Rassistische Hetze ist in Berlin kein Monopol der Ostbezirke

Flüchten verboten

Die rassistischen Proteste von Anwohnern und Nazis gegen ein Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf haben Schlagzeilen gemacht. Doch gleichgültig, wo in Berlin eine Unterkunft für Asylbewerber eröffnet werden soll: Nachbarn, Rechtsextreme, Politiker und Behörden versuchen, dies zu verhindern.

Mitte Juli veröffentlichte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Halbjahresbericht für das Jahr 2013. Insgesamt wurden den Angaben zufolge 43 016 Erstanträge auf Asyl gestellt, eine Steigerung zum Vorjahreszeitraum um 86,5 Prozent. 4 779 Personen wurden als Flüchtlinge nach der Genfer Konvention anerkannt. 5 228 Personen erhielten den sogenannten subsidiären Schutz, sie dürfen wegen schwerwiegender Gefahren für Freiheit, Leib oder Leben nicht abgeschoben werden, obwohl ihnen kein Asyl gewährt wird. Angesichts der größeren Zahl an Flüchtlingen ist es selbstverständlich nötig, mehr Unterkünfte bereitzustellen. Doch dort, wo diese entstehen sollen, regt sich häufig rassistischer Protest.

Die Berliner Verwaltung rechnet in diesem Jahr mit 7 300 aufzunehmenden Flüchtlingen, weshalb in der Stadt seit Monaten hektisch nach Orten für neue Sammelunterkünfte gesucht wird. Der Versuch, die Flüchtlinge in einzelnen Wohnungen unterzubringen, gestaltet sich offenbar äußerst schwierig. »Denn das preisgünstige Marktsegment teilt sich der Flüchtling mit Hartz-IV-Empfängern, Studenten und anderen Menschen mit geringem Einkommen«, sagte Franz Allert kürzlich der Taz. Er ist Präsident des Landesamts für Gesundheit und Soziales, seine Behörde ist zuständig für die Unterbringung von Flüchtlingen in Berlin.
Gegen die Nutzung großer Sammelunterkünfte protestieren jedoch seit Monaten Lokalpolitiker und Anwohner in den Stadtbezirken Reinickendorf, Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg, Tempelhof-Schöneberg und Marzahn-Hellersdorf. Bundesweite Schlagzeilen machen derzeit vor allem die Nachbarn einer neuen Flüchtlingsunterkunft im östlich gelegenen Stadtteil Hellersdorf, die sich gemeinsam mit NPD-Funktionären und örtlichen Nazis mehrfach zu einem Mob zusammenrotteten und das Bild der hässlichen Ostdeutschen abgaben (Reportage Seiten 10 –11).
Doch rassistische Hetze und die Ablehnung von Flüchtlingsunterkünften in der Nachbarschaft sind bei weitem kein Ostberliner Monopol. In den westlichen Bezirken haben sie aber ein anderes, bürgerlicheres Erscheinungsbild. In Reinickendorf verschickte beispielsweise der CDU-Stadtrat Martin Lambert im Mai voller Empörung einen Brief an Anwohner einer Unterkunft für Asylbewerber, in dem die Anschrift der Betreiberfirma und die Nummern der Mobiltelefone der beiden Geschäftsführerinnen abgedruckt waren. Zudem versicherte er, der Bezirk Reinickendorf werde »negative Einflüsse« für die Anwohner »unterbinden«. Die Bezirksverwaltung sperrte das Heim dann vorübergehend wegen Brandschutzmängeln, zuständiger Stadtentwicklungsstadtrat war Lambert. Der Betreiber war daraufhin gezwungen, Brandwachen auf jedem Flur zu beschäftigen.
Reinickendorfer Wutbürger verstanden den Wink und verboten den im Heim lebenden Kindern, auf einem privaten Spielplatz direkt gegenüber der Einrichtung zu spielen. »Wir haben Angst, dass die Flüchtlinge uns anstecken«, sagte ein Mitglied des Verwaltungsbeirats der Eigentümergemeinschaft im Juni der Berliner Zeitung. Dass ein Flüchtling mit TBC im Heim lebe, wisse er von einem Informanten.

In Kreuzberg vertritt der CDU-Politiker Kurt Wansner, der im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, den deutschen Volkswillen. Hunderte Unterschriften sammelte er für die Räumung des Flüchtlingcamps auf dem Oranienplatz. Schon im Dezember engagierte sich Wansner gegen eine geplante Unterkunft für Asylbewerber, die in einem ehemaligen Seniorenheim entstehen sollte, und versuchte, die Anwohner gegen das Vorhaben aufzubringen. Anwohner des Görlitzer Parks, eines beliebten Flecks in Kreuzberg, rufen derzeit Politiker und Polizei dazu auf, gegen Dealer vorzugehen, die dort Marihuana verkaufen. Viele Dealer sind Flüchtlinge, die häufig illegal in Deutschland leben.
Gleich um die Ecke, im Bezirk Neukölln, wurde die CDU tatkräftig von der NPD dabei unterstützt, die Einrichtung eines Asylbewerberheims zu verhindern. Nachdem die CDU im Oktober eine Bürgerversammlung zum Thema im Ortsteil Rudow veranstaltet hatte, luden die Kameraden kurz darauf zur öffentlichen Demonstration. Im Februar wurde dann bekannt, dass das Bezirksamt einen anderen Ort für die Unterbringung der Flüchtlinge bevorzugt.
Nicht immer müssen es Flüchtlinge sein, die für Empörung sorgen. Vier Monate später entstand im selben Bezirk auf Drängen der »Initiative Stuttgarter Straße« ein Runder Tisch, an dem sich die Stadträtin Franziska Giffey (SPD) beteiligte. Die Initiative hatte in der Stuttgarter Straße Probleme wie »Lärm und Schmutz«, »laute Musik aus den Fahrzeugen, quietschende Reifen beim An- und Abfahren, lautes Hupen«, »bis spät in die Nacht herumtobende Kinder« und weitere vermeintlich »unzumutbare Belastungen« ausgemacht. Diese lastete sie den in einem Haus in der Stuttgarter Straße wohnenden »rumänischen und bulgarischen Großfamilien« an.

Doch nicht nur die Anwohner werden einfallsreich, um unliebsame Nachbarn fernzuhalten. Als Anfang August im Bezirk Treptow-Köpenick ein Gebäude als Unterkunft für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt werden sollte, das im Stadtteil Oberschöneweide liegt, erhob die Verwaltung Einspruch. »Schöneweide ist durch rechtsextreme Kreise belastet«, begründete der Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) seine Entscheidung im Gespräch mit der Taz. Man müsse damit rechnen, dass die Flüchtlinge »angepöbelt und körperlich angegriffen« würden. Die Kapitulation vor den örtlichen Nazibanden verteidigte Igel wie folgt: »Die Verantwortung, dass es zu Übergriffen kommen könnte, kann ich nicht auf mich nehmen.« Dass 138 Menschen deshalb nun in Notunterkünften dahinvegetieren müssen, scheint Igel aber verantworten zu können.
Die Kniffe, mit denen Bezirksverwaltungen versuchen zu verhindern, dass in ihrem Einflussbereich eine unerwünschte Asylbewerberunterkunft angesiedelt wird, sind mannigfaltig. Wie im Mai während einer Debatte im Abgeordnetenhaus öffentlich wurde, hatte der Bezirk Mitte das Land Berlin unter Hinweis auf das Bauplanungsrecht mehrfach aufgefordert, eine Unterkunft zu räumen, was dem für das Heim zuständigen Beamten zufolge aber die Obdachlosigkeit der Flüchtlinge zur Folge gehabt hätte. Im Falle einer privaten Betreiberin versuchte der Bezirk im April, die Unterbringung von Asylbewerbern schlicht und einfach zu untersagen. Die Verwaltung von Neukölln bietet dem Land ein ehemaliges Krankenhaus an, dessen Eigentümer überhaupt kein Interesse an der Unterbringung von Flüchtlingen hat.
Einer Umfrage der Berliner Zeitung zufolge würden sich nur 41 Prozent der befragten Berliner nicht durch ein Asylbewerberheim in der Nachbarschaft gestört fühlen. Fast 30 Prozent der Befragten fürchten sich vor wachsender Kriminalität und Gewalt, fast 20 Prozent erwarten soziale Spannungen, wenn ein solches Heim in ihrem »Kiez« angesiedelt würde. Angesichts solcher Zahlen ist es nicht weiter verwunderlich, dass es Flüchtlinge in Berlin nicht leicht haben.