Kleinstparteien vor den Wahlen

Perlen für die Freunde der Heimvideo-Ästhetik

Im Wahlkampf der Kleinstparteien werden die Grenzen des Wahnsinns ausgelotet.

Kaum etwas ist so geeignet, die Politikverdrossenheit noch einmal zu steigern, wie das altehrwürdige demokratische Ritual des Wahlkampfs. Während die SPD hofft, ihre Zielgruppe mit der Exhumierung des Schlagersängers Roland Kaiser zu erreichen, haben die Plakatparolen der CDU die Titanic zu einem Phrasengenerator inspiriert, dessen Ergebnisse kaum von den Originalen zu unterscheiden sind. Auch Grüne, FDP und Linkspartei veranschlagen den IQ der Angesprochenen offenbar auf Zimmertemperatur. Resultat der kostspieligen Kampagnen: Die so Umworbenen können den 22. September kaum erwarten, denn dann ist der Unfug endlich wieder vorbei.

Doch Rettung für die parlamentarische Demokratie (oder wenigstens für deren Unterhaltungswert) ist nah, und zwar in Gestalt jener Parteien, die wohl bestenfalls vom Überspringen der 0,5-Prozenthürde träumen dürfen, dafür aber um so enthusiastischer um jede Wählerstimme kämpfen.
An erster Stelle wäre da die Piratenpartei zu nennen, die sich nach Wahlerfolgen in diversen Bundesländern reelle Chancen auf Einzug in den Bundestag ausrechnen durfte, dank erfolgreicher Selbstdemontage nun aber bei Umfragewerten von drei Prozent dümpelt. An fehlendem Eifer kann das nicht liegen: Unter dem Hashtag #Plakatwahnsinn überbieten sich ihre Mitglieder auf Twitter gegenseitig mit Meldungen, wer gerade wo wie viele Plakate aufgehängt hat. Auch mangelnde Originalität kann man ihnen nicht vorwerfen. Ob der Spruch »Warum häng ich hier eigentlich? Ihr geht ja eh nicht wählen« zum Stimmenfang taugt, ist allerdings fraglich.
Nebenher findet die Piratenpartei noch Zeit, sich an der Konkurrenz von der »Alternative für Deutschland« (AfD) abzuarbeiten und damit die alte These zu bestätigen, dass politische Gruppen jene Parteien am vehementesten bekämpfen, die ihnen am ähnlichsten sind. Die Piratenpartei hat immerhin einen linken Flügel, was man von der AfD nicht behaupten kann. Die »eurokritische« Partei versucht, sich mit akademischem Habitus jenen anzubieten, die zwar die Ressentiments mit der NPD gemeinsam haben, sich aber von deren Proll-Image abgeschreckt fühlen. Das sarkastische Tumblr-Blog »AfD-Wähler stellen sich vor« dokumentiert jedoch, dass sich die Sympathisanten auf Facebook in Duktus und Orthographie nicht von den Kommentatoren eines x-beliebigen Naziforums unterscheiden lassen.
Ohnehin machen sich am rechten Rand so viele Parteien gegenseitig die Wähler abspenstig, dass Nazis von der großen demokratischen Auswahl überfordert sein könnten. Wen die Entscheidung zwischen AfD, NPD, Pro Deutschland, Republikanern und in Nordrhein-Westfalen auch noch Christians Worchs »Die Rechte« um den Restverstand bringt, der hat aber immerhin mit der »Bürgerrechtsbewegung Solidarität« (BüSo) noch eine Alternative mit einem Extraschuss Wahnsinn: Sie ist nicht nur gegen den Euro, »Finanzkapital« und »Mediendiktatur«, sondern auch für eine »Neue Astronomie« und »physikalische Wirtschaftswissenschaft«.
A propos Wahnsinn: Die Esoteriker der »Violetten« sind leider nur in Bayern zur Wahl zu­gelassen. Das restliche Wahlvolk muss ohne spirituelle Unterstützung über dem als Zen-Rätsel formulierten »Menschenbild« der Partei meditieren: »Der Sinn des Menschseins auf der Erde ist die wohl bedeutendste Frage der Menschheit, die wir für die Allgemeinheit nicht beantworten können.«

Wer das für sich persönlich geklärt hat, kann sich je nach Priorität für die Tierschutz-, Familien-, Rentner- oder sogar die Nichtwählerpartei entscheiden. Letztere bietet allerdings weniger Unterhaltung, als man vermuten könnte, sondern gibt sich betont bieder und staatstragend: »Damit Wählen wieder Sinn macht.« Ähm, ja. Leuchtet ein. Wenigstens aber lockern all diese rührigen Partikularinteressengruppen die beliebte Vorabendserie »Parteien zur Bundestagswahl« mit liebevoll im eigenen Wohnzimmer produzierten Amateurvideos auf. Im Kino sind die Spots des lokalen Gebrauchtwagenhändlers ja auch das Beste am Werbeblock. Der spannendste Teil des Wahlkampfs ist aber auch dieses Jahr die Frage, ob am Ende des Wahlspots der »PARTEI« wieder die Deutschland-Flagge umfällt.