Michael Rubin im Gespräch über die Außenpolitik der USA

»Die US-Außenpolitik ist eher reaktiv«

Im Nahen Osten und der arabischen Welt geht es drunter und drüber. In den Golfmonarchien werden Oppositionelle bislang unterdrückt und den Machthabern nütz­liche Akteure unterstützt. Der Westen schaut oft planlos zu oder macht alles nur schlimmer. Wie sind die Aufstände des »arabischen Frühlings« einzuschätzen, welche Möglichkeiten der Demokratisierung bestehen? Die Jungle World sprach darüber mit Michael Rubin. Der Experte für den Nahen Osten ist Universitätsprofessor, Redakteur der Fachzeitschrift Middle East Quarterly und ehemaliger Berater der US-Regierung.

Während des »arabischen Frühlings« sind die Regierungen in Ägypten, Libyen und Tunesien gefallen, in Syrien begann ein Bürgerkrieg. In den Monarchien am Golf und in Jordanien und Marokko kam es ebenfalls zu Aufständen, aber es gab keinen Regimewechsel. Haben arabische Königsfamilien bessere Mittel, sich an der Macht zu halten, als säkulare Autokraten?
Ohne Zweifel gibt es diesen Trend. Es könnte ­Zufall sein, aber es scheint etwas an der Idee dran zu sein, dass Monarchien die Menschen besser an sich binden können. Allerdings ist nicht jede Monarchie gleich, zum Beispiel was Wohlstand angeht. Die wohlhabenderen Monarchien haben die Fähigkeit, potentielle Aufständische und Bewegungen mit Geld zu beeinflussen. Die ärmeren Monarchien, das sehen wir derzeit in Jordanien und vielleicht Marokko, weniger.
Saudi-Arabien ist da einzigartig. Es ist ein komplett künstliches Land, das vor 80 Jahren aus vier oder fünf Emiraten bestand, die durch Gewalt vereint wurden. Viele Analytiker machen den Fehler, die Trennlinie zwischen der Monarchie und den Religiösen zu ziehen. Aber von den vielen regionalen Differenzen in Saudi-Arabien wird kaum gesprochen. Es gibt die Hejazis in der öst­lichen Provinz und andere Gruppen, die Saudi-Arabien entgleisen lassen könnten. Was die Regierung angeht, ist Saudi-Arabien ein hoffnungs­loser Fall. Man kann die Macht von Bruder zu Bruder weitergeben, wenn man in seinen Vierzigern, Fünfzigern oder Sechszigern ist, aber wenn der Herrscher über 80 oder 90 ist, dann ist Instabilität in der Nachfolge garantiert.
Am meisten hat unter den Monarchien vielleicht Bahrain zu kämpfen gehabt. Warum geriet das Regime dort unter so starken Druck?
Die Schiiten werden unfair behandelt und haben nicht die gleichen Chancen in der Gesellschaft. Ihr Groll ist berechtigt. Die jüngere Generation will Reformen, aber sie unterschätzt den Einfluss des Iran auf die älteren Schiitenführer, die Generation des Putschversuchs von 1991. Außerdem ist die Herrscherfamilie unflexibel. Der Premierminister ist seit der Unabhängigkeit Bahrains an der Macht und gibt nicht nach. Der König ist indifferent. Er spielt lieber Golf und fährt Ski, als seiner Verantwortung als Herrscher nachzukommen. ­­Der Kronprinz ist der Theorie nach ein Reformer – was zu Fraktionsbildung in der Herrscherfamilie führt. Allerdings erinnert sich die schiitische Opposition daran, dass der König mit Reformversprechen an die Macht kam, die er später gebrochen hat. Im Westen erhofft man sich Reformen, aber in Bahrain sehen viele Menschen die Regierung »guter Bulle, böser Bulle« spielen. Saudi-Arabien hat außerdem großen Einfluss. Die Saudis wollen keinen Präzedenzfall einer fallenden Monarchie zulassen und tun alles, um einen solchen zu verhindern.
Das iranische Regime sieht sich auf dem Vormarsch. Was hat der Iran seit den Aufständen in den arabischen Ländern gewonnen, was verloren?
Im Nahen Osten werden keine Kriege wegen Öl geführt oder – wie uns so viele Akademiker an den Universitäten glauben machen wollen – wegen Wasserknappheit oder Klimawandel. Die Ursache von Kriegen ist, dass eine Seite übermütig ist und die andere Seite falsch einschätzt. Die iranische Regierung scheint übermütig zu sein. Und das ist nicht nur für die arabischen Staaten der Region eine Herausforderung, sondern auch für die USA, Europa und viele andere Länder.
Unterhalten die USA genug Kräfte im Persischen Golf, um iranischen Hegemoniebestrebungen entgegenzuwirken?
Unsere Verbündeten im Persischen Golf, wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Kuwait und Saudi-Arabien, verlieren das Vertrauen in das Durchhaltevermögen der USA. Außerdem werden die Iraner nicht nur immer aggressiver und selbstbewusster im Persischen Golf, sie erweitern ihren Einfluss auch außerhalb des Persischen Golfs. Viele in Europa betrachten den Iran als Golfmacht oder eine Macht des Nahen Ostens, aber das Regime beschreibt sich selbst als panregionale Macht. Wir sehen, dass es seine militärische Präsenz im Indischen Ozean und im Roten Meer erhöht. Vergangenen Februar inszenierte es ­außerdem seinen ersten Einsatz im Pazifischen Ozean seit 1 000 Jahren.
Was war die Haltung der US-Regierung gegenüber den arabischen Aufständen im Allgemeinen? Der Umgang mit den Aufständen offenbarte doch eine gewisse Planlosigkeit und Unsicherheit darüber, was überhaupt vorgeht in der Region. Was war die Reaktion als in Ägypten und Tunesien islamistische Parteien an die Macht kamen?
Zunächst einmal eine allgemeine Kritik, nicht nur an der gegenwärtigen, sondern auch an mehreren ehemaligen US-Regierungen: Die US-Außen­politik ist tendenziell eher reaktiv als aktiv. Wir reagieren auf Ereignisse. Wir versuchen nicht, eine Strategie festzulegen, wie wir den Nahen Osten haben wollen, und dann dorthin zu kommen. Das schafft ein grundlegendes Problem. Mit Blick auf die arabischen Bewegungen ist die größte Veränderung durch die Regierung Obama, dass sie den Islamisten die Hand reicht. Dahinter steckt die Überzeugung, die Aufstände könnten so etwas wie eine »islamische Demokratie« legitimieren. Meine Kritik ist, sobald man das Wort Demokratie mit einem Adjektiv abwandelt, wird seine Bedeutung automatisch eingeschränkt. Entweder man hat eine Demokratie oder nicht.
Wie ist mit der Absetzung Mursis in Ägypten umzugehen? Können Demokraten wirklich einen Putsch gutheißen, wenn die Wahlen nicht in ihrem Sinne verlaufen?
Die Frage ist, was wichtiger ist: Demokratie als Resultat oder Demokratie als Prozess. Wenn wir einen Militärputsch haben, dann ist ein Demokratisierungsprozess gescheitert. Aber wenn es um Demokratie als Resultat geht, sollten sich die Politiker fragen, ob der Putsch nicht bessere Möglichkeiten für Ägypten bringt. Demokratie bedeutet nicht nur Wahlen, es geht um Rechtsstaatlichkeit, Beteiligung der Bevölkerung und Achtung der Menschenrechte. Der ägyptische Präsident Mohammed Mursi hat sein Versprechen gebrochen, eine breit angelegte Regierung zu bilden, die die Menschen vor dem Gesetz gleichstellt und die Menschenrechte wahrt. Ein Militärputsch ist nicht schön, aber es ist unbestreitbar, dass es keine Demokratie in Ägypten unter Mursi geben wird. Die Frage ist, ob uns ein Militärputsch einem System der checks and balances ­näherbringt. Das bleibt abzuwarten. Anstatt den Putsch zu verurteilen, wäre es für Europa, die USA und jeden Demokraten günstiger, sicherzustellen, dass das System in Ägypten stabiler wird und es in Zukunft einen Übergang zur Demokratie geben kann.
Die Türkei und Katar waren glühende Anhänger der Muslimbruderschaft. Auch die US-Regierung versuchte, die Muslimbruderschaft einzubinden. Sind sie gescheitert?
Wir haben aus verschiedenen Gründen verloren. Die Regierung Obama ist wie ein Spieler, der seine Karten nur spielt, wenn alle anderen ihre Karten auf dem Tisch haben. Letztlich ist es manchmal wichtig, sich für eine Seite zu entscheiden. Neu­tralität kann auch als Feindseligkeit gegenüber beiden Seiten interpretiert werden. Die Ägypter misstrauen nun den Amerikanern. Katar hat einen Kurswechsel vollzogen, da dessen Führung von Mursi und der Muslimbruderschaft enttäuscht war, wie viele seiner Anhänger im Persischen Golf. Katar und Saudi-Arabien sind nun zu einer Zusammenarbeit mit der Übergangsregierung bereit. Die Türkei hat eine andere Geschichte wegen der früheren Staatsstreiche, und die Regierung ist misstrauisch, insbesondere was Staatsstreiche gegen Islamisten angeht. Zur gleichen Zeit hatte die Regierung von Ministerpräsident Erdoğan Verträge über Waffenlieferungen mit der Regierung Mursi im Wert von Hunderten Mil­lionen Dollar geschlossen. Die können sie nun verlieren. Es scheint, dass Präsident Obama von beiden Seiten Misstrauen wegen seiner mangelnden Unterstützung erntet, aber dass auch Erdoğan, der der Muslimbruderschaft volle ­Unterstützung gewährte, es sich mit den Ägyptern verscherzt hat.
Die USA mögen die einzige Supermacht sein, aber sie sind nicht der einzige Akteur in der ­Region. Viele in Washington haben diesen Tunnelblick und neigen zu der Annahme, dass sich die Debatten alle um uns drehen und nur wir zählen. Aber während wir diskutieren, was wir mit 1,6 Mil­liarden Dollar an Hilfsgeldern machen, haben die Golfemirate Ägypten zwölf Milliarden Dollar angeboten. Washingtons Unterstützung ist daher nicht unentbehrlich für Ägypten.
Haben sich im Zuge der arabischen Aufstände Kräfte herausgebildet, die unterstützt werden sollten?
Es ist ein Fehler, der zu oft in Europa und den USA gemacht wird, dass wir Menschen oder Bewe­gungen unterstützen wollen. Es ist viel wichtiger, ein System mit angemessenen checks and balances zu schaffen, in dem solche Bewegungen entstehen und wieder verschwinden können. Aber wir sollten niemals alle Eier in einen Korb legen. Das Problem im Nahen Osten ist, dass die wichtigsten politischen Kräfte immer Autokraten und Theokraten waren. Die ägyptische Armee war immer in der Lage, alle Ministerien und das staatlichen Fernsehen zu nutzen, um ihren Willen durchzusetzen, während sich die Muslimbrüder über die Moscheen organisierten. Das Problem ist, dass ­es keine liberale Alternative dazu gibt. Ironischerweise rekrutieren sich die Autokraten und die Theokraten aus dem gegenseitigen Hass, aber was ihnen wirklich Angst macht, ist ein liberaler Mittelweg. Es ist zwingend notwendig, dass die Europäer und die Amerikaner die Herausbildung einer solchen Mitte unterstützen.
Ein weiteres Problem im Nahen Osten ist, dass es keine wirklichen Nichtregierungsorganisa­tionen, sondern nur von der Regierung betriebene NGOs gibt. Es ist immer beschämend, dass zum Beispiel die europäischen grünen Parteien mehr für eine von der Regierung geführte Gewerkschaft tun, anstatt für eine unabhängige Gewerkschaft einzutreten, die am besten in der Lage wäre, aufzustehen und Arbeitnehmerrechte zu verteidigen.
Was erwarten sie von der geplanten Intervention in Syrien? Und wie werden sich die Golfmonarchien verhalten?
Ich würde nicht viel von einer Intervention in Syrien erwarten. Niemand spricht davon, Bodentruppen zu schicken. Eher als mit dem Einsatz im Kosovo wird er daher wohl mit den Luftschlägen der Regierung Clinton 1998 im Sudan und in Afghanistan zu vergleichen sein. Im besten Fall werden wir einen symbolischen Einsatz haben, im schlimmsten Fall könnte Assad Chemiewaffen gegen Israel oder andere Nachbarn einsetzen.
Die Herrscher der Golfmonarchien werden alle rumhocken, Shisha rauchen, und vielleicht ein, zwei Statements abgeben, bevor sie entscheiden, wem sie als nächstes einen Scheck ausstellen.