Die tunesische Aktivistin Amina Sboui verlässt »Femen«

Nackt sein reicht nicht

Die tunesische Feministin Amina Sboui ist aus der Gruppe Femen ausgetreten. Nacktaktivistin ist sie geblieben. Zu beidem ist ihr zu gratulieren.

Gerade aus der zweimonatigen Haft entlassen, erklärte Amina Sboui der Huffington Post Maghreb: »Ich will nicht, dass mein Name mit einer islamfeindlichen Organisation in Verbindung steht.« Zudem sei die Finanzierung von Femen intransparent, begründete sie ihren Ausstieg aus der Organisation. Sie habe immer wieder danach gefragt und keine Antwort erhalten. »Was, wenn Israel sie finanziert?« stellte sie in den Raum. Diese Aussage wirkt auf den ersten Blick verschwörungstheoretisch und politisch schwer nachvollziehbar. Doch spricht Sboui den Kern des Problems von Femen an, wenn auch falsch formuliert.
Amina Sboui, die sich vorher Amina Tyler nannte, greift selbst den Islam und dessen Moralvorstellungen an. Im März schockierte sie die tunesische Öffentlichkeit, als sie Nacktfotos von sich auf ihre Facebook-Seite stellte. Auf ihren Oberkörper hatte sie geschrieben: »Mein Körper gehört mir und ist keine Quelle der Ehre für ­irgendwen.« Davon distanziert sie sich heute keineswegs. Erst am 15. August hat sie ein neues Nacktfoto von sich veröffentlicht, auf dem sie sich eine Zigarette an einem Molotowcocktail anzündet, über ihre Brust steht geschrieben: »We don’t need your dimocracy« (sic).
Insofern verwundert es, wenn sie nun Femen Islamfeindlichkeit vorwirft und den Respekt vor der Religion anderer fordert. Noch wirrer wirkt ihr Hinweis auf eine mögliche Finanzierung durch Israel. Man kann allerdings annehmen, dass Israel hier nur ein Synonym für »obskur« ist, im ara­bischen Kontext vergleichbar mit der hierzulande geläufigen Aussage, da könne auch der CIA dahinterstecken.

Rätselhaft ist tatsächlich einiges an Femen. Gerade im Fall Sboui zeigt sich deren sektenhafte, auto­ritäre Struktur. Schon beim Video-Interview, das die ukrainische Femen-Frontfrau Inna Schewtschenko im April mit der damals Untergetauchten führte, lief es einer eiskalt über den Rücken. Sboui war gerade aus dem Haus ihrer Großmutter geflohen, wo sie stundenlang im Koran lesen musste. Zuvor hatten ein Cousin und ein Onkel sie aus einem Café gezerrt, geschlagen und ihr Handy zerstört, wie sie Schewtschenko berichtete. Die tunesische Aktivistin vermutete, dass die Polizei sie suchte und ihr eine mehrjährige Haftstrafe drohe. Doch diese prekäre Situation war Schewtschenko keinen Satz der Anteilnahme wert. Sie wollte vor allem Femens Ruf reinwaschen, Amina solle erklären, warum sie eine Femen-Aktion in Frankreich kritisiert habe. Das Interview endet mit Durchhalteparolen.
Was nun Alexandra Schewtschenko, eine Mitbegründerin von Femen und nicht verwandt mit Inna Schewtschenko, in einem Interview der Taz zu Sbouis Austritt sagt, übertrifft die persönliche Kälte jeder K-Gruppe. Nachdem sie zunächst erklärt, Amina sei nicht stark genug für die Taktik des »Sextremismus«, begründet sie kurz darauf den Austritt damit, dass Amina unter negativem Einfluss stehe, vielleicht sogar Drogen nehme, um dann anzudeuten, Aminas Freundinnen, mit denen sie nun eine eigene radikalfeministische Gruppe gegründet hat, könnten von der Regierung bezahlt sein. Praktisch jede Antwort Schewtschenkos ist eine Denunziation, verwoben mit Mitleidsäußerungen, sie mache sich Sorgen, und schließlich der verhohlenen Drohung: »Aber natürlich würden wir niemals etwas machen, was ihr schaden könnte, wir verzeihen ihr und ak­zeptieren ihre Meinung.« Das hat gewiss ganz und gar nichts mit Israel zu tun, vielleicht gibt es nicht einmal ungeklärte Geldquellen. Aber Sbouis Impuls, von stalinistisch-autoritärem Verhalten auf irgendetwas im Dunkeln zu schließen, ist nachvollziehbar.
Ähnliches zeigt sich in Femens Politik. Sie ist vielfach als widersprüchlich und falsch kritisiert worden. Aber eine Diskussion scheint es bei Femen darüber nicht zu geben. Die offiziellen Stellungnahmen bleiben platt, jede weitere intellektuelle Auseinandersetzung lehnen die Aktivistinnen ab. Das sei Sache des klassischen Feminismus, den Inna Schewtschenko als »alte kranke Frau« bezeichnet, »gefangen in einer Welt von Konferenzen und Büchern«.
Dabei bedienen sich Femen thematisch aus der Mottenkiste des Feminismus. Zumindest in Europa richten sich ihre spektakulärsten Aktionen gegen Prostitution und Pornographie. Sie ignorieren, dass sexpositive Feministinnen in Westeuropa Pornofilme längst differenziert beurteilen. Es interessiert sie nicht, wenn politisch organisierte Sexarbeiterinnen in Deutschland ganz andere Interessen haben als die Abschaffung der Prostitution. Aus Femens Sicht sind diese dann verblendete Opfer, die mit KZ-Insassinnen gleichgesetzt werden.

Niemand käme auf die Idee, es Rassimus zu nennen, wenn Ukrainerinnen deutsche Sexarbeiterinnen demütigen. Und doch ist der Mechanismus, wenn Femen-Aktivistinnen in Hamburg »Arbeit macht frei« an die Wände schreiben und damit die Prostitution anprangern, ähnlich dem, wenn sie das islamische Glaubensbekenntnis verbrennen und Kopftuchträgerinnen ein Stockholm-Syndrom unterstellen. »Wir werden unsere Diskurse nicht an alle zehn Länder anpassen, wo unsere Gruppe präsent ist: Unsere Botschaft ist universell«, ­begründete Inna Schewtschenko in der Schweizer Zeitung 20 Minutes die Aktionen.
Die an sich richtige Aussage ist deshalb falsch, weil Femen gar keine Diskurse führen. Ihre Botschaft, die Befreiung der Frau, ist zwar universell, aber mangels jeglicher theoretischer Reflexion stellen sie die immer gleichen Forderungen bar jeden Kontextes auf. Daher korrespondiert auch die Aktionsform häufig nicht mit den Inhalten. In Westeuropa ist es kontraproduktiv, wenn junge hübsche Frauen ihre Brüste zeigen, um anzuprangern, dass Frauen zum Sexobjekt gemacht werden. Denn damit tun sie nichts anderes, als sich zum Sexobjekt zu machen. Anders als in der Ukraine rufen nackte Brüste hierzulande keine Empörung hervor, der Akt ist nicht einmal richtig strafbar. Das einzige Ergebnis ist, dass sich Journalisten freuen, weil Femen ihnen wieder einmal tolle Onaniervorlagen für die Leser liefern.
Eine völlig andere Botschaft vermitteln die Nacktaufnahmen von Sboui wie auch die der Ägypterin Alia Mahdi, die sich 2011, bevor sie Femen beitrat, selbst nackt fotografierte und das Bild auf ihren Blog stellte. In der arabischen Welt ergibt der Nacktprotest tatsächlich Sinn. Die »Ehre« der Frau ist ein Kernbestandteil ihrer Unterdrückung. Daher muss ihr Körper versteckt werden, wenngleich er reines Objekt und sexuelle Selbstbestimmung nicht vorgesehen bleibt. Die Entschleierung war immer ein Akt der Befreiung, schon bei den ersten arabischen Feministinnen vor 100 Jahren.
Als sich Sboui und Mahdi nackt fotografierten, wählten sie ein perfektes Mittel für ihren Protest. Ihre Botschaft hätte klarer nicht sein können. Sie hatten das Pech, dass Femen für ihre in Europa sinnentleerte Aktionsform dringend ein neues Subjekt brauchten, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Dabei ignorierten sie aber wie bei der Aktion zu Hamburger Sexarbeiterinnen den Zusammenhang: lokale Kämpfe wie nationale Geschichte und Gesetze. Eine solche Einordnung ist aber für jede Solidarität notwendig. Wenn sich Europäerinnen in Tunis nackt ausziehen, wie zur Solidarität mit Sboui geschehen, oder sich ein Kopftuch umbinden, ist das gleichermaßen unsolidarisch. Die europäischen Femen-Frauen rufen Erinnerungen an den kolonialis­tischen Diskurs hervor, der das Kopftuch stets als Zeichen des Rückschritts wertete, und stehen damit tunesischen Feministinnen nur im Weg. Europäerinnen, die sich ein Kopftuch umbinden, um sich als besonders antirassistisch zu zeigen, wie zuletzt beispielsweise in Schweden geschehen, fallen arabischen Feministinnen, die gegen den Kopftuchzwang kämpfen, in den Rücken.