Über die Partei der Nichtwähler

Klischee ­Nichtwähler

Die Wahlverweigerung ist ein politischer Akt.

Mindestens ein Sieger der Bundestagswahl steht jetzt schon fest: die »Partei der Nichtwähler« (PDN). Die Bundestagswahl 2013 wird wohl als diejenige mit der niedrigsten Beteiligung seit Gründung der BRD in die Geschichte eingehen. Das politische Leben scheint wie paralysiert, dennoch hat die Debatte vor der Wahl zur Rehabilitation der Nichtwähler beigetragen. Deren Haltung speist sich keineswegs nur aus dem reaktionären Ressentiment gegen »die da oben«. Nichtwähler erweisen sich vielfach als heterogen, reflektiert und keineswegs per se apolitisch.
Dass die Parteien an Bindekraft verlieren und gerade die Angehörigen der Unterschicht den Wahllokalen fernbleiben, ist ein Allgemeinplatz. Mit einer Wahlbeteiligung von rund 90 Prozent bis Mitte der achtziger Jahre stellte die BRD ohnehin eine vom Kalten Krieg und von der relativen Stabilität des »rheinischen Kapitalismus« geprägte Ausnahme dar. Diese Zeiten sind vorbei. Wer sein Dasein als Hartz-IV-Aufstocker fristen muss, ist für die Wahlspots der Parteien wenig empfänglich. Dennoch ist der Nichtwähler als Idealtypus eine Sondergattung des zoon politikon.
Die PDN hat kein kohärentes Programm. Ihre Mitglieder sind jedoch weder allesamt politik- oder parteienverdrossen, wie die Krise der Repräsentation von den Medien begründet wird, noch gehören ihre wichtigsten Vertreter zum abgehängten Prekariat. Mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer und dem Philosophen Peter Sloterdijk hat die PDN in diesem Jahr zwei prominente Anhänger gewonnen. Beide stehen für unterschiedliche Fraktionen von Intellektuellen, die vor allem mit Blick auf die Eurokrise das kleinere Übel, das es sonst zu wählen galt, nicht mehr erkennen können. Sloterdijk, der einstige Kritiker der »zynischen Vernunft«, erspart sich durch das Votum für einen wahlfreien Sonntag auch die narzisstische Kränkung, dass in der parlamentarischen Demokratie die Stimme des Professors genau so viel wie die eines jeden Proleten gilt. Radikale Linke, für die der Wahlakt lediglich eine bürgerliche Herrschaftstechnik ist, mit der jene Gesetze legitimiert werden, die sich gegen die lohnabhängige Mehrheit richten, haben für die historische Errungenschaft der allgemeinen Wahlen nichts übrig. Diese Linken zählen traditionell zu den Nichtwählern, sind aber hochpolitisch.
Auch jenseits dieser kleinen radikalen Minderheit zeigt sich ein vielschichtiges Bild. Manfred Güllner, Geschäftsführer des Forsa-Instituts, der für die Friedrich-Ebert-Stiftung eine Studie über die »Nichtwähler in Deutschland« erstellt hat, weist darauf hin, dass diese für ihre Haltung oft ausdrücklich politische Gründe geltend machen. Das Bild von den apathischen Nichtwählern ist ein Klischee. Als »Wähler auf Urlaub« bezeichnet Güllner deshalb die meisten Verweigerer. Mit Blick auf seine eigenen Ergebnisse müsste er jedoch hinzufügen, dass sich das Ferienareal seiner Untersuchungsobjekte auf den eigenen Balkon oder den nahen Baggersee beschränken dürfte. Das Prekariat wünscht sich folglich eine »Politik des Kümmerns«, die freilich von links bis rechts besetzt werden kann.
So spaltet sich die PDN idealtypisch in zwei Lager: die Minderheit der Intellektuellen, die den programmatischen Wurf vermissen, und die große Mehrheit jener bunten Schar der Prekären, für die »Politik« jenseits der Wahlplakate Niedriglöhne, befristete Teilzeitstellen und Antragsformulare zur Folge hat. Deren Wahlverweigerung ist ein intuitiver politischer Akt, der Ausdruck einer größeren Krise der Repräsentation.