Umstrittene Aktionen gegen Gentrifizierung in Leipzig

Kitz als Kiezkiller

In Leipzig wird kontrovers über Gentrifizierung und den Protest dagegen diskutiert.

Gemalte Rehkitze vor Waldhintergrund soll es im Leipziger Stadtteil Connewitz nicht geben. Das Bild war zu niedlich für die Fassade des Eckladens »Wonnecitz«. Man hat einen Ruf zu verlieren, hier nehmen Silvesterpartys angeblich »bürgerkriegsähnliche« Ausmaße an, »linke Verbrecher« machen jährlich eine Schneeballschlacht, die sich in der Berichterstattung der Medien oft zu »Randalen« auswächst.
Die sogenannte Kiezmiliz hat die Fassade des »Wonnecitz« eilig übertüncht. Bambi ist kaum noch zu erkennen, ein Schleier schwarzer Farbe liegt über seinem Gesicht. Dort, wo zuvor die Landschaftsidylle prangte, hängt nun eine Art Pinnwand. Hier sind alle eingeladen, ihre Gedanken und Eindrücke zum Vorfall kundzutun. »Wer so mit seinem Stadtteil umgeht, pisst auch in die Badewanne«, steht da. Kinderhände haben die Namen »Marie und Emma und Daniel« geschrieben und eine erwachsen aussehende Handschrift vollendet den Satz: »fanden das Bild schön und sind jetzt traurig«. Das ist Kommunikation, und die soll nun weiter vorangetrieben werden im »Problemviertel«. Durch »Gesprächsforen«, wie jene Pinnwand, mit »Zukunftswerkstätten« und den »restorative circles«, die neue Verbindungen zwischen den Menschen herstellen sollen. Dafür wurde der Posten der »Stadtteilmoderation« geschaffen, für die halbe Stelle ist seit Juni das Jugendhaus Südpol zuständig.

Die Idee kommt von der AG Stadtentwicklung des kriminalpräventiven Rats (KPR) der Stadt Leipzig. Der glaubte nämlich, dass Vorfälle wie der Anschlag auf das Rehkitz als »gewalttätige Proteste gegen vornehmliche Gentrifizierungsprozesse« zu verstehen seien. Diese Ansicht änderte sich nach einer Anfrage der Linkspartei im Stadtrat. »Gentrifizierungsprozesse« gibt es nach Einschätzung des KPR nun doch nicht. Was es der Stadt zufolge aber gebe, sei eine »zunehmende Gewaltbereitschaft in Connewitz«.
Finanziert wird diese Stelle durch das Landesprogramm Weltoffenes Sachsen (WOS). Das soll helfen, die demokratische Kultur in Sachsen zu fördern und die freiheitlich demokratische Grundordnung zu stärken, indem »Extremismus« bekämpft wird. Nicht ohne Grund befürchtet die Interessengemeinschaft »Rotes Viertel Connewitz«, die »Gentrifizierung in Connewitz soll antiextremistisch ›weggemanagt‹ werden«. Zumal sich Anfang des Jahres der Berliner Verein »Gegen Vergessen – für Demokratie e.V.« bei verschiedenen Projekten meldete, um mehr über Konflikte zu erfahren, die in »alternativen Lebenskreisen eine Rolle spielen«, beispielsweise über die »Gentrifizierung in Connewitz«. Dieses Wissen sollte zur »Entwicklung system-lösungsorientierter und online-basierter Ansätze im Themenfeld Linksex­tremismus« genutzt werden, so hieß zumindest das vom Bundesfamilienministerium finanzierte Projekt gegen Linksextremismus dieses Vereins.
Offenbar hat man jedoch mittlerweile bemerkt, dass der ordnungspolitische Ansatz unter Bezugnahme auf den umstrittenen Extremismusbegriff nicht funktioniert. Im Jahr 2008 sprach der damalige sächsische Innenminister, Albrecht Bruttolo (CDU), von »Stützpunkten linksextremistischer Gewalttäter in Connewitz«, die Leipzigs Bürgermeister nicht im Griff habe. Heute heißt es, zu links motivierten Straftaten, die als »PMK-links« geführt werden, komme es im gesamten Stadtgebiet, »Connewitz bildet dabei gegenwärtig keinen signifikanten Schwerpunkt.« Folglich sei die Auseinandersetzung mit Extremismus nicht Ziel des WOS-Projekts, »sondern die Schaffung einer demokratisch geprägten Diskussionskultur im Stadtteil«, heißt es auf Anfrage aus dem Ministerium.

Im Szeneviertel wird unter dem Stichwort »Gentrifizierungskritik« schon lange ganz von allein viel geredet, gebloggt und gepostet. Es wird ebenfalls diskutiert, ob Farb- und Teerbeutelanschläge auf sanierte Gebäude oder die Spuren der Wut, die sich an einem Supermarkt niederschlagen, dessentwegen ein beliebter Szene-Imbiss umziehen musste, darunter zu fassen seien. Die Leipziger Stadträtin Juliane Nagel (Linkspartei) versuchte darin anfangs wohlwollend eine »unausgesprochene« Debatte über die Gestaltung eines Stadtteils zu sehen, die »praktisch« ausgetragen werde. Doch schon nach einer Farbbeutelattacke auf das frisch sanierte Conne Island im Oktober 2011 kamen Zweifel auf. Ein Beitrag im hauseigenen Blatt geht von einem Missverständnis aus. Seit das Wort Gentrifizierung in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen sei, verkaufe sich der »Milieuschutz« gern als Kritik daran. Diejenigen, die »sich auf der Straße bereits positioniert haben«, wollten für eine Debatte »schon aus Selbstschutz nicht mehr zur Verfügung« stehen, wird auf dem linken Online-Portal Indymedia verkündet.
»Connewitz bleibt, unbequem und dreckig!« lautet die Kampfansage auf Häuserwänden im Kiez. Und die meisten vor Ort haben mittlerweile verstanden, dass die Attacken nicht mehr sind als die Deko einer sinnlosen militanten Lifestyle-Debatte. Als »Kiezkiller« werden die Immobilienfirmen bezeichnet, die den Fassaden einen neuen Anstrich verpassen und damit das Flair kaputtmachen. Wer in einschlägigen Foren und Blogs recherchiert, erfährt, was dann passiert: »Wessis« und »Hinzugezogene« lassen sich nieder, glaubt man zu wissen. Zumindest sind es Menschen, die es ertragen, dass am Haus, in dem sie wohnen, permanent Teerfarbe mit einem Feuerlöscher aufgetragen wird, und die ständig ihre Fenster putzen und sie nachts geschlossen halten müssen. So geht es beispielsweise den Bewohnern eines Hauses, das zuvor eine unbewohnte Ruine auf der Kiezmeile Wolfgang-Heinze-Straße war. Auch einige eher bescheidene Einfamilienhäuser, die auf ehemaligen Brachflächen entstanden, sind beliebte Ziele, propagandistisch werden sie als »Stadtvillen« bezeichnet. Verdrängt wurde hier niemand, dennoch heißt es in einem Kommentar zu einem Artikel in der Bild-Zeitung zum Thema: »Das Immunsystem des Stadtteils wehrt sich gegen Gentrifizierung und Handtuchrasen.« Dieses Selbstverständnis, mit dem in Connewitz angeblich die »linksalternative Szene« verteidigt werden soll, führt zu nichts, außer zu mehr Polizeipräsenz.

Die Antwort auf die Frage, ob es in Connewitz überhaupt Gentrifizierung gibt, bleibt die Kiezmiliz schuldig. Darüber diskutieren andere, zum Beispiel das Netzwerk »Stadt für alle«, das für Leipzig Mietobergrenzen, sozialen Wohnungsbau und keine weiteren Verkäufe aus dem Bestand der städtischen Wohnungsbaugesellschaft fordert. Connewitz ist zwar ein beliebter Stadtteil, aber Connewitz ist nicht Sylt. Das ehemalige Dorf ist aufgrund seiner Bausubstanz nicht so attraktiv wie andere Leipziger Viertel mit ihren prachtvollen Gründerzeitvillen. In den Anlagetipps der Zeitschrift Capital wird es als Quartier mit mittlerer Wohnlage geführt. In der angrenzenden Südvorstadt sieht das schon anders aus, dort zieht es die sogenannten Besserverdiener hin. Die Feri Eurorating Agentur legte Ende vorigen Jahres eine Studie zum deutschen Immobilienmarkt vor und prognostizierte, dass in den Großstädten die Kaufpreise und Mieten spürbar steigen werden. In Leipzig sollen die Mieten bis 2015 voraussichtlich um sieben Prozent steigen. Das wird die Menschen in der »Armutshauptstadt Deutschlands« empfindlich treffen. Hohe Mieten gelten schon jetzt als Armutsrisiko für einkommensschwache Haushalte, einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung zufolge ist ein Viertel der Leipziger Bevölkerung arm. Daran ändern Farbbeutelattacken genauso wenig wie sozialpädagogische Gesprächskreise.