Hasst die TSG Hoffenheim

Die Kraichgauer Singularität

Warum man die TSG Hoffenheim doch hassen darf. Eine Polemik.

Reflexionen sind ja nie nur angenehm. Ständig diese quälende Frage, ob man tun darf, was viel zu viel Spaß macht, um ganz frei von Regression sein zu können. Bangen Blicks also schreitet er, der denkende Fußballfan, aus der Kurve ins Leben zurück und stellt sich dem großen Problem: Darf man die TSG Hoffenheim hassen? Darf man diesen anmaßenden, seelenlosen und überflüssigen Verein abgrundtief scheiße finden? Darf man ihm die Zwangsversetzung in die Oberliga Baden-Württemberg wünschen? Darf man dürfen?
Aber ja!
Damit wäre die Frage beantwortet, lebten wir nicht im 21. Jahrhundert, in dem der Fußball von den Stammtischen in die Feuilletons gewandert ist und nicht bloß (wie lange schon) in der Mitte der Gesellschaft siedelt, sondern aufgestiegen nunmehr alle ihre Schichten und Milieus ergriffen hat. Solange er bloß Folklore war, konnte der regressive Charakter all dessen, was sich um das Eigentliche, das Spiel, herum sammelt – vom Transfermarkt bis zur Fankultur – nichts sein, über das man streiten müsste. Entweder begab man sich, im besten Fall spielerisch, in das Treiben (und also das Denken) der Anhängerschaft, oder man blieb, Max Goldt folgend, mit einer Tasse Fixbutte und Knut Hamsuns »Victoria« unter der Stehlampe sitzen. Die Frage, die sich durch den gesellschaftlichen Siegeszug des Fußballs stellt, ist die, ob es eine bessere oder schlechtere Art, zu einem Verein zu halten, mithin also, ob es bessere oder schlechtere Vereine gibt. Das sind zugegebenermaßen zwei Fragen, aber wer die erste beantwortet, klärt die zweite gleich mit.
Zugestanden sei: In den Anfeindungen, die Hoffenheim und seinem Mäzen Dietmar Hopp zuteil werden, stecken oft Ressentiments gegen den Reichtum, genauer noch gegen das Neureiche. Wenn sich etablierte Klassen gegen Parvenüs auf die eigene Tradition berufen, die zu rechtfertigen hat, dass das Arrivierte des Erfolgs würdiger sei und seinen gehobenen Status gewissermaßen von Natur aus besitze, bedeutet das nichts, als dass man, was an einem selbst ist, im Anderen ablehnt. Es ist allemal irrational und nicht selten gemeingefährlich. Doch wäre es unsäglich albern, hieraus eine Verteidigung des Neureichen an sich zu formulieren, denn natürlich ist die Frage zulässig, wie einer seinen Status erlangt hat. Noch alberner ist, aus einer Sache etwas Progressives zu machen, bloß weil sie die Abneigung des Regressiven auf sich zieht. Dass im Hass auf Hoffenheim viel reaktionärer Unsinn steckt, heißt nicht, dass die TSG etwa nicht reaktionär oder frei von Unsinn wäre.
Das gängige Urteil stimmt, es ist die Begründung, die falsch ist. Die Einteilung, hier die Traditionsfans, dort die Erfolgsfans, die zur Begründung des Hasses auf Hoffenheim herangezogen wird, ist wie ein Schwert, an dem nicht nur die Klinge, sondern auch der Griff geschärft ist. Wer sie einsetzt, wird verletzen, seinen Gegner ebenso wie sich selbst. Zudem ist die Einteilung ungenau. Ich würde prima facie vier Gruppen unterscheiden (Idealtypen natürlich, die sich im einzelnen Fan durchaus überlagern können).
Die Traditionsfans zum ersten, die einem Verein zumeist anhängen, weil er aus ihrer Region kommt, was, da Herkunft Zufall ist, etwas Beliebiges hat, wogegen aber zunächst einmal nichts spricht, da Fandom nicht rational sein muss und gerade dort erst vollends ins Irrationale umschlägt, wo man Angelegenheiten des Zufalls zu rationalisieren sucht. Tradition, nebenbei gesagt, heißt noch nicht Blut und Boden; es kommt auf die Weise an, wie man es betreibt. Ironie und das bewusst Spielerische helfen, nicht in den Sumpf zu rutschen. Wer einmal im Block des wunderbaren VfL Halle 96 stand, wird wissen, was ich meine.
Die zweite Gruppe wären die Fußballfans. Sportfreunde also, die nicht einen Verein, sondern den Fußball lieben, einer bestimmten Spielidee anhängen und ihre Zuneigung danach verteilen. Die hedonistische Seelenlage zum Beispiel wird Barca, Arsenal, Ajax, und seit 2009 sogar Dortmund oder dem FC Bayern anhängen, so wie puritanische Gemüter eher Milan, Chelsea oder Schalke ihr Herz schenken. Konkretere Vorlieben – fürs Kurzpassspiel, das Dynamische, Kick and Rush, tiefe Raumdeckung oder aggressives Gegenpressing – verfeinern den Atlas der Vorlieben. Erhalten bleibt, ein gutes Spiel anerkennen zu können, auch wenn es vom Gegner kommt, und obgleich in dieser Perspektive der Spaß, der aus dem Drumherum immer auch folgt, ganz verlorengeht, ist sie doch wenigstens nicht von bitterem Ernst, weil stets klar bleibt, dass es nur um Fußball geht.
Denkbar ist auch, dass nicht-fußballerische Ideen eine Rolle spielen, will sagen: gesellschaftliche oder politische. Die politisierenden Fans sind auch nicht anstrengender als die anderen, und zu Politik kann man nicht kein Verhältnis haben. So hält man denn auch zum resistierenden Barca und nicht zum Franco-Club Real. Oder hängt sich, wenn man Günter Grass heißt und grundsätzlich nie was tut, das jenseits vom Klischeehaften liegt, einen Schal des irgendwie anderen, irgendwie ehrlicheren, irgendwie tadarumtata tadarumtata … SC Freiburg um. Andere wieder halten zum traditionell antisemitischen Chelsea FC, wenn er den seinerzeit als »Juden-Club« schikanierten FC Bayern im Finale der Champions League besiegt, da man ja unter allen Umständen gegen deutsche Clubs sein muss. Der Absurdität ist wahrlich in keiner Richtung eine Grenze gesetzt, aber das eben ist Fußball. Der Spaß besteht darin, die eigenen Bauchentscheidungen mit höheren Gründen zu rechtfertigen, und natürlich gilt auch von dieser Haltung, was von jeder Haltung gilt: Sie ist nur noch halb so blöd, wenn sie spielerisch eingenommen wird.
Die vierte Gruppe sind die opportunistischen Fans. Der Traditionsfan ist seinem Verein treu, der Fußballfan dem Fußball, der politisierende Fan dem, was die Vereinen ihm verkörpern. Der opportunistische Fan hat nichts, dem er treu sein könnte. Es ist ihm gleich, ob eine Mannschaft gut oder schlecht, schön oder hässlich spielt, ihn interessiert nur, dass sie aufsteigt beziehungsweise ihren Status erhält. Er wechselt die Vereine so oft wie Ailton und die Grundsätze so oft wie Groucho Marx. Da ist nichts dahinter als das Bedürfnis, irgendwie dabei zu sein, wenn es was zu verteilen gibt. Es ist diese Leere, die möglich macht, intuitiv (das Intuitive ist ja die Durchsprechebene der meisten Fußballfans) von Seelenlosigkeit zu sprechen. Was nämlich bleibt von der Fankultur, wenn man die Treue abzieht? Und ja, ich denke in der Tat, dass diese vierte Art, seine Zuneigung zu verteilen, nicht bloß – wie die anderen auch – etwas arbiträr ist, sondern als einzige der Ironie und des Spielerischen ganz unfähig.
Nun ist kein Verein vor dieser Art Anhängerschaft sicher. Es gibt aber Vereine, die die Erfolgsfans nicht bloß anziehen, wenn sie Erfolg haben, sondern die regelrecht Erfolgsfanvereine sind. Bis zu einem gewissen Grad kann jeder etwas für seine Anhänger; die Art, wie man lebt, entscheidet über die Gesellschaft, die man bekommt. Die übliche Graswurzelebene abgezogen, spiegelt die Fankultur die Vereinskultur wider. Die TSG Hoffenheim hat weder traditionelle Fans noch Bewunderer, sondern ausschließlich opportunistische Anhänger. Sie ist die Singularität vom Kraichgau, ein leerer Verein für leere Anhänger, ein Erfolgsfanverein. Ein Erfolgsfanverein aber ohne Erfolg. Paradox? Es verdient dies, reiner Opportunismus genannt zu werden; ein Opportunismus, der um seiner selbst willen betrieben wird. Prinzipienlosigkeit aus Prinzip ist, was Hoffenheim ausmacht.
Man sollte dem Club nicht verübeln, dass er keine Tradition, aber Geld hat. Natürlich ist es auf eine Weise ungerecht, dass ein Dorf von 3 000 Einwohnern keine Aussichten hat, in der ersten Liga zu spielen, aber natürlich ist es auf andere Weise ungerechter, wenn man die Macht, die den größeren Clubs vermöge ihrer breiten Anhängerschaft zufließt, durch externe Operationen umgeht. Dort, wo ein Mäzen Einfluss nimmt, ist die Hybris gleich doppelt. Zum einen macht ein Einzelner aus einer allgemeinen Sache, an der Millionen Zwerchfälle hängen, ein persönliches Spielzeug, degradiert die Wirklichkeit zu seinem Managerspiel (mit Cheat). Zum anderen greift er von außen in einen Prozess ein, dessen innerer Ablauf die Hauptsache ist. Nachwuchsarbeit, Scouting, taktisches und technisches Training, Marketing, Rechnungsführung sind Mittel, um langfristig zu Erfolgen zu kommen. Wenn ein Verein aufgrund solcher Bemühungen aufsteigt, wen sollte es dann jucken, dass er keine Geschichte hat?
Wenn sportlicher Erfolg nicht auf sportlichem Erfolg beruht, wenn ein Eingriff von außen die sich im Spiel durchsetzenden Verhältnisse stört, dann ist der Sinn des ganzen Treibens in Frage gestellt. Einen Sport mit unsportlichen Mitteln will niemand sehen, denn Sport beruht auf dem Gedanken des Wettkampfs innerhalb eines vorgegeben Rahmens. Wo der Wettkampf durch wettkampffremde Mittel gestört ist, kann man den Quatsch eigentlich auch ganz lassen und gleich Scheckbücher vergleichen. Genau das aber ist, wofür man Hoffenheim letztlich doch danken muss. Dieser Verein ist der sanfte Hinweis des Schicksals, dass ein Leben ohne Fußball auch möglich ist und unter bestimmten Umständen sogar das kleinere Übel wäre.