Über die Verfilmung von »Feuchtgebiete«

Die Kamerascheu des Perlenrüssels

Hämorrhoidalleiden als kalkulierter Tabubruch. Die Verfilmung von Charlotte Roches Aufregerroman »Feuchtgebiete« fällt sehr viel harmloser aus als das Buch.

Das Skateboard unterm Arm, die Locken wild, das Aufreten frech und die Überzeugung im Blick, absolut unwiderstehlich zu sein – das also ist aus der Protagonistin des Bestsellerromans »Feucht­gebiete« in der Kinoversion geworden. Die 18jährige Helen, gespielt von der Schweizer Jung­darstellerin Carla Juri, breitet darin ihre Vorstellungen von Hygiene, Sex und Intimrasuren vor dem Publikum aus und spricht von ihrer Sehnsucht nach einer intakten Familie. Die Helen im Film ist wie die des Buchs ein Scheidungskind und leidet unter der Trennung ihrer Eltern. »Feuchtgebiete«, der Roman, der bei seinem Erscheinen 2008 eine wochenlange Debatte im Feuilleton ausgelöst hat, als Teenie-Roadmovie über die Suche nach dem eigenen Platz in der Welt.
Der Plot des Films folgt dem Roman: Beim Rasieren am Hintern hat sich Helen geschnitten und muss ins Krankenhaus. Hier bringt sie alles ziemlich durcheinander und verdreht ihrem Pfleger den Kopf. Ihr großer Plan, die verkrachten Eltern an ihrem Krankenbett wieder zu vereinen, missglückt zwar, aber ganz ohne Happy End muss niemand nach Hause gehen. Helen hat keine Scheu vor Körperöffnungen und -flüssigkeiten und demonstriert das auch ständig. Allerdings ist der Film nicht so sehr am körperlichen Detail orientiert wie das Buch. Der Zuschauer bekommt weder Rosetten mit Hämorrhoiden-»Blumenkohl« noch Analsex, noch »Perlenrüssel«, wie Charlotte Roche die Klitoris nennt, zu sehen. Helen masturbiert eher dezent in der Badewanne, um sie herum schwimmt irgendwelches Gemüse, das zum Dildo taugt, der Zuschauer sieht die gewohnt harmlosen Masturbationsbilder, sauber und doch erotisch genung, um für Debatten zu sorgen.
Der Film ist eine fröhliche Komödie, die anzusehen Spaß macht und die ganz nebenbei von der Verletzlichkeit einer jungen Frau erzählt. Dabei wird ein ziemliches Tempo vorgelegt. Rasant ist beispielsweise die Kamerafahrt durch die Bakterienlandschaft eines eingetrockneten Urinflecks auf der Klobrille einer öffentlichen Toilette. Wenn Helen mit ihrem nackten Geschlecht die Brille »sauberreibt«, ist das zwar eklig, aber so rockig umgesetzt, dass es halbwegs zu verkraften ist. Auch der entscheidende Schnitt, mit dem sich Helen ihre Rasurverletzung zufügt, ist im Film vollkommen unspektakulär umgesetzt: Nackte Beine, eine nach vorn gebeugte Helen, dann fallen der Rasierer und ein Blutstropfen auf die weißen Kacheln, und Helen schreit wie am Spieß.
Wir erinnern uns: Als das Buch im Februar 2008 erschien, lobte die Taz den »Teenager-Roman« als »eine feministische Hommage an den Körper der Frau«, wohingegen in der Welt von einem »unappetitlichen Roman« die Rede war, der aus »skandalonfähigen Pipikacke-Wörtern« bestehe. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung nannte »Feuchtgebiete« einen »klugen Roman«, und in der Süddeutschen Zeitung wurde Charlotte Roche zur wahren Feministin erklärt: »Denn man muss dem Plappermaul dieses Scheidungskindes nicht lange zuhören, um zu begreifen: Es leidet in Wahrheit nicht an seinen Eltern. Es leidet an Heidi Klum. Es ist von seiner 30jährigen Autorin eigens als obszöne 18jährige erfunden worden, um den Mädchen, die nach Castingshows wie ›Deutschland sucht das Supermodel‹ anstehen, eine möglichst rabiate Gegenfigur anzubieten.« Charlotte Roche sagte in einem Interview mit der Zeitschrift Brigitte: »Das Buch ist eine Geschichte, eine Phantasie, ein völlig übertriebenes Rumgemansche.«
Der enorme Erfolg des Buches animierte alles, was Rang und Namen hatte, sich zu äußern, oder noch mal zu äußern, zu schimpfen oder zu loben. In der Taz wurde irgendwann sogar die Frage gestellt, was wäre, »wenn es sich bei Charlotte Roches Roman um einen kalkulierten Hoax handelte, bei dem maximal durchgeknalltes Zeug, Hämorrhoiden-Analverkehr mit feministischem Überbau, in die Umlaufbahn geschossen wurde, um mal zu schauen, wie das in Talkshows und Feuilletons so ankommt«. Es kam an, und wie: Da Charlotte Roche im Jahr 2008 kaum eine relevante deutsche Talkshow ausließ, wusste auch bald die ganz TV-Nation, dass sich die Autorin selbst dem Druck zur Anpassung an die modische Norm des haarlosen Body gebeugt hatte, prinzipiell aber gegen den Zwang zur Rasur sei. Die Schriftstellerin Thea Dorn schrieb dazu boshaft in der Zeit: »Ach Gottchen. Ist Janis Joplin etwa dazu übergegangen, sich nur noch Vitamine zu spritzen, weil ›Kollegen und Zuschauer‹ sie als Drogenschlampe ›fertiggemacht‹ haben?« Es war also von allem etwas in dieser Diskussion dabei. Vernichtend fiel das Urteil Marcel Reich-Ranickis aus, der Roche attestierte: »Die Frau hat nicht einmal einen schlechten Stil, die Frau hat gar keinen Stil.«
Dass der kalkulierte Tabubruch durchaus einer aufklärerischen Absicht folge, erklärte die Autorin in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel. »Manchmal«, bekannte sie, »lag ich nach dem Aufschreiben der Geschichte abends im Bett und konnte nicht einschlafen, weil ich Angst hatte, jemand könnte mich für mein Buch bestrafen. Hämorrhoiden sind ja mein Lieblingstabu. Sie befinden sich übrigens hinter dem Schließmuskel. Das Spektrum reicht von leicht juckend bis zu höllischen Schmerzen. Menschen sind leider so, dass sie so etwas ganz lange nur mit sich allein ausmachen. Wenn der Proktologe wissen will, ob die Eltern auch schon damit zu tun hatten, weiß man das nicht. Das ist für mich so ein typischer Witz über die Menschheit: Das vererbt sich in einer Hämorrhoidenfamilie seit Generationen, und keine Sau spricht mit dem Kind darüber.«
Ob der Film daran etwas ändern kann, darf zumindest bezweifelt werden.

Feuchtgebiete (D 2013). Regie: David Wnendt,
Darsteller: Carla Juri, Meret Becker, Christoph Letkowski. Start: 22. August