Über die Wahrnehmung von Faschismus und Nationalsozialismus in Indien

Hitler bei den Hindus

»Mein Kampf« ist ein Bestseller in Indien. Die Historikerin Maria Framke hat untersucht, wie Faschismus und Nationalsozialismus im Indien der dreißiger Jahre wahrgenommen wurden.

Indien gilt als größte Demokratie der Welt und als ein Land, das über viele Jahrzehnte von sozialistischen Ideen geprägt war. Eine solche Beschreibung unterschlägt natürlich die Komplexität der jüngeren indischen Geschichte. Nicht zuletzt das Erstarken eines militanten Hindu-Nationalismus seit den neunziger Jahren stellt eine Gefahr für die Demokratie dar. Die öffentlich bekundete Bewunderung für Adolf Hitler durch führende hindu-nationalistische Politiker unterstreicht das eindrucksvoll. So fasste der im vergangenen Jahr gestorbene Vorsitzende der hindu-nationalistischen Partei Shiv Sena, Bal Thackeray, sein politisches Programm einmal folgendermaßen zusammen: »Wenn man ›Mein Kampf‹ nimmt und das Wort ›Jude‹ durch das Wort ›Moslem‹ ersetzt, so entspricht das genau meinen Überzeugungen.«
Der Erfolg von Shiv Sena bei den Wahlen 1995 im zweitgrößten indischen Bundesstaat Ma­harashtra mit der Metropole Mumbai zeigt, dass diese extremistische Politik durchaus mehrheitsfähig ist. Darauf deutet auch die Popularität des Buches »Mein Kampf« hin, das seit seiner Erstveröffentlichung in Indien im Jahr 1928 Hunderte Neuauflagen erfahren hat und auch heute noch ein indischer Bestseller ist. Der Verlag Jaico, einer von zwölf indischen Verlagen, die Hitlers Buch in Indien verlegen, hat 2010 die 55. Auflage der Hetzschrift herausgebracht und in sieben Jahren 100 000 Exemplare verkauft.
Die Faszination für das »Dritte Reich« reicht in die dreißiger Jahre zurück. Der Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung, Subhas Chandra Bose, der 1938 Präsident des Indischen Nationalkongresses (INC) war und zum linken Flügel der Organisation zählte, sah das Deutsche Reich als Verbündeten im Kampf gegen die britische Kolonialmacht. Im April 1941 floh er vor den Briten nach Deutschland, wo er eine Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten organisierte. Bose war in der Folge verantwortlich für die Organisation der Legion »Freies Indien«, in der ab 1942 indische Kriegsgefangene ihre Treue auf Adolf Hitler schworen und für das Deutsche Reich kämpften. Im Mai 1942 traf Bose in Berlin mit Hitler persönlich zusammen. Doch das deutsche Desinteresse an einer Befreiung Indiens enttäuschte Bose so sehr, dass er nach Japan emigrierte.
Der Frage, wie die Ideen des Faschismus und des Nationalsozialismus nach Indien gelangten und wie sie dort rezipiert wurden, geht die Historikerin Maria Framke in ihrer Studie »Delhi – Rom – Berlin. Die indische Wahrnehmung von Faschismus und Nationalsozialismus 1922–1939« nach. Mit detaillierten Analysen von Zeitungsartikeln, Aufsätzen und Briefwechseln zeichnet sie ein durchaus vielfältiges Bild damaliger Diskussionen unter indischen Intellektuellen nach, die vor dem Hintergrund der erstarkenden Unabhängigkeitsbewegungen gesehen werden müssen.
Framke schildert zu Beginn ihrer Studie den wissenschaftlichen und kulturellen Austausch zwischen Indien und Italien beziehungsweise Deutschland im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Die Deutsche Akademie und das ihr angegliederte India Institute unter der Leitung des nationalkonservativen Franz Thierfelder und das von Giuseppe Gentile gegründete Instituto per il Medio ed Estremo Oriente (IsMEO) waren wichtige Propagandainstrumente des deutschen Nationalsozialismus und des italienischen Faschismus.
Es war vor allem die deutsche und italienische Erziehungs- und Bildungspolitik, die großen Anklang bei indischen Intellektuellen fand. Hindu-Nationalisten wie der indische Unabhängigkeitskämpfer B. S. Moonje sahen in der Militarisierung des Erziehungswesens eine Möglichkeit, das nation building in Indien voranzutreiben. Auch Pramatha Nath Roy, ein ehemaliger Stipendiat des IsMEO, propagierte öffentlich die Bildungspolitik des italienischen Faschismus als Modell für Indien. Ähnliche Positionen findet Framke auch in Bezug auf den Nationalsozialismus, dessen Erziehungssystem und Führerkult von indischen Intellektuellen als Möglichkeit zur Befreiung Indiens betrachtet wurden.
Zudem wurde, wie Framke herausarbeitet, die faschistische und die nationalsozialistische Wirtschafts- und Sozialpolitik in Indien ausführlich diskutiert. Gerade an diesem Punkt zeigt sich, dass Faschismus und Nationalsozialismus in Indien weniger als geschlossenes Weltbild und rassistische Ideologie rezipiert wurden, sondern als ein Erfolgsmodell, das als Alternative zu den Wirtschaftsformen des Kommunismus und des Liberalismus betrachtet wurde. Das italienische und das deutsche Gesellschaftsmodell galt vielen indischen Intellektuellen als Instrument, um die im Land bestehenden Klassenkonflikte zu lösen und die Nation zu einen. Insbesondere der Arbeitsdienst und das Winterhilfswerk wurden als Modell für Indien angesehen. Framke zählt eine Reihe von Intellektuellen auf, die sich für den Faschismus und Nationalsozialismus einspannen ließen. So zum Beispiel der Wirtschaftsprofessor Benoy Kumar Sarkar, der sich für die Lektüre von »Mein Kampf« an der Universität von Kalkutta einsetzte und die antisemitischen Aprilgesetze von 1933 öffentlich verteidigte.
Dennoch gab es auch Kritik an den beiden europäischen Ideologien, insbesondere im Hinblick auf die Außenpolitik regte sich Widerspruch. Geprägt vom Kampf gegen die britische Besatzung, sahen zahlreiche indische Kommentatoren im Abessinien-Krieg zwischen Italien und Äthopien die Wiederkehr des westlichen Imperialismus. Dadurch kühlte sich das Verhältnis zu Italien merklich ab. Kontrovers wurde die »Einverleibung« des Sudetenlands durch Deutschland diskutiert. Während der INC sich gegen das britische Appeasement und den deutschen Expansionismus wandte, verteidigten die Hindu-Nationalisten der rechten Partei Hindu Mahasabha um ihren FührerVinayak Damodar Savarkar das Vorgehen Deutschlands als legitimen Schritt auf dem Weg zu einem pangermanischen Staat.
Ein Problem für indische Intellektuelle stellte allerdings die deutsche Rassenideologie dar. Zunächst weckte die Ideologie des Ariertums und das mit dem indischen Swastikasymbol verwandte Hakenkreuz Sympathie bei den indischen Intellektuellen, die die Deutschen als kulturelle Verbündete betrachteten. Doch, so Framke, sowohl Hitler als auch Alfred Rosenberg hatten nichts für das moderne Indien übrig. Rosenberg bezeichnete die indische Bevölkerung sogar als »armselige Bastarde«. Für viele prodeutsche Inder war nicht der deutsche Rassismus das Problem, vielmehr war es dessen Anwendung auf Inder. In offiziellen Beschwerden über rassistische Äußerungen, beispielsweise von der Federation of Indian Students Abroad, wurde immer zwischen Indern und »farbigen« Menschen unterschieden.
Abgesehen davon, ist eine der wichtigsten Erkenntnisse des Buchs, dass sich ein biologistischer Rassismus und Antisemitismus in Indien nie durchsetzen konnte. Hindu-Nationalisten wie Savarkar oder M. S. Golwakar äußerten sich zwar positiv zu den antisemitischen Maßnahmen der Nationalsozialisten und sahen sie als Vorbild für den Umgang mit Muslimen. Diese Stimmen waren aber, so betont Framke, randständige Erscheinungen.
Nicht zuletzt die gewalttätigen Novemberpogrome von 1938 verstärkten die Kritik an Deutschland insbesondere von linken und liberalen Indern. Die indische Debatte war hierbei aber von großer Unkenntnis und Naivität geprägt, wie nicht zuletzt Mahatma Gandhis Brief an die jüdischen Gemeinden in Deutschland aus demselben Jahr zeigt. Sein Ratschlag an die deutschen Juden, mit gewaltlosem Widerstand auf den Antisemitismus zu reagieren, macht dies deutlich. Der große Gandhi, schreibt Framke, »scheint nicht in der Lage gewesen zu sein, die Ungeheuerlichkeit des deutschen Antisemitismus zu begreifen«.
Anhand der Debatten über die jüdische Einwanderung macht Framke deutlich, dass der Antisemitismus in Indien auf wenig Sympathie stieß. Zwar gab es Beiträge von hindu- und linksnationalistischer Seite, die sich gegen die Einwanderung von Nicht-Hindus aussprachen, diese waren aber in der Regel nicht von antijüdischen Ressentiments geprägt. Die überwiegende Mehrheit, insbesondere linksliberale Inder, zeigte sich offen für das Leid der europäischen Juden und konnte sich eine begrenzte Immigration vorstellen. Unterstützt von britischen Bedenken obsiegten am Ende die Kritiker: Nur wenige tausend jüdische Flüchtlinge erhielten eine Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung für Indien.
Insgesamt gelingt es Maria Framke, ein überaus vielfältiges Bild der damaligen Diskussion in Indien zu zeichnen. Das lässt zwar kein eindeutiges Urteil zu, aber es erweitert den Blick auf die indische Unabhängigkeitsbewegung und die außereuropäische Wirkung von Faschismus und Nationalsozialismus. Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang, dass Framke den Untersuchungszeitraum 1939 enden lässt. Es wäre hilfreich gewesen zu erfahren, wie indische Intellektuelle auf den deutschen Vernichtungskrieg reagierten und wie sich das auf die ­Rezeption auswirkte.

Maria Framke: Delhi – Rom – Berlin. Die indische Wahrnehmung von Faschismus und Nationalsozialismus 1922–1939. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2012, 79 Euro, 376 Seiten