Über die wenig »schwarze« Politik von Barack Obama

Die Erzieher der Nation

Die US-amerikanische Mittelschicht ist mit Präsident Barack Obama unzufrieden. Seine Politik ist ihr nicht »schwarz« genug.

Dass Michelle Obama gesunde Ernährung und Sport wichtig sind, ist bekannt. Für die erste schwarze First Lady der USA geht es dabei nicht um Lifestyle, sie macht damit Politik. In der Tat ist krankhaftes Übergewicht ein verbreitetes Phänomen, das insbesondere die ärmere Bevölkerungsschicht und damit viele afroamerikanische Bürger betrifft. Michelle Obama und ihr Ehemann haben sich vorgenommen, das schwarze Amerika zu erziehen. Diese Haltung steht in deutlichem Gegensatz zur Einstellung vieler Politiker, die der Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre entstammen, von Jesse Jackson bis Al Sharpton, die nie wirklich viel vom Obama-Paar gehalten haben – obwohl sie es nie öffentlich formulieren. Der idealistische Schwung der sechziger Jahre hat bei vielen Politikern dieser Generation, die Teil des Establishments geworden sind, nachgelassen. Geblieben ist jedoch die Einstellung, die Weißen seien die Hauptverantwortlichen für den Zustand der schwarzen Bevölkerung in den USA.
Die Haltung der Obamas gegenüber der afroamerikanischen Bevölkerung ist zwar zeitgemäßer, aber vielen nicht eindeutig genug. Am 4. November 2008 haben bei der offiziellen Wahlsiegfeier in Grant Park in Chicago viele Afroamerikaner gejubelt und geweint, schwarze Studenten erklärten Journalisten, dass sie Obama als ihren Präsident ansähen.

Aber erziehen hat bisher nicht gereicht. In Chicago erschießen sich schwarze Jugendliche gegenseitig, in denselben Gegenden, in denen andere versuchen, ihre Situation zu verbessern. Eine von ihnen war die 15jährige Hadiya Pendleton, die noch am 21.Januar mit ihrer Schulband bei den Feierlichkeiten zu Ehren des erneut gewählten Präsidenten aufgetreten war, und nur wenige Wochen später bei einer Schießerei auf dem Rückweg von der Schule starb. Das Weiße Haus drückte sein Mitgefühl aus, doch für die vielen Hadiyas in den USA ist bisher wenig getan worden.
Die Arbeitslosenquote bei schwarzen US-Amerikanern ist weiterhin doppelt so hoch wie die der weißen Bevölkerung. Die Einkommensunterschiede zwischen schwarzen und weißen US-Bürgern haben neue Rekordwerte erreicht. Einer von 15 männlichen Afroamerikanern sitzt im Gefängnis – das Verhältnis bei weißen Männernist eins zu 106. Schwarze machen 14 Prozent der US-amerikanische Bevölkerung aus, von diesen gelten 27 Prozent als arm. Die Rezession seit 2007 hat die Situation verschärft. Die Subprime-Kredite waren genau dafür gedacht, auch arme Familien dazu zu überreden, sich ein Haus zu leisten. So wurde deren Verschuldung gefördert, und es waren mehr Schwarze als Weiße, die ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen konnten und ihre Häuser verloren.

Obama hatte in diesem kritischen Moment gewaltige Erwartungen geweckt und heute, nach zwei gewonnenen Wahlen, herrscht Ernüchterung vor. Vor allem in der afroamerikanischen Mittelschicht, unter Intellektuellen, Akademikern und politischen Aktivisten. Cornel West, bekannter Philosophieprofessor an der Universität Princeton, hat Obama einen »Kriegsverbrecher« und ­einen »Republican in blackface« genannt. Weniger schrill, aber auch glaubwürdiger klingt die Kritik des Congressional Black Caucus, der parlamentarischen Interessensgruppe der Schwarzen in Washington, der dem Präsidenten etwa vorwirft, ihm nicht genug Aufmerksamkeit zu schenken. Ta-Nehisi Coates, Buchautor und Journalist für The Atlantic, hat Obama für die Art, wie er die schwarzen US-amerikanischen Bürgerinnen und Bürger anspricht, scharf kritisiert und nennt seine Sprache ein »Monument der Mäßigung«. Die Ironie bei Barack Obama sei, dass er der erste ­erfolgreiche schwarze Politiker in der Geschichte Amerikas geworden sei, der die racial issues nicht anspricht.
In der Tat wiederholt Obama andauernd, nicht der Präsident der Schwarzen, sondern aller Ame­rikaner zu sein. Seine Politik war bisher nicht spezifisch »schwarz«, trotzdem kommen einige der unter seiner Regierung beschlossenen Maßnahmen eher der armen, schwarzen Bevölkerung zugute. Das ist vielleicht der Grund, warum die Unzufriedenheit in der schwarzen Unterschicht weniger ausgeprägt zu sein scheint als bei der Mittelschicht.
Die Gesundheitsreform soll den ärmeren Bevölkerungsschichten den Zugang zur Krankenversicherung garantieren. Dasselbe gilt für geplante Reformen im Bereich der Arbeitspolitik, etwa Programme für Langzeitarbeitslose. Ein Großteil dieser Gruppe besteht aus zwei Generationen afroamerikanischer Fabrikarbeiter, die im Zuge der Krise ihren Job verloren haben. Auch der Versuch, die Verbreitung von Schusswaffen einzuschränken, könnte dazu beitragen, die Situation vieler schwarzer Jugendlicher zu verändern.
Mitte August kündigte Justizminister Eric Holder an, mildere Strafen für nicht gewalttätige Drogendelikte einzuführen, um die überfüllten Bundesgefängnisse zu entlasten. Ob sich das im stark polarisierten Kongress durchsetzen lässt, ist offen. Es wäre aber ein notwendiger Beitrag zur Entstehung jener post racial society, die seit Obamas Wahl postuliert, allerdings von der Realität immer wieder als Fiktion entblößt wird.