Wikileaks-Gründer Julian Assange enttäuscht Anhänger seiner Partei in Australien

Nicht mehr ganz dicht

Chelsea Manning, der er seine Bekanntheit zu verdanken hatte, ließ er im Stich. Nun enttäuscht Julian Assange, der Gründer der Plattform Wikileaks, auch Anhänger seiner Partei in Australien.

Die Reaktionen auf das Urteil gegen Chelsea (früher Bradley) Manning, fielen bei Twitter erwartungsgemäß wütend aus – bis ein Statement vom offiziellen Wikileaks-Account für Irritationen sorgte. Julian Assange twitterte: »Signifikanter strategischer Sieg im Fall Manning. Bradley Manning kann schon in weniger als neun Jahren entlassen werden, nach einer Kalkulation sind es nur 4,4« (Jahre). Der Tweet stieß auf wenig Begeisterung, zahlreiche User warfen Assange vor, Manning nur benutzt zu haben. Und erinnerten an ein Wikileaks-Statement vom 14. August, in dem die Entschuldigung Mannings während der Gerichtsverhandlung als »erzwungen« bezeichnet worden war, was Experten als der Angeklagten nicht dienlich gewertet hatten. Der teilweise harsche Ton, mit dem auf den Wikileaks-Tweet reagiert wurde, ist bezeichnend. Immer mehr Fans des australischen Whistleblowers sind durch die Egozentrik von Assange sowie seine dubiosen Kontakte, unter anderem zu Antisemiten, dauerhaft verärgert.

Dass Assange sich in den vergangenen Wochen hauptsächlich mit Edward Snowden beschäftigte und der Manning-Prozess im Wirbel um den nach Moskau Geflüchteten nicht mehr wahrgenommen zu werden drohte, empörte viele Unterstützer Mannings zusätzlich. Dabei war Wikileaks ohnehin nicht Mannings erste Anlaufstation, wie sich im Prozess ergab. Die 25jährige hatte am 28.Feb­ruar ausgesagt, zunächst mit der New York Times und der Washington Post Kontakt aufgenommen zu haben. Der NYT habe sie eine Voicemail mit der Bitte um Rückmeldung hinterlassen, allerdings habe niemand reagiert, erklärte Manning. Der Times-Reporter Charlie Savage stellte per Twitter klar, dies liege vermutlich daran, dass Manning die falsche Nummer gewählt habe. Statt an die Reporter im Newsroom hatte sie sich an den Public Editor gewendet, in großen US-Zeitungen dafür zuständig, dass journalistische Standards eingehalten werden, und der als Ombudsmann auf Leserbeschwerden reagiert.
Warum die Washington Post Mannings Nachricht ignorierte, ist dagegen unklar. Bereits 2010 hatte die Soldatin in einem Chat mit dem Hacker Adrian Lamo, der sie schließlich verriet, behauptet, der Post-Journalist David Finkel habe von ihr eine Kopie des »collateral murder«-Videos erhalten, es aber nicht verwendet. Die Zeitung dementierte dies nach Bekanntwerden der Chatlogs, allerdings beschrieb Finkel in seinem 2009 erschienenen Buch über US-Soldaten im Irak (»The Good Soldiers«) exakt die Dialoge der Piloten im Cockpit sowie die Szenerie, wie sie sich im erst am 5.April 2010 von Wikileaks veröffentlichten Video finden. Und er erwähnte, dass Bild- und Tonaufnahmen des Vorfalls existierten. Mannings Vorwurf sei »absurd«, allerdings schütze er seine Quellen und werde daher nicht verraten, von wem sonst er das Video erhalten habe.
Wenn bei der New York Times ein Reporter auf Mannings Nachricht reagiert hätte, wäre die ganze Geschichte um das Video und die Datenleaks anders ausgegangen, meint Adrian Chen, Journalist beim Gawker. Die Zeitung hätte dann ihre Quelle geschützt und nicht, wie Wikileaks, an das sich Manning schließlich wandte, alles veröffentlicht. Der »Krieg der Regierung Obama gegen Whistleblower (…) hätte einen ganz anderen Tenor bekommen«, und vielleicht »wäre Manning jetzt immer noch im Irak und würde die New York Times mit Insider-Informationen versorgen«, so Chen.

Möglicherweise wäre dann auch Assanges Leben anders verlaufen, denn weltweit bekannt wurde seine Whistleblower-Plattform erst durch die von Manning gelieferten Informationen. Eine eigene Partei wäre dann auch nicht gegründet worden – wobei Assanges Traum, als Abgeordneter im Oberhaus des australischen Senats Immunität zu genießen, sich mit der Wikileaks Party nicht erfüllen wird. Denn selbst wenn sie den für einen Sitz erforderlichen Stimmenanteil erhalten sollte, ginge dieser nicht an Assange. Er wohnt immer noch in der ecuadorianischen Botschaft in London und müsste dem Wahlgesetz zufolge innerhalb von zwei Monaten in Canberra erscheinen.
Die für ihn vorgesehene Stellvertreterin, Lesley Cannold, würde jedoch auch nicht ins Parlament kommen, sie ist vergangene Woche aus der Partei ausgetreten. Zuvor war bekannt geworden, dass Assange eigenmächtig einen Beschluss seiner Parteikollegen in Australien abgeändert hatte. Wahlzettel sind in Australien Ranglisten, jeder Wählende kann die Kandidaten nach Präferenz nummerieren. Parteien empfehlen ihren Wählern daher in sogenannten preference deals dem eigenen Programm ähnliche Parteien, die sie mit der Single Transferable Vote wählen sollen. In zwei australischen Provinzen standen in den preferences der Wikileaks Party allerdings plötzlich nicht mehr die australischen Grünen, deren Abgeordneter Scott Ludlum die Whistleblower-Plattform vehement verteidigt hatte, sondern die rechte National Party und die ultranationalistische, fremdenfeindliche Partei Australia First. Abändern lassen sich diese Präferenzen nicht mehr, entsprechend wütend reagierten einige der bekanntesten Wikileaks-Politiker. Die Pro-Choice-Aktivistin Leslie Cannold erklärte, sie könne Wählern nicht länger erklären, dass die Partei glaubwürdig sei, nachdem Assange ihre demokratischen Prozesse derart missachtet habe. Auch zwei Repräsentanten der Bürgerinitative WACA (Wiki­leaks Australian Citizen Alliance) verließen die Partei umgehend, ebenso der Mathematiker Daniel Mathews, der mit Assange Wikileaks gegründet hatte. Dafür wurde jetzt ein Ersatz für Cannold gefunden: Binoy Kampmark, Autor des antiisraelischen US-Magazins Counterpunch.