Über feministische Comics

It’s Spring Break!

Vor zehn Jahren gründeten Zeichnerinnen in Hamburg ihr eigenes Comic-Magazin. Spring ist das einzige deutschsprachige Heft, das ausschließlich von Frauen gezeichnet und produziert wird. Jonas Engelmann hat die Herausgeberinnen interviewt und die Geschichte des feministischen Comic in Deutschland und den USA erkundet.

Als die männlichen amerikanischen Comic-Superhelden während des Zweiten Weltkriegs ihre Armee unterstützten und gegen Nazi-Deutschland in die Schlacht zogen, einen Typen namens Hitler vermöbelten (Captain America) oder ihn vor ein Gericht des Völkerbundes stellten (Superman), blieben die Frauen in den Vereinigten Staaten zurück. Sowohl die realen Frauen wie auch die weiblichen Figuren im Comic. Zwar hatte der Comic in den vierziger Jahren nicht viele Heldinnen vorzuweisen, dafür jedoch ein paar eindrucksvolle Persönlichkeiten. Etwa Miss Fury, die erste Superheldin, die von einer Zeichnerin entwickelt worden ist. June Tarpé Mills musste wie ihre Zeitgenossin Dale Messick, Zeichnerin der Stripserie um die Reporterin Brenda Starr, auf Druck ihres Verlegers ihre weibliche Identität durch einen geschlechtlich uneindeutigen Namen verschleiern und sich Tarpe Mills nennen.
In dem zunächst unter dem Namen »Black Fury« publizierten Comic geht die gelangweilte, wohlhabende Erbin Marla Drake in einem schwarzen Leopardenfell, das ursprünglich bei spirituellen Zeremonien eines afrikanischen Medizinmanns zum Einsatz kam und mysteriöse übernatürliche Kräfte verleiht, von 1941 an als Miss Fury auf Verbrecherjagd. Und während ihre männlichen Kollegen in Europa mit der Naziherrschaft aufräumten, bekam es Miss Fury mit in die USA geflohenen Nationalsozialisten zu tun: Ihre Erzfeindin ist eine Adelige mit dem sprechenden Namen Baroness Erica von Kampf, die bis Ende der Vierziger immer wieder in den Strips auftaucht und ebenso wie der zwielichtige deutsche General Bruno von Miss Fury in die Schranken gewiesen werden muss. Nebenbei: Wer wissen will, woher Quentin ­Tarantinos Idee aus »Inglorious Basterds« stammt, gefangene Nazis mit einem Hakenkreuz auf der Stirn zu markieren, damit ihre Täterschaft sichtbar bleibt, dem sei Miss Fury empfohlen. Ein solches Hakenkreuz trägt unfreiwillig Erica von Kampf auf der Stirn.
Schon vor dem ersten Auftritt Miss Furys waren Frauen in den USA an der Produktion von Comics beteiligt – und haben die Kunstform benutzt, um die ihnen zugeschriebene Rolle in der Gesellschaft zu kritisieren. Bereits eine der ersten Comic-Zeichnerinnen, Rose O’Neill, die im Jahr 1896 im Alter von 15 Jahren mit dem Zeichnen begann, forderte in einem Cartoon das Wahlrecht für Frauen: »Give Mother the vote! Our food, our health, our play, our homes, our schools, our work are ruled by men’s votes.« Auf den ersten Blick steht der politische Anspruch im Widerspruch zur Niedlichkeit der Zeichnungen mit all den hübschen Kewpies, kulleräugigen Babys, die es auch als Puppen zu kaufen gab. Solch eine versöhnliche Ästhetik widersprach in der Frühzeit des Comic jedoch nicht der politischen Haltung der Zeichnerinnen, ob diese sich nun wie bei O’Neill in der Comicwelt oder wie bei ihrer Kollegin Grace ­Wiederseim – unter anderem Schöpferin der Campbell Kids, Werbefiguren für Campbell Soups – in politischem Engagement außerhalb der künstlerischen Arbeit niederschlug: Wiederseim war nicht nur eine der ersten freischaffenden Zeichnerinnen, sondern auch Gründerin des Philadelphia Plastic Club, eines Vereins mit dem Ziel, Frauen in der Kunstwelt zu unterstützen und ihnen ein besseres Wissen über Kunst zu vermitteln. Und auch Kate Carren, die ab 1902 den Strip »The Angel Child« produ­zierte, ein eher unpolitischer Funny-Strip, hat sich in Interviews immer wieder feministisch geäußert, sich für das Frauenwahlrecht eingesetzt und Satiren über die herrschende Frauenfeindlichkeit geschrieben.
Einen solchen Anspruch versucht auch das Hamburger Comic-Magazin Spring zu verwirklichen, das in diesem Sommer sein zehnjähri­ges Bestehen feiert. Das ausschließlich von weiblichen Zeichnerinnen als Kollektiv organisierte Magazin sieht seine Aufgabe weniger in der Formulierung klarer feministischer Positionen als vielmehr darin, in der nach wie vor von Männern dominierten Comic-Szene eine Vorbildfunktion für junge Zeichnerinnen einzunehmen. Die beiden Spring-Mitarbeiterinnen Barbara Yelin und Larissa Bertonasco erklären via E-Mail: »An explizit feministischen Comicprojekten haben wir uns nicht orientiert, und die Entscheidung, ein Frauenmagazin zu werden, hatte mehrere Gründe, nicht nur politische. Die Frage nach der feministischen Positionierung kam dann eher von außen, das wurde uns tatsächlich erst durchs Machen klar und durch das Feedback, und damit haben wir uns dann oft auseinandergesetzt.« Und sie fügen hinzu: »Aber Spring besteht aus vielen Mitgliedern und deshalb auch aus vielen Meinungen, die sich gerade bei dieser Frage unterscheiden. Die einen möchten wirklich explizit die Arbeit von Künstlerinnen fördern, eben auch weil Frauen im Kulturbereich immer noch unterrepräsentiert sind. Anderen gefällt die Gruppe einfach, und die dritten können die Frauenfrage überhaupt gar nicht mehr hören. Gemeinsam ist uns vor allem immer die Lust am Machen und am Ausprobieren gewesen.« Yelin und Bertonasco führen aus: »Spring lebt das ganze Jahr, wir fahren miteinander auf Zeichenreisen, tauschen uns online rege aus, über das Magazin, wie es weitergeht, was uns bewegt und wie wir den Wind frischhalten können. Es geht inzwischen auch viel um unsere eigene Weiterbildung, nicht mehr nur ums Zeichnen, sondern auch ums Lehren, darum, Jüngere zu fördern. Dass wir nebenbei über Dinge wie Vereinbarkeit von Beruf und Elternschaft, über Gleichberechtigung in der Partnerschaft und über Professionalisierung sprechen, war dabei immer wichtig, und passiert ganz von allein.«
Dabei müssen junge Comic-Zeichnerinnen heute an zwei Fronten kämpfen: sich zum einen als Frauen in der Comic-Szene behaupten und sich zum anderen mit dem Frauenbild im Comic außeinandersetzen, das während der nunmehr über 100 Jahre andauernden Geschichte des Mediums maßgeblich von Männern bestimmt wurde.
Gegen männliche Dominanz kämpften schon die amerikanischen Vorläuferinnen des Hamburger Kollektivs an, die bereits in der Frühzeit des Comic damit begonnen hatten, das dort vorherrschende Frauenbild zu kritisieren und zu verändern. Nell Brinkley zum Beispiel, die im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts als Illustratorin beim New York Evening Journal ­angefangen hatte, entwickelte die sogenannten Brinkley Girls, temperamentvolle, unabhängige Frauen, die sich mit Themen wie der Verweigerung des Wahlrechts für Frauen auseinandergesetzt haben oder auch mit der ökonomischen Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt. Und Edwina Dumm, ab 1915 die erste festangestellte Cartoonistin und die erste Frau, die im Januar 1917 im Magazin Cartoons porträtiert worden ist, zeichnete ab 1915 einen Comicstrip namens »The Meanderings of Minnie«, in dem sie die Abenteuer des Teenagers Minnie und ­ihres Hundes erzählt. Minnie würde man heute als Tomboy bezeichnen, kurzhaarig und aufmüpfig. Solche Frauenfiguren hatte es vorher im Comic nicht gegeben – und auch danach nicht sehr viele.
Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der US-amerikanischen Comic-Branche Männer natürlich in der Mehrheit waren, besser bezahlt wurden und das Frauenbild im Comic maßgeblich prägten – dennoch gab es in der Frühzeit des Comic eine Vielzahl Frauen, die auch politische Intentionen in ihre Arbeiten eifließen ließen.
In Europa gab es in dieser Zeit weder solche Zeichnerinnen noch politische, feministische Comics. Zumindest ist über die Geschichte von Frauen in der ohnehin kaum mit der ameri­kanischen vergleichbaren europäischen »Comic-Industrie« wenig bekannt. Dies kann natürlich auch am mangelnden Interesse an der Aufarbeitung liegen. Während in den USA vor allem die feministische Comic-Zeichnerin und -Historikerin Trina Robbins in zahlreichen Büchern vergessene, übersehene und im Hintergrund arbeitende Zeichnerinnen porträtiert hat, fehlt eine solche Spurensuche für den europäischen Raum. Zeichnerinnen aber kann man auch in Deutschland durchaus finden. Sei es die Illus­tratorin Dora Baum, die Anfang des 20. Jahrhunderts Bildergeschichten für die Kinderzeitschrift Jugendlust schuf, aber auch 1920 den ersten Adventskalender mit Türchen für den Verlag Reinhold & Lang entwarf. Oder Hulda von Levetzow mit ihrer weiblichen »Max und Moritz«-Version mit dem Titel »Lies und Lena, das bekannte Schwesternpaar« von 1905. Nach 1945 fingen Frauen an, mit dem Medium zu arbeiten, so die heute völlig vergessenen Zeichnerinnen von Jugendcomics, Nina Castrièl und Charlotte Heiliger, oder Mary Kother, die versuchte, mit einer modernisierten Version des »Struwwelpeter« Erfolg zu haben. Im Vergleich zu amerikanischen Comics wie »Miss Fury«, »Brinkley Girls« oder »Torchy Brown« – dem ersten Comicstrip einer afroamerikanischen Zeichnerin, Jackie Ormes – erscheinen die deutschen Comics von Zeichnerinnen jedoch inhaltlich und ästhetisch bieder (wie auch die Pendants ihrer männlichen Kollegen dieser Zeit). Sie konnten auf keinen Fall als Vorbild für nachfolgende Generationen von Comic-Zeichnerinnen dienen.
Erst mit dem Feminismus der siebziger Jahre entstand eine neue Generation von Zeichnerinnen, von denen viele bis heute eine Rolle spielen. Wiederum war diese Entwicklung maß­geblich vorangebracht worden von der amerikanischen Comic-Szene, wo sich im Zuge der ­Underground-Comic-Revolution der siebziger Jahre auch feministische Comic-Kollektive gründeten – oftmals auch als Reaktion auf den Sexismus der männlichen Underground-Künstler, die in ihren Comics oft genug die gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse reproduzierten. 1970 erschien mit »It Ain’t Me Babe« das erste Comic-Heft ausschließlich von Frauen, begründet von der bereits erwähnten Trina Robbins. Aus diesem Projekt erwuchs die von einem Herausgeberinnenkollektiv organisierte und bis 1992 existierende Heftreihe »Wimmen’s Comix«, die zahlreiche Themen aufgriff, die in der Zweiten Frauenbewegung ebenfalls eine zentrale Rolle spielten, im Comic aber vorher noch nicht thematisiert worden waren: sexuelle Gewalt, Abtreibung oder lesbische Beziehungen. Es erschienen Comic-Magazine wie Tits & Clits (1972 – 1987, herausgegeben von Joyce Farmer und Lynn Chevely), die sich explizit mit dem Sexismus der männlich dominierten Comic-Szene beschäftigten und der dort gezeigten weiblichen Sexualität eine eigene, selbstbewusste Darstellung entgegenhielten. Diese neuen Comic-Formate wurden auch in Europa verwendet, etwa in Frankreich, wo Claire Bretécher von 1973 an ihre Serie »Die Frus­trierten« zeichnete. In Deutschland entwickelten Marie Marcks und Franziska Becker eine feministische Comic-Sprache, die sich auf die Tradition der politischen Karikatur bezog. Und doch dauerte es noch einmal über ein Jahrzehnt, bis in den Neunzigern in Deutschland Magazine wie XX von Evelin Höhne und Lilian Mously erschienen, für das Zeichnerinnen wie Jule K., Minou Zaribaf, Elke Steiner, Anke Feuchtenberger und Ulli Lust arbeiteten. Viele dieser Zeichnerinnen sind in den darauffolgenden Jahren mit größeren eigenen Arbeiten bekannt geworden, etwa die Spring-Zeichnerin Ulli Lust mit ihrer Graphic Novel »Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens« über das Weiterleben einer Frau nach einer Vergewaltigung. Obwohl Comic-Zeichnerinnen in den Neunzigern neue Themen in die Comic-Kultur einbrachten, war die deutschsprachige Comic-Szene zu diesem Zeitpunkt nach wie vor in Männerhand.
Im Interview schildern Barbara Yelin und Larissa Bertonasco die Situation bei der Gründung ihres nicht-kommerziellen Comic-Magazins: »Als wir 2004 das erste Spring rausbrachten, war die Comic-Szene durchaus von männlichen Kollegen dominiert, und wir haben schon dazu ein Gegengewicht schaffen wollen. Viele der Zeichnerinnen der ersten Ausgabe hatten bei Anke Feuchtenberger studiert, die Zeichnerinnen sehr motiviert und ihnen den Rücken gestärkt hat. Sie war und ist für viele von uns in ihrem Selbstverständnis als Künstlerin ein Vorbild.«
Das Herausgeberinnenkollektiv will sich nicht auf einen Stil oder ein Genre festlegen: »Unsere Arbeiten sind zu oft durchgerutscht bei Verlagen oder Magazinen: fürs Comic-Erzählen zu experimentell und zu unkonkret, für die freie Kunst wiederum zu erzählerisch, und für die ­Illustration zu unangepasst und ›unbrauchbar‹. Deshalb entstand der Bedarf nach dem ›Zwischenraum‹, den Spring aufgemacht hat.« Wichtig ist den Zeichnerinnen die kollektive, nicht-hierarchische Redaktionsarbeit: »Nicht nur in der gestalterischen Ausrichtung, sondern auch in unserer Struktur haben wir von Anfang an ausprobiert, was uns von vielen anderen Magazinen unterscheidet: als Gruppe demokratisch zu arbeiten. Alle Aufgaben werden verteilt, alle Entscheidungen abgestimmt, und die künstlerische und organisatorische Weiterentwicklung wird immer von allen mitbestimmt.«
Jede Ausgabe von Spring hat einen Themenschwerpunkt, von »Wandlungen« über »Verbrechen« bis zu »Happy Ending«. Die meisten Ausgaben sind als Anthologien konzipiert, die unterschiedliche ästhetische Formen bündeln – vom klassischen Erzählen in Comic-Form bis hin zu freien künstlerischen Annäherungen an den Gegenstand. Die neunte Ausgabe von Spring hat mit dieser Form gebrochen und übersetzt Goethes Epos »Reinecke Fuchs« in die Form des Comic, umgesetzt in den unterschiedlichen Stilen der vielen beteiligten Zeichnerinnen. Für die Jubiläumsnummer schließlich wurde wiederum ein neues Konzept entwickelt. Unter dem Titel »ABC of Tragedy« ist ein Lexikon zum Thema Tragödie entstanden, das neben Werken der Spring-Mitarbeiterinnen auch zahlreiche Gastbeiträge von Zeichnerinnen aus aller Welt, wie Åsa Grennvall, Kate Foster und Kyung-Hwa Choi-Ahoi, enthält. Ebenfalls enthalten ist ein Gastbeitrag von Anke Feuchtenberger, deren Bedeutung für die Entwicklung der deutschsprachigen Comic-Szene die beiden Herausgeberinnen immer wieder betonen. Kurz vor dem Mauerfall hatte Feuchtenberger zusammen mit Henning Wagenbreth, Holger Fickelscherer und Detlef Beck die »Produktionsgenossenschaft des Handwerks«, genannt »PGH Glühende Zukunft«, gegründet. Heute ist Feuchtenberger Professorin für Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg und in dieser Position zu einer Lehrerin für unzählige junge Zeichnerinnen geworden.
»Ein Vorbild war sicher Anke Feuchtenberger, die die Möglichkeiten, Geschichten mit Bildern zu erzählen, erweitert und ganz neu definiert hat – auf einmal gab es dafür so viel mehr Möglichkeiten als nur den klassische Comic – ,was sich ja auch in dem Konzept des Heftes widerspiegelt«, erzählen Yelin und Bertonasco. Vorbilder sind viele der Zeichnerinnen des Spring-Kollektivs heute selbst, mit Ausstellungen in der ganzen Welt und dem international ausgerichteten Magazin, das eine englische Über­setzung der Texte enthält. Das Spring-Netzwerk ist Anlaufstelle für junge Zeichnerinnen und führt die Vorarbeiten der unzähligen Vorläuferinnen in der Comic-Szene weiter. Dabei setzt es nach wie vor auf ästhetisch anspruchsvolle, sperrige Arbeiten, denen man unzählige Nachfolgerinnen und weitere zehn Jahre und Ausgaben wünscht – mindestens.

»Spring« #10: ABC of Tragedy, 250 Seiten, 16 Euro