Der pakistanische Geheimdienst. 5. Teil einer Serie

Die Paten des Jihad

Seit Jahrzehnten destabilisiert der ISI Nachbarstaaten Pakistans mit Hilfe islamistischer Gruppen. Doch westliche Regierungen führen den pakistanischen Geheimdienst nicht auf der Liste der Terrorgruppen, sondern der Verbündeten. Teil 5 einer Serie über Geheimdienste.

Wenn ein pakistanischer General pensioniert wird, muss er sich um seine Rente keine Sorgen machen. Denn er hat dank des militärischen Wirtschaftimperiums mit mehr oder weniger legalen Geschäften im Durchschnitt sechs Millionen Dollar angehäuft, errechnete Ayesha Siddiqa, Autorin des Buchs »Military Inc.: Inside Pakistan’s Military Economy« und ehemalige Analytikerin bei der pakistanischen Marine. Doch viele Angehörige der uniformierten Oligarchie wollen nicht einfach nur ihren Reichtum genießen, sondern ihre Mission fortsetzen.
Zu ihnen gehört Hamid Gul. Offiziell leitete er den Geheimdienst Directorate of Inter-Services Intelligence (ISI) von 1987 bis 1989, drei Jahre später schied er aus dem aktiven Dienst aus, doch er blieb einflussreich. Gul spielte in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre eine wichtige Rolle beim Aufbau der Taliban, und bereits 1989 befürwortete er den globalen Jihad: »Die Kommunisten haben ihre Brigaden, der Westen hat die Nato, warum sollen wir Muslime uns nicht zu einer gemeinsamen Front vereinigen?« Die Gruppe um Ussama bin Laden sei »die erste internationale Brigade der modernen Zeit«, erläuterte er dem Journalisten Ahmed Rashid.
Nach Angaben der indischen Behörden war Gul noch in jüngerer Zeit operativ tätig. Die Polizei von Delhi gab Mitte August bekannt, dass er seit 1995 im Kontakt mit Abdul Karim Tunda gestanden habe, einem mutmaßlichen Bombenexperten der Terrorgruppe Lashkar-e-Taiba, die unter anderem für das Massaker in Mumbai verantwortlich ist, bei dem 2008 etwa 170 Menschen getötet wurden. Doch möglicherweise wurde Tunda gefoltert, seine Aussage kann nicht als zuverlässig gelten.

Dass Pakistan zumindest in der Vergangenheit in Indien operierende Terrorgruppen »geschaffen und unterstützt« hat, räumte 2009 jedoch sogar Präsident Asif Ali Zardari ein, und sein Vorgänger, der Militärherrscher Pervez Musharraf, sieht Pakistan berechtigt, auf diese Weise »seine Interessen zu verfolgen, wenn Indien nicht bereit ist, die Kaschmir-Frage in den Vereinten Nationen zu diskutieren und die Sache friedlich zu lösen«. Die jihadistischen Gruppen verfolgen jedoch auch eigene Interessen, nicht jeder Anschlag in Indien wurde vom ISI geplant.
Der ISI befasst sich intensiv mit dem Versuch, Afghanistan zu einem pakistanischen Klientelstaat zu machen. Die Enthüllungen von Wikileaks belegen, dass der ISI jihadistische Gruppen unterstützt – unter anderem wurden 1 000 Motorräder für Selbstmordattentate an das Haqqani-Netzwerk geliefert – und die Amerikaner darüber informiert sind. Auch beim BND weiß man Bescheid. Kurz vor einem Besuch des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, dessen Termin geheimgehalten wurde, stellte sich 2011 heraus, dass der ISI die Kommunikation des German Police Project Team abhörte und die Informationen mutmaßlich an die Taliban weitergab.
Eigentlich müsste der ISI auf der Liste der terroristischen Organisationen stehen, und bei den verhörenden US-Beamten in Guantánamo ist dies auch der Fall, wie ein von Wikileaks veröffentlichtes Dokument belegt. Nach den Anschlägen vom 11. September sorgte die US-Regierung, die Pakistan mit Kriegsdrohungen zur Kooperation gezwungen hatte, zwar für die Entlassung einiger Dutzend der CIA als besonders verdächtig geltender Mitarbeiter des ISI. Geändert hat sich die Politik des pakistanischen Geheimdiensts jedoch nicht. Zwar half der ISI bei der Ergreifung hochrangiger islamistischer Terroristen, deshalb gilt er weiterhin als unverzichtbarer Partner der westlichen Geheimdienste. Doch mag die pakistanische Oligarchie auch über ein langsam zerfallendes Land mit einer dürftigen industriellen Basis und einem erbärmlichen Bildungssystem gebieten – ihre Großmachtambitionen hat sie nicht aufgegeben, und als wichtiges Instrument zu deren Verwirklichung gelten die Jihadisten.
Bekennende Jihadisten wie Gul sind die Ausnahme in hohen Militärrängen, angesichts jahrzehntelanger islamistischer Infiltration ist allerdings unklar, wieviele Sympathisanten es gibt. Der durchschnittliche pakistanische General ist ein muslimischer Reaktionär, der die Gesellschaft unter einem strikten patriarchalen Reglement halten will, aber nichts vom Kalifat oder anderen islamischen Staatsmodellen hält, die ihn in die zweite Reihe der Mächtigen verbannen würden; außerdem ein fanatischer Nationalist, der Indien hasst; und ein Militarist, der die Kontrolle der zivilen Politik für sein gottgegebenes Recht hält.

Der ISI befasst sich auch mit den üblichen nachrichtendienstlichen Angelegenheiten, ist faktisch aber vor allem eine Abteilung des Militärs für Spezialoperationen. Zweifellos trug der Geheimdienst auch zum Aufbau des Netzwerks des Atomwissenschaftlers Abdul Qadeer Khan bei, das Filialen in mindestens 30 Staaten unterhielt und unter anderem Nordkorea, Libyen und den Iran mit nuklearem Material und Know-how belieferte. Der Generaldirektor des ISI wird offiziell vom Premierminister, tatsächlich aber vom Generalstabschef ernannt und muss ein General sein. Auch die mindestens 10 000 Mitarbeiter werden fast ausschließlich aus militärischen Einheiten rekrutiert. Akten müssen sie nicht schreddern, denn eine Einmischung ziviler Kontrolleure ist nicht vorgesehen. Farhatullah Babar, ein Sprecher Präsident Zardaris, schlug im vorigen Jahr ein Gesetz zur Rechenschaftspflicht des Geheimdiensts vor, das aber schon vor der Debatte im Parlament zurückgezogen wurde.
Zardari hat guten Grund, dem ISI zu misstrauen. Denn der Geheimdienst oder dessen islamistische Fraktion war möglicherweise an der Ermordung seiner Ehefrau Benazir Bhutto Ende 2007 beteiligt. Wenige Monate zuvor hatte Bhutto in einem Brief an Musharraf auf gegen sie gerichtete Mordpläne hingewiesen und unter anderem Gul als Urheber genannt. Auch Musharraf selbst steht unter Verdacht, der 2008 entmachtete Militärherrscher muss mit einer Anklage rechnen. Der ISI ließ in der vorigen Woche eine angeblich damals der Regierung zugestellte Attentatswarnung veröffentlichen, um sich zu entlasten.
Auch Bhuttos Pakistan People’s Party (PPP) ist Teil des oligarchischen Systems, doch gab es immer wieder Spannungen mit dem ISI. So war es Bhutto, die Gul 1989 feuerte, weil er eine wich­tige Operation in Afghanistan verpatzt hatte. Später unterstellte die PPP dem Geheimdienst Mithilfe beim Wahlbetrug und finanzielle Unterstützung konkurrierender Politiker. Letzteren Vorwurf bestätigte ein beteiligter Banker im vorigen Jahr als Zeuge vor Gericht. Viele pakistanische Juristen bemühen sich um rechtsstaatliche Verhältnisse, doch sie leben gefährlich. Staatsanwalt Chaudhry Zulfiqar Ali, der den Anschlag auf Bhutto untersuchte, wurde im Mai erschossen. Dieser Fall wurde ebenso wenig aufgeklärt wie die Ermordung des Journalisten Syed Saleem Shahzad im Jahr 2011, der zuletzt über die Unterwanderung der Marine durch al-Qaida recherchiert hatte.
Da die Demokratiebewegung in Pakistan weiterhin schwach ist, droht dem ISI von dieser Seite kaum Gefahr. Die US-Operation gegen Ussama bin Laden, der jahrelang unbehelligt in unmittelbarer Nähe wichtiger Militäranlagen lebte, schadete jedoch dem Ruf des Geheimdienstes nicht nur in den USA, sondern aus einem anderen Grund auch im eigenen Land – es gibt Zweifel an der Professionalität. Neuer Direktor des ISI ist seit vorigem Jahr Zahir ul-Islam. Kritische Debatten gab es aus Anlass des Führungswechsels nicht, doch wurde kolportiert, er sei mit einem indischen Offizier und einem Bollywood-Star verwandt. Der ISI hat diesen schrecklichen Verdacht umgehend dementiert.