Der Möchtegern-Thriller

Wodka-Martini war wohl nicht im Spiel. Aber das Ganze klingt doch nach einer reichlich abstrusen Story aus der Welt von James Bond. Am 20. Juli statten Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes der angesehenen Tageszeitung The Guardian einen unangemeldeten Besuch ab. Nach Darstellung von Chefredakteur Alan Rusbridger forderten die Herren die Herausgabe von Dokumenten, die der ehemalige NSA-Mitarbeiter Edward Snowden der Redaktion zur Verfügung gestellt hatte. Da der Guardian sich darauf keinesfalls einlassen wollte, bestanden die Geheimdienstler darauf, die Daten zu zerstören. Die Redakteure fügten sich, und dem Dasein des Redaktions-Notebooks wurde mit einem Winkelschleifer und ähnlich schwerem Gerät ein jähes Ende bereitet.
Wer sich nach dem Tod der Festplatte womöglich doch den einen oder anderen Wodka-Martini genehmigte – aus Frust oder aus Stolz –, ist nicht überliefert. Aber klar war allen Beteiligten bereits am Tag der Tat: Sie war ein symbolischer Akt. Kopien des brisanten Materials gab es längst. Und vielleicht können der Guardian wie auch die britische Regierung bis hinauf zu Premierminister David Cameron mit diesem Unentschieden leben. Die einen mögen sich damit brüsten: Wir verteidigen mit all unserer Kraft die Pressefreiheit. Den anderen bleibt die stille Genugtuung, einer unbequemen Zeitung die Macht des Staats demonstriert zu haben. So scheint es zumindest.
Aber der Schein könnte trügen. Klar, mit ihrem polternden Auftritt im Redaktionsgebäude des Guardian hat sich die britische Regierung keinen Gefallen getan. James Bond hätte sich im Auftrag ihrer Majestät sicherlich wesentlich eleganter aus der Affäre gezogen. Und Cameron muss sich zu Recht fragen lassen, warum er es für eine gute Idee hielt, der Pressefreiheit mit einer Schleifmaschine zu Leibe zu rücken. Da reichen selbst der Hinweis auf einen möglichen Geheimnisverrat und die Furcht um die nationale Sicherheit als Begründungen kaum aus. Oder ist der Geheimdienst etwa außer Kontrolle geraten? Diese Variante ließe den Premierminister um keinen Deut besser dastehen.
Allerdings kommt auch der Guardian in diesem Möchtegern-Thriller eher schlecht weg. Wo bleibt der Furor einer nach Aufklärung dunkler Machenschaften dürstenden Zeitung, wenn sie sich ohne Weiteres vor die plumpe Wahl stellen lässt: herausgeben oder zerstören? Und dann noch der fadenscheinige Hinweis, man habe das Zertrümmern von Festplatten zugelassen, um einem Rechtsstreit mit der Regierung aus dem Weg zu gehen. Hätte der Gang vor Gericht nicht einen enormermen Prestigegewinn nach sich ziehen können? Eine merkwürdige Geschichte. Vielleicht versteht man deren wahre Hintergründe erst nach dem Genuss von zwei oder drei Wodka-Martini. Geschüttelt, nicht gerührt.