Proteste kolumbianischer Bauern

Die Würde der Kartoffel

In Kolumbien demonstrieren Bauern für Mindestpreise und mehr staatlichen Schutz. Die Landwirtschaft rentiert sich nicht mehr, weil Billigprodukte aus dem Norden auf den Markt drängen.

»Wir verlangen kein Geld, nur eine Agrarpolitik, die es uns ermöglicht, zu überleben«, sagt César Pachón. Er ist ein Vertreter der Bauernbewegung »Dignidad Papera«, in etwa »kartoffelige Würde«. Der Name geht auf die Forderungen der Bäuerinnen und Bauern in Boyacá, einem Kartoffelanbaugebiet, zurück. Sie kritisieren, dass sie im Wett­bewerb mit den subventionierten Produkten aus den USA, Kanada und Europa keine Chance haben. Denn die Konkurrenz aus dem Ausland liefert Mais, Zwiebeln, Getreide und Milch oftmals billiger. In der Provinz Boyacá im Nordosten Kolumbiens begannen die Bauernproteste vor mehr als zwei Wochen. Landesweit sind rund 110 000 ­Kartoffelbauern in ihrer Existenz bedroht, hinzu kommen rund 17 000 Zwiebelbauern und 500 000 Milchbauern sowie Produzenten weiterer Agrarprodukte.

Seit dem Inkrafttreten der Freihandelsabkommen wurden für Agrarimporte nahezu alle Schranken beseitigt. Bereits seit 2008 besteht ein solches Abkommen mit Kanada, 2012 trat eines mit den USA in Kraft und jetzt folgt das mit der Europä­ischen Union. Die Abkommen hätten dazu geführt, dass die Preise für Lebensmittel fallen und die Bauern ihre Produktionskosten nicht mehr hereinbekommen, erklärt Pachón im Interview mit der kolumbianischen Tageszeitung El Espectador.
Dagegen demonstrierten Bäuerinnen und ­Bauern erst in einigen Provinzen, schließlich weiteten sich die Proteste aus. Mitverantwortlich dafür war auch Präsident Juan Manuel Santos, der sich fast eine Woche lang weigerte, mit Vertretern der Bauern zu reden. Verteidigungsminister Juan Carlos Pinzón bezeichnete die Bauern vor wenigen Tagen sogar als Vandalen und wähnte sie im Dienst der Guerilla Farc. Das ist in Kolumbien ein beliebtes Totschlagargument und zudem bedrohlich für die Bauernführer, da es sie zum Angriffsziel von paramilitärischen Gruppen machen kann. Verbale Ausfälle wie diese zeigen aber auch, dass die Regierung überrascht ist vom Ausmaß der Proteste. In Bogotá gingen am Donnerstag voriger Woche mindestens 30 000 Menschen auf die Straße, um sich mit den Bauern zu solidarisieren. Dabei kam es zu Straßenschlachten mit der Polizei, bei denen zwei Menschen starben, 196 Menschen verletzt und mindestens 40 festgenommen wurden. Das nahm Santos am Freitag voriger Woche zum Anlass, die Armee einzusetzen. Sie soll nicht nur die »öffentliche Sicherheit wiederherstellen«, sondern auch die teilweise seit fast zwei Wochen blockierten Landstraßen wieder freiräumen. Dafür sollen bis zu 50 000 Soldaten eingesetzt werden.

Santos beklagte die Unnachgiebigkeit der Bauernvertreter, die in mehrtätigen Verhandlungen ­keine Einigkeit mit den drei Ministern erzielen konnten, die zu den Verhandlungen nach Tunja in Boyacá gesandt worden waren. Der konservative Präsident gab der linken Organisation »Marcha Patriótica« die Schuld daran. Doch das Problem liegt tiefer. Denn die Zugeständnisse der Regierung, die bereit ist, den Zoll auf Düngemittel fallen zu lassen und die Einfuhr von Agrarprodukten stärker zu kontrollieren, sind nur kosmetisch.
Zwar hat auch Santos erkannt, dass die Landwirtschaft »in einer Krise« steckt, aber Kolumbien hat längst seine Nahrungsmittelsouveränität verloren, kann sich also als traditionelles Agrarland nicht mehr selbst ernähren. Im letzten Jahr stiegen die Nahrungsmittelimporte um 637 Millionen US-Dollar an. Rund die Hälfte dessen, was in Kolumbien konsumiert wird, komme aus dem Ausland, kritisieren die Bauern. Das ist auch bei Milch der Fall, die in Form von Milchpulver, nicht nur aus der EU, auf den Markt kommt. Selbst Kaffee wird mittlerweile in wachsenden Mengen importiert. Das wird von Produzenten wie dem Vertreter der Milchbauern, Jorge Hernán Uribe, genauso kritisiert wie von den Konsumenten. »Warum sollen wir alles von den Transnationalen kaufen, wenn das Eigene besser schmeckt?« ­fragten die Demonstrierenden in Bogotá.