Deutschland bemüht sich um politischen Einfluss in Nordafrika

Aufbauhilfe für Allah

Die Bundesregierung bemüht sich zum Wohl deutscher Staats- und Kapitalinteressen um Einfluss in den Ländern der ara­bischen Aufstände. Doch die Beispiele Tunesien und Ägypten zeigen: Die Annäherung an die Islamisten führt nicht zu den gewünschten Ergebnissen.

Besonders originell waren die Erklärungen nicht, die der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP) angesichts der jüngsten Auseinandersetzungen in Ägypten abgab. So appellierte er in einer Presseerklärung am 14.August »an alle politischen Kräfte in Ägypten, umgehend zurückzukehren zum Dialog und zu Verhandlungen und eine weitere Eskalation der Gewalt zu verhindern«. Diesen Appell wiederholte der Minister gebetsmühlenartig bei allen öffentlichen Auftritten, bei denen ihm eine Stellungnahme zu den Ereignissen in Ägypten abverlangt wurde. Ähnliches hatte er bereits Anfang August bei einem offiziellen Besuch in Kairo zum Besten gegeben, als er in Gesprächen Regierungs- und Oppositionsvertreter zum Dialog aufgefordert hatte.
Freilich gehört es zum politischen Alltagsgeschäft, solch wohlfeile Phrasen zu produzieren. Gleichwohl kommt in diesen versöhnlerischen Aufrufen aber auch die Angst zum Ausdruck, die gegenwärtigen Entwicklungen könnten die Bemühungen Deutschlands um ökonomischen und politischen Einfluss in Nordafrika seit Beginn der arabischen Revolten zunichte machen. Diese Angst bezieht sich nicht nur auf Ägypten, sondern auch auf Tunesien. Auch das Mutterland des sogenannten arabischen Frühlings ist von einer heftigen innenpolitischen Krise erfasst, und so ließ Westerwelle anlässlich eines offiziellen Besuchs in dem Land Mitte August verlauten: »Das, was in Ägypten passiert ist, das darf in Tunesien nicht geschehen.«

Denn spätestens Ende 2011, als sich nach dem vorläufigen Abflauen der Aufstände der politische Islam als deren wesentlicher Profiteur erwies, begann die deutsche Außenpolitik die Kooperation mit den islamistischen Kräften. So sagte Westerwelle im November 2011 in einem Interview mit der Financial Times Deutschland, es sei »kein Geheimnis«, dass man auf »Arbeitsebene mit den Islamisten« verhandle. Die Bundesregierung vollzog so in der politischen Praxis einen Schritt, zu dem ihr die Agenturen der professionellen Politikberatung schon seit Jahren geraten hatten. Bereits 2007 hieß es in einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Hinblick auf Ägypten, es sei »keine Option«, die »Muslimbruderschaft zu isolieren«. Vielmehr solle deren »Misstrauen« gegenüber dem Westen »in Dialogforen abgebaut werden«.
An Dialogbereitschaft ließ es Deutschland nicht fehlen. Das Auswärtige Amt sagte Tunesien und Ägypten im Rahmen sogenannter Transformationspartnerschaften für 2012 und 2013 jeweils 50 Millionen Euro finanzielle Unterstützung zu. Anfang des Jahres empfing Angela Merkel Mohammed Mursi zu einem offiziellen Staatsbesuch, bei dem es um den Ausbau der politischen und ökonomischen Beziehungen ging. Vor dem Besuch erging sich Mursi in Elogen auf die Möglichkeiten einer Kooperation. So ließ er verlauten, Deutschland habe auf wissenschaftlichem, technologischem und wirtschaftlichem Gebiet viel zu bieten. Sein Land könne im Gegenzug als »Standort für Investitionen« dienen. Kritik an der schon damals unter dem Druck heftiger Proteste stehenden Regierung Mursis wurde von deutscher Seite mit der Begründung abgewehrt, es greife zu kurz, »demokratische Maßstäbe« für Ägypten anzusetzen, wie Stephan Roll, Mitglied der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der SWP, in einem Papier im Januar 2013 schrieb. Da Mursis Präsidentschaft seit dem Amtsantritt 2012 jedoch immer instabil blieb, kam das Arrangement mit Ägypten kaum über das Stadium von Verlautbarungen hinaus. Wesentlich weiter gediehen ist hingegen die Kooperation mit der von der ­islamistischen al-Nahda-Partei dominierten tunesischen Regierung. Sie knüpft fast nahtlos an die vormalig guten Beziehungen zum 2011 gestürzten Regime unter Zine al-Abidine Ben Ali an. So sieht die mit Tunesien bestehende »Transformationspartnerschaft« unter anderem eine Verbesserung der Verwertungsbedingungen für deutsche Unternehmen in dem nordafrikanischen Land sowie eine enge Zusammenarbeit der Repressionsorgane beider Staaten vor.

Im Anhang der im September 2012 verabschiedeten »Gemeinsamen Erklärung« zur »Transforma­tionspartnerschaft« wird klar, was dies bedeutet. So sollen etwa beim Ausbau von »Seehäfen, Flughäfen und Verkehrsinfrastruktur« die Interessen der »deutschen Privatwirtschaft« berücksichtigt werden. Des Weiteren beinhaltet die Kooperation die Förderung »deutscher Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen für die Automotive-Zulieferindustrie in Tunesien«. Diese Maßnahme soll mehreren deutschen Automobilzulieferern, etwa den bayerischen Unternehmen Leoni und Dräxler, zugute kommen, die Tunesien als günstigen Produktionsstandort mit billiger Arbeitskraft nutzen und nun auch mit adäquater Qualifikation rechnen können. Zudem soll das Abkommen garantieren, dass Unternehmen in Deutschland mit günstiger Arbeitskraft versorgt werden. Es sieht unter anderem vor, dass die Ausbildung junger tunesischer Pflegekräfte und ihre Übernahme durch deutsche Krankenhäuser gefördert werden. Dieses Projekt ist mittlerweile in Hamburg unter dem Titel »Transformationspartnerschaft im Gesundheitswesen« (Tapig) angelaufen und kommt in erster Linie den Kliniken der As­klepios-Gruppe zugute, dem größten privaten Klinikbetreiber Europas. Die Teilnehmer sind nach einer dreijährigen Ausbildung dazu verpflichtet, noch fünf wei­tere Jahre für die Asklepios-Kliniken zu arbeiten.
Auch die Kooperation mit den tunesischen Repressionsapparaten hat sehr konkrete Formen angenommen. Ein wesentliches Element ist die Kontrolle der Migration von Afrika nach Europa. Diese soll im Rahmen einer »grenzpolizeilichen Aufbauhilfe« organisiert werden, die einen »regelmäßigen Austausch« mit »nach Tunis entsandten Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamtes und der Bundespolizei« beinhaltet. Ein weiterer Aspekt ist die Bekämpfung gesellschaftlicher Widerstände. Wie aus einer Antwort der Bundesregierung von Anfang April auf eine Anfrage der Fraktion der »Linken« hervorgeht, entsandte das Bundesland Hessen Ende 2012 »im Rahmen der Transformationspartnerschaft Beamte des BKA nach Tunis. Diese klärten die tunesischen Repressionsorgane über »taktische Kommunikation mit Demonstranten sowie polizeiliche Maßnahmen im Rahmen eines Fußballspiels« auf.
Die deutsche »Entwicklungshilfe« auf dem Gebiet der Repressionstechnik soll somit einerseits garantieren, dass die Bewegung der Armutsmigration unter staatlicher Kontrolle bleibt, denn an ihrer Existenz als Quelle billiger Arbeitskraft hat Deutschland durchaus ein Interesse. Andererseits soll der tunesische Staat darin gestärkt werden, den geregelten Gang des kapitalis­tischen Geschäftsbetriebs gegen gesellschaftliche Unruhen abzusichern – was nicht zuletzt auch im Verwertungsinteresse des deutschen Kapitals ist. Dabei dürfte es für Deutschland von geringer Bedeutung sein, ob sich die Repression nun gegen den »Terrorismus« oder streikende Proleten richtet.

Bislang spekulierte Deutschland darauf, im ­politischen Islam einen Bündnispartner zu haben, der liberal genug sein würde, um die ökonomischen Interessen Deutschlands zu bedienen, und gleichzeitig ausreichend repressiv, um alle diese Interessen störenden Elemente abzuwehren. Die gesellschaftliche Wirklichkeit in Ägypten und Tunesien macht dieses Kalkül derzeit zunichte. In Ägypten hat das Militär Mursis Herrschaft beendet, in Tunesien befindet sich die noch regierende al-Nahda-Partei seit der neuerlichen Protestwelle nach der Ermordung des Oppositionspolitikers Mohamed Brahmi und der vorläufigen Auflösung der verfassungsgebenden Versammlung in einer schwierigen Lage. Im internationalen Konkurrenzkampf um die Neuordnung der Ausbeutungsverhältnisse nach den arabischen Revolten steht Deutschland deshalb nicht allzu gut da.