatzung den öffentlichen Sektor stark belastet – viele Israelis sind sich darüber überhaupt nicht im Klaren. Ein Teil unserer Arbeit bei Molad ist es, über diese Verbindungen aufzuklären.