Osman Osmani im Gespräch über die Situation von Roma im Kosovo

»Roma dienen als Projektionsfläche«

Die NGO »Initiative 6« aus Prizren setzt sich für Roma, Ashkali und andere diskriminierte Minderheiten im Kosovo ein, vor allem für ein integratives Schulsystem. Der 41jährige Textilingenieur Osman Osmani hat sie gegründet. Bereits vor knapp einem Jahr gab es einen Austausch mit der Naturfreundejugend und weiteren Gruppen in Berlin (Jungle World 25/2012). Dieses Jahr wurde er fortgesetzt. Mit Osmani sprach die Jungle World über den Austausch und die Situation von Roma und anderen Minderheiten im Kosovo.

Sie hatten bereits im vergangenen Jahr am Austausch in Berlin teilgenommen. Was war in diesem Jahr neu?
Voriges Jahr haben wir einen ersten Eindruck bekommen. Wir lernten viel von den Gruppen hier. Zum Beispiel haben wir uns mit dem Rücknahmeabkommen im Rahmen des EU-Beitrittsverfahrens des Kosovo von 2010 beschäftigt, das ungefähr 8 500 in Deutschland lebende Roma betrifft. Trotz der deutschen Abschiebepraxis war der Austausch eine sehr positive Erfahrung, die uns gezeigt hat, dass es Menschen in Deutschland gibt, die sich mit den Belangen der Roma auseinandersetzen. Außerdem bekamen wir eine Einführung in die Gedenkpolitik in Deutschland. Dieses Jahr kamen wir, um weiter auf unseren Erfahrungen aufzubauen.
Was waren die wichtigsten Themen?
Es ging insbesondere um die Flüchtlingsfrage: die Situation der Rückkehrer in den Kosovo und das Problem fehlender Bildungseinrichtungen. Der Austausch soll auch dazu dienen, die Eindrücke, die wir hier sammeln, im Kosovo zu übertragen. Die Arbeit und das Vorgehen der Organisationen, die wir hier treffen, sind inspirierend. Am Austausch beteiligten sich zwei Gruppen aus dem Kosovo und eine aus Berlin. Es geht nicht mehr nur darum, dass sich die drei verschiedenen Gruppen unterhalten, sondern darum, dass am Ende eine Gruppe für ein gemeinsames Thema entsteht. Zusammen haben wir einen Grundstein gelegt für weitere Projekte.
Der Austausch war gänzlich selbstorganisiert. Würden Sie sich staatliche Förderung wünschen oder möchten Sie lieber unabhängig arbeiten?
Wir möchten es so, wie es derzeit ist. Der staatliche Anteil sollte so gering wie möglich bleiben. Das größte Thema ist Antidiskriminierung. Wir wollen die Diskriminierung von Ausländern und Minderheiten ansprechen, aber auch die Diskriminierung von Andersdenkenden. Das ließe sich mit staatlicher Förderung schwer umsetzen, zumal die meisten Fälle von Diskriminierung, mit denen wir im Kosovo zu tun haben, durch staatliche Institutionen eingeleitet wurden.
Was ist im Moment das dringendste Problem im Kosovo?
Das Thema, das mich am meisten beschäftigt, ist die Lage der Rückkehrer in den Kosovo, vor allem der Roma. Wir arbeiten an der Basis und bekommen das Leid der Menschen deshalb sehr konkret mit. Es geht nicht mehr nur um fehlende Bildungsangebote, sondern um Migrationsprobleme. Das legt unserer Arbeit Steine in den Weg.
Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Es fängt natürlich damit an, dass Menschen zwangsweise abgeschoben werden. Dass es eben keine freiwillige Rückkehr ist, wie das Wort »Rückkehrrecht« suggeriert, und dass viele nach ihrer Ankunft keinen offiziellen Status erhalten. Das Problem wird am Beispiel der Kinder deutlich. Für sie bedeutet das nicht nur, dass sie in ein anderes Land gehen müssen, sondern dass sie in ein Umfeld geworfen werden, das ihnen vollkommen fremd ist. Obwohl es nicht zu unseren eigentlichen Aufgaben gehört, haben wir relativ häufig mit diesen Kindern zu tun. Sie werden oft nicht eingeschult, weil Unterlagen aus dem Abschiebeland fehlen. Man weiß in der Schule meist nicht, aus welcher Klassenstufe sie stammen. Meist gelingt es ihnen nicht, sich mit dem neuen Umfeld anzufreunden, sowohl sozial als auch ­institutionell. Obwohl die lokalen Behörden gern sagen, dass sie Sprachunterricht fördern, sind die Kinder oft noch nicht mal mit der Sprache vertraut. Dadurch werden zusätzliche Hürden geschaffen, die den Kindern Bildungschancen verbauen. Hinzu kommt ihre psychische Verfassung. Viele leben in ständiger Angst, sich plötzlich wieder an einem Abschiebeflughafen wiederzufinden.
Gibt es eine Art parlamentarische Vertretung für solche Fragen?
Leider nicht. Diese Fragen sind im Parlament kein Thema – schlicht aus dem Grund, dass nationale Fragen vor Kinderrechten stehen. Es geht in der Politik im Kosovo heute vor allem um die Liberalisierung der Visumsrechte, damit man im Kosovo ein- und ausreisen darf.
Würde »Initiative 6« gerne eine Art Stellvertreterrolle übernehmen?
Natürlich würde ich gerne noch lauter schreien können. Wir versuchen durch unseren Besuch hier in Berlin, Öffentlichkeit zu schaffen. Wir stellen uns der Herausforderung. Die Verantwortung läge aber eigentlich bei den politischen Vertretern. Vor zwei Wochen habe ich mich mit der Außenministerin des Kosovo, Vlora Çitaku, getroffen. Sie ist für Integration und EU-Fragen zuständig. Ich habe ihr von der Lage der Kinder berichtet, mit denen ich zu tun habe. Sie war unserer Meinung und erkannte auch die Schwierigkeiten. Auf der anderen Seite argumentiert sie dann aber, dass das EU-Abkommen eben so getroffen wurde. Wir hätten uns doch selbst dafür eingesetzt, dass Menschen zurückkommen dürfen. Nun ist in dem Abkommen formal festgeschrieben, dass den Rückkehrern Geld zur Verfügung gestellt wird. Konkret sieht das aber meist so aus, dass es – wenn überhaupt, da die Anträge oft in einer unendlichen Warteschleife hängen – nur für die ersten sechs Monate Geld gibt. Die Frage ist, was danach geschieht. Ich nannte Çitaku ein konkretes Beispiel einer Familie, die gerade in den Kosovo abgeschoben wurde und der keine finanziellen Leistungen mehr gewährt wurden. Sie schlug ­daraufhin vor, dass das Familienoberhaupt doch Müll trennen könne: Rohstoffe sammeln und Fundstücke verkaufen.
Handelt es sich bei der Diskriminierung, mit der Sie bei Ihrer Arbeit konfrontiert sind, um eine soziale gegenüber unterprivilegierten Menschen oder eine rassistische gegenüber Roma?
Natürlich sehen wir eine allgemeine Diskriminierung gegenüber Unterprivilegierten. Hinzu kommt, dass Roma wirtschaftlich schlechter gestellt sind als der Rest der Bevölkerung. Deshalb erhalten sie von Beginn an weniger Möglichkeiten, etwas Sinnvolles zu tun. Deshalb trifft die Klassendiskriminierung die Roma stärker als die anderen Gruppen.
Gibt es weitere Gründe für die starke Diskriminierung von Roma im Kosovo?
Das hängt auch mit der Geschichte des Kosovo zusammen. In den vergangenen Jahrzehnten gab es mehrere Kriege. Immer hat eine Gruppe versucht, die andere unten zu halten. Die albanische Bevölkerung zum Beispiel wird durch das serbische System diskriminiert. Aus dieser Erfahrung haben die meisten aber nichts gelernt. Was passiert, ist, dass man jemanden sucht, der noch schwächer ist. Da dienen die Roma als Projektionsfläche – und das, obwohl viele internationale Organisationen vor Ort sind, die versuchen, ­diesen Mechanismus zu stoppen. Der Kosovo brüstet sich heute gern damit, ein neuer Staat zu sein, der aus den Fehlern von früher gelernt hat. Faktisch hat sich das Parlament ja 2008 nicht aus dem Nichts gegründet. Es sind zum Großteil dieselben Leute, die vorher auch schon im Parlament waren. Strukturell bleiben viele der alten Probleme bestehen.
Was sind Ihre Pläne für die nahe Zukunft? Wird der Austausch fortgeführt?
Wir haben einige Pläne. Im nächsten Jahr wird uns die Berliner Gruppe wieder im Kosovo besuchen – darauf freuen wir uns bereits. Bis dahin wollen wir ein Forum organisieren, das die angestoßenen Debatten im Kosovo fortführt, Öffentlichkeit schafft, endlich auch andere Gruppen in unsere Arbeit einbezieht und dazu beiträgt, ihr Gehör zu verschaffen – sei aus der deutschen Perspektive oder aus jener der Roma im Kosovo. Ich hoffe, dass wir es schaffen, unsere Vorschläge umzusetzen.

Dolmetscherin: Shkurte Samajlaj