Die rassistische Hetzkampagne gegen eine italienische Ministerin

Die Stiefel-Faschisten

Seit ihrem Amtsantritt im April ist die italienische Integrationsministerin Cécile Kyenge immer wieder rassistischen Angriffen ausgesetzt. In den vergangenen Wochen hat die Lega Nord ihre Hetzkampagne gegen die Ministerin ausgeweitet.

Weil die Integrationsministerin Cécile Kyenge nicht einfach in den Kongo abgeschoben werden kann, kam dem Vorsitzenden der lombardischen Lega Nord, Matteo Salvini, der Gedanke, mit einem Referendum die Abschaffung ihres Ministeriums zu fordern. Die rassistische Hetzkampagne gegen Italiens erste afroitalienische Regierungsvertreterin hat mit diesem Facebook-Aufruf einen vorläufigen Höhepunkt erreicht.
Seit Kyenge unmittelbar nach ihrer Ernennung in einem Fernsehinterview ankündigte, sich für die Abschaffung des Straftatbestands der illegalen Einwanderung und die Reform des Staatsbürgerrechts einzusetzen, propagiert die Lega Nord die »totale Opposition« gegen die »Bonga-Bonga-Regierung«. Insbesondere die Forderung nach der Einführung des Ius soli, das Kindern von Migranten, die in Italien geboren werden, automatisch die italienische Staatsbürgerschaft zuerkennen würde, erregt den Zorn der Rechtspopulisten.

Den Auftakt zur jüngsten Serie von rassistischen Verunglimpfungen machte Mario Borghezio, Europaabgeordneter der Lega Nord. Er sprach Kyenge bei ihrem Besuch im Europäischen Parlament Anfang Juli wiederholt als Vertreterin der Demokratischen Republik Kongo an. Nachdem er bereits einen Monat zuvor wegen rassistischer Äußerungen aus der rechtspopulistischen Fraktion »Europa der Freiheit und der Demokratie« (EFD) ausgeschlossen worden war, wurden inzwischen auf der Internetplattform change.org mehr als 130 000 Unterschriften für eine Petition gesammelt, die den Ausschluss Borghezios aus dem Europäischen Parlament fordert.
In Italien verstärkten dagegen seine Parteifreunde die rassistische Propaganda. Auf einem Parteifest in der bergamaskischen Provinz versetzte der stellvertretende Senatspräsident Roberto Calderoli sein Publikum in Pogromstimmung, indem er behauptete, die Ministerin erinnere ihn an einen Orang-Utan. Anders als Borghezio, der in der italienischen Öffentlichkeit als unverbesserlich gilt, war die Empörung über Calderolis Beleidigung so groß, dass er sich offiziell entschuldigen musste. Eine Anhängerin der Lega Nord, die im Internet zur Vergewaltigung der Ministerin aufgerufen hatte, wurde wegen rassistischer Hetze zu 13 Monaten Haft und einer Geldstrafe verurteilt.
Die Entrüstung der medialen Öffentlichkeit über die Eskalation des Rassismus in der Lega Nord ist jedoch geheuchelt. Rassismus war immer ein konstitutives Merkmal der separatistischen Regionalpartei. In den Jahren, in denen sie an Silvio Berlusconis Rechtskoalitionen beteiligt war, hielten sich ihre römischen Abgeordneten verbal zurück, solange Innenminister Roberto Maroni für die Einhaltung und Verschärfung der repressiven Immigrationsgesetze sorgte. Inzwischen ist die Lega Nord in Rom zu einer kleinen Oppositionspartei geschrumpft und von innerparteilichen Machtkämpfen geschwächt, nachdem der Mitbegründer und frühere Vorsitzende der Partei, Umberto Bossi, aufgrund von Veruntreuungsvorwürfen gegen seine Familie zurücktreten musste. Andererseits aber regiert die Lega Nord alle drei großen norditalienischen Regionen. Maroni hat den Parteivorsitz übernommen und seit dem Frühjahr ist er auch Regionalpräsident der Lombardei. Politisch auf ihr altes Stammland »Padanien« konzentriert, besinnt sich die Lega Nord auf ihre traditionelle Hetze gegen Ausländer, zu der seit jeher auch Strategien der Dehumanisierung gehören.

Cécile Kyenge wiederholt unermüdlich, die Attacken könnten ihr nichts anhaben, schadeten nur dem Ansehen des Landes und würden dem besseren Italien nicht gerecht. Die Reaktionen der Zivilgesellschaft, auf die sie sich glaubt verlassen zu können, sind jedoch erschreckend zurückhaltend und hilflos. Sie erschöpfen sich in Solidaritätsbekundungen an die Ministerin und Forderungen an ihre rassistischen Peiniger, sich zu entschuldigen. Nach jahrzehntelanger ausländerfeindlicher Propaganda der Rechtskoalitionen hat sich in der italienischen Gesellschaft eine diffuse Feindseligkeit gegenüber Migrantinnen und Migranten verbreitet. Zuletzt wurde die Ministerin auch auf Veranstaltungen, die von der Demokratischen Partei beziehungsweise den Gewerkschaften organisiert wurden, mit Bananen beworfen. Es ist derselbe vulgäre Rassismus, der den afrikanischen Fußballspielern jeden Sonntag von den Stadiontribünen entgegenschlägt, ohne dass die italienischen Mitspieler je auf die Idee kämen, das Spielfeld zu verlassen.
Die Klage, dass in Italien die Stereotype der faschistischen Rassenpolitik unverändert wiederkehrten, weil die Verbrechen der Kolonialzeit nie aufgearbeitet worden seien, ist zwar gerechtfertigt, aber eher ein leeres Ritual. Eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Rassismus innerhalb der linken und liberalen Bevölkerung findet nicht statt. Entlarvend ist, wie wenig Unterstützung Kyenge für ihren Gesetzesvorstoß zur Einführung des Ius soli aus ihrer eigenen Partei erfährt. Für die Demokraten gehört das Thema nicht zu den Prioritäten der großen Koalition. Beppe Grillo, der sich bei seinen Wahlkampfauftritten schon immer gegen das Ius soli ausgesprochen hat, gab für seine Partei »Movimento 5 Stelle« die Order aus, dass über das Einbürgerungsrecht nur per Volksabstimmung entschieden werden dürfe. Bei seiner linken Wählerklientel kam der Vorschlag nicht gut an. Doch auch in der außerparlamentarischen Linken bleiben antirassistische Initiativen zumeist auf lokale, eher marginale Gruppen beschränkt.
Weil sich die Auseinandersetzung auf die Person der Ministerin konzentriert, geraten die Probleme, die in ihr Ressort fallen, in den Hintergrund. Kyenge hatte eine Reise nach Lampedusa angekündigt, tatsächlich aber hat sie sich bisher weder vor Ort über die Lage in dem chronisch überbelegten Aufnahmezentrum informiert, noch die jüngsten Proteste kommentiert. Seit Wochen verweigern afrikanische Flüchtlinge ihre Identifikation, um später noch in einem anderen europäischen Land Asyl beantragen zu können. Aufgrund der rassistischen Grundstimmung und infolge der anhaltenden Rezession wollen nicht nur Flüchtlinge nicht länger in Italien bleiben. Im vergangenen Jahr sank die Zahl der Asylanträge auf unter 16 000. Mehr als doppelt so hoch lag dagegen die Zahl der ausländischen Abwanderer.