Ein Nachruf auf Lothar Bisky

Fast wäre er nicht hingegangen

Die Partei »Die Linke« hat einen ihrer wichtigsten Politiker verloren. Ein Nachruf auf Lothar Bisky.
Von

Es gab wohl kaum einen Politiker, der solch einen politischen Einfluss hatte, dermaßen beliebt und gleichzeitig ein so unfassbar schlechter Redner war. Wenn Lothar Bisky bei Parteitagen ans Rednerpult trat, merkte man ihm, noch bevor er zu sprechen ansetzte, an, wie sehr er es hasste. Das öffentliche Reden, und den ganzen Politzirkus um ihn herum auch. Langsam und holpernd las er vom Blatt ab, bemüht, hier und dort mal die Stimme zu heben, aber im Grunde schien es ihm an Kraft zu fehlen oder an Enthusiasmus.
Es hat eine Rede gegeben, die ihm Spaß gemacht hat, die er wirklich halten wollte. Das war auf dem Alexanderplatz in Berlin am 4. November 1989, also kurz vor dem Mauerfall. Da sprach er nach Heiner Müller zu den rund 500 000 Demonstranten, plädierte für den Fortbestand der DDR auf der Basis eines demokratisch reformierten Sozialismus. Als die Taz ihn im März 2012 fragte, was sein größter Erfolg als Politiker gewesen sei, da antwortete Bisky: »Dass ich am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz reden durfte. Ich habe dort als Rektor der Filmhochschule gesprochen und Forderungen der Studenten vertreten, die mir ein Herzensanliegen waren.« Darauf stellt die Taz fest: »Der 4. November 1989 war der Beginn Ihrer politischen Karriere.« Bisky konterte trocken: »Tja, wenn ich das gewusst hätte, wäre ich wohl gar nicht hingegangen.«

Doch Biskys Unlust an der Politik war immer nur eine Unlust am politischen Betrieb. An politischem Herzblut fehlte es ihm, dem überzeugten Sozialisten, nicht. Wenn man die Politik so sehr verabscheut, wie es Lothar Bisky getan hat, und sich dennoch dermaßen engagiert politisch ­betätigt, dann muss da etwas auf der Seele brennen, dann muss man wohl ein wirkliches Anliegen haben. Und das hatte Bisky. Sein Anliegen war die PDS, und das klingt fälschlicherweise furchtbar banal. Denn im Grunde ging es um ein Stück deutscher Geschichte. Die PDS, die er mit aufgebaut, der er an entscheidender Stelle ein Gesicht, und damit ist weniger sein eigenes gemeint, gegeben hat, die war schließlich gerade eben noch die SED gewesen, die autoritäre, nationalistische, militaristische, alles andere als linke Staats- und Einheitspartei der DDR, also quasi die DDR selbst. Das Ende der SED besiegelte nicht der Mauerfall, das Ende der SED bestand vielmehr darin, dass sich dieses Parteimonster nach der Wende in eine undogmatisch linke, emanzipatorische Partei transformierte. Dass aus der DDR überhaupt ein – irgendwie – linkes Projekt hervorgegangen ist, was alles andere als selbstverständlich ist, darin besteht das historisch zu nennende Verdienst Lothar Biskys.
Bisky war von 1991 bis 1993 Landesvorsitzender der PDS in Brandenburg, anschließend bis 2000 und dann noch einmal von 2003 bis 2007 Bundesvorsitzender. Von Juni 2007 bis zum Mai 2010 war er neben Oskar Lafontaine Vorsitzender der mit der WASG fusionierten Partei »Die Linke«. Als Parteivorsitzender nahm er immer die Rolle des Moderators ein und stärkte doch von Anfang an die jungen, kritischen Geister, die sich gegen jede Verklärung der DDR-Zeit wandten. Bisky war das Herz der »Reformer« und die Reform, um die es ihnen ging, war die Wandlung der SED in ein emanzipatorisches Projekt. Für dieses Ziel und dafür, Konsequenzen aus der realsozialistischen Geschichte zu ziehen, ohne dabei Menschen und ihre Biographien zu diffamieren, kämpfte Bisky mit Leidenschaft. Als 1994 die Treuhand mit einer abenteuerlichen Steuerforderung von über 67 Millionen Mark drohte, der Partei den Garaus zu machen, besetze Bisky zusammen mit seinen Gefährten Gregor Gysi, Heinz Vie­tze, ­André Brie, Dietmar Bartsch und Michael Schumann das Gebäude der Treuhand. Sie ketteten sich an Heizkörpern fest und führten nach der Räumung durch die Polizei in der Berliner Volksbühne eine Woche lang einen Hungerstreik durch, bis die Steuerforderung vom Verwaltungsgericht zurückgenommen wurde. Als 1999 eine Antifa-Demonstration in der Nazi-Hochburg Wurzen in Sachsen stattfinden sollte und sich die örtliche PDS ebenso wie die Landespartei querstellten und versuchten, dies zu verhindern, nahm Bisky kurzerhand an der Demonstration teil und bewirkte so, dass die Partei vor Ort nachgab – ganz ohne eine Machtwort sprechen zu müssen.
Im parteiinternen Richtungskampf zwischen ostdeutschen Pragmatikern, antiautoritären Linken und Sozialdemokraten einerseits und westdeutschen Sektierern, Antiimperialisten und ­Betonkopfkommunisten andererseits stützte Bisky offen oder still im Hintergrund die ersteren. Als beim Parteitag in Gera 2002 jene andere Fraktion das Ruder übernahm, trafen sich Bartsch, Gysi, Bisky und andere höchst besorgte Reformer in Gysis Wohnung in Pankow, um darüber zu ­reden, wie es nun weitergehen könne. Sogar über die Gründung einer neuen Partei soll dabei gesprochen worden sein. Sie entschlossen sich jedoch, zu versuchen, die alten Machtverhältnisse möglichst schnell wiederherzustellen. Und nur deshalb ließ sich Bisky 2003 dazu bewegen, noch einmal das Amt des Parteivorsitzenden zu übernehmen. Lust hatte er da schon lange keine mehr. Als im vorigen Jahr die neuen Parteivorsitzenden gewählt wurden, setzte er sich für seinen alten Weggefährten Dietmar Bartsch ein, der inzwischen als führender Reformer gilt. Das war auch eine Kampfansage an Oskar Lafontaine, dessen Einfluss Bisky mit Sorge sah. Es gebe zu ­viele »Ideologie-Ayatollahs« in der Partei, schimpfte Bisky. Er wurde offiziell Mitglied des prag­matischen Parteiflügels »Demokratischer Sozialismus«.

Nicht zuletzt deshalb hatte Bisky den Ruf, ein waschechter Sozialdemokrat zu sein. Das mag zutreffen, doch im Rahmen der Möglichkeiten, die die Entwicklung der ehemaligen SED bot, ist dies sicher nicht das schlechteste Etikett – wenn man Sozialdemokratie nicht mit der SPD verwechselt. Zwar argumentierte Bisky 1997 bei einer Veranstaltung der Jungle World mit dem Titel »Der Euro: Ein neoliberales Projekt – oder ein antinationales?« mit Jürgen Trittin auf dem Podium noch gegen die Einführung des Euro (Jungle World 35/1997), indem er erklärte: »Mit dem Euro gewinnt die neoliberale Philosophie materielle ­Gewalt in Europa.« Er befürchte die Entstehung eines Kerneuropa. Doch auch wenn er den Euro damals ablehnte, nationalistisch argumentierte Bisky nicht. Und angesichts der zunehmenden nationalistischen Tendenzen auch innerhalb der »Linken« wurde Europa für ihn immer mehr zu einer progressiven Idee. Als Abgeordneter im EU-Parlament bezog er bis zuletzt Stellung gegen jede als Europa-Kritik verschleierte Form nationaler Rückbesinnung, auch innerhalb der eigenen Partei. Im März vorigen Jahres trat er vom Vorsitz der Fraktion der 14 Linksparteien im EU-Parlament zurück. Sein Mandat behielt er. Als Henryk M. Broder ihn im Rahmen seiner Fernsehserie »Entweder Broder« in Brüssel bei einem zufälligen Treffen auf der Straße interviewte und ihn hinsichtlich seiner Tätigkeit im EU-Parlament fragte: »Warum tun Sie sich das an?«, antwortete Bisky: »Für mich persönlich ist es ein vernünftiger Abschied aus der Politik, der ohne Krach und ohne Blessuren stattfindet.« Broder: »Und das ist den Aufwand wert?« Bisky: »Naja, es ist ja nicht langweilig hier, ein bisschen hab ich schon Interesse daran.«
Lothar Bisky war ein warmherziger, bedächtiger und bescheidener Mensch, der die schönen Dinge zu schätzen wusste, und dazu gehörte für ihn auch die Vision einer solidarischen, emanzipatorischen Gesellschaft. Er starb am Dienstag, den 13. August, im Alter von 71 Jahren.