Die deutsche Debatte über den Giftgaseinsatz in Syrien

Hoffnungsträger a. D.

Die Syrer, die sich des Diktators Bashar al-Assad entledigen wollen, kommen im Kalkül der deutschen Außenpolitik nicht vor. Daran ändert auch der Einsatz von Giftgas nichts.

Der »arabische Frühling« ist ein Ärgernis – für Deutschland und Europa, die USA und den Rest der Welt, da ihnen stabile Staaten lieber sind als demokratische. Seit die Bevölkerungen gegen die arabischen Diktaturen aufbegehren, ist man daher froh, wenn sich eine Bewegung findet, die unter neuen Vorzeichen das alte Verhältnis von Ohnmacht und Macht zwischen Bürgern und Staat wiederherzustellen versucht. In Tunesien war dies al-Nahda, in Ägypten die Muslimbruderschaft. Anerkennung von deutscher Seite erfolgte durch die Einladung zum »kritischen Dialog« sowie zur wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit (Jungle World 35/2013).
In Syrien war dies von Beginn an anders. Der ­syrische Nationalrat hätte zwar sicher einen »gemäßigten« Führer zur Hand gehabt, der den ­Laden unter Kontrolle gehalten hätte. Nur war der Posten vergeben. Denn der Hoffnungsträger Deutschlands und anderer europäischer Staaten hieß bislang Bashar al-Assad. Kaum hatte er die Nachfolge seines im Jahr 2000 verstorbenen Vaters angetreten, wurde der »Damaszener Frühling« ausgerufen. Gemeint war eine Handvoll Debattierclubs in der syrischen Hauptstadt, die laut über Reformen im Staatsapparat und in der regierenden Ba’ath-Partei nachdachten. Dass Assad auch diese Oppositionellen verhaften ließ, störte in Deutschland und Europa kaum jemanden.
Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) flog zum »kritischen Dialog« nach Damaskus, Assad kam auf Einladung der rot-grünen Regierung 2001 nach Berlin, wo »ohne Vorurteile« auch über Menschenrechte gesprochen werden sollte. »Wandel durch Zusammenarbeit« nannte dies die damalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD). Die Zusammenarbeit fand statt, der Wandel blieb aus. So erhielt die syrische Regierung deutsche und europäische Wirtschaftshilfe, auch zum Aufbau der »chemischen Industrie«. Dafür nahm man beispielsweise hin, dass Assad sich mit Hilfe Nordkoreas und des Iran eine nukleare Forschungsanlage zulegte, die Israel 2007 dann zerstörte.
Seine Rolle verdankt Assad aber vor allem dem auch in Deutschland verbreiteten Missverständnis, wonach das Wohl und Wehe des Nahen Ostens von der Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern abhänge. Noch 2010, kurz bevor der Aufstand gegen Assad begann, besuchte Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) Syrien, um für den Friedensplan des damaligen US-Vermittlers George Mitchell zu werben. Die Einsicht, dass dieser Konflikt nicht gelöst werden kann, solange er von arabischen und islamischen Staaten instrumentalisiert wird, ist nach wie vor nicht bis zur Bundesregierung durchgedrungen. Deshalb denkt sie weiterhin strategisch und findet es nachvollziehbar, dass Syrien chemische Waffen besitzt. Diese dienen ja der Abschreckung, sprich: Man wird sie nur auf dem Umweg eines Friedens zwischen Israel und den Palästinensern los.
Die Menschen in Syrien hingegen, die Assad loswerden wollen, kommen in dieser Denkweise nicht vor. Deshalb ist man in Deutschland zwar bestürzt über den tatsächlichen Einsatz von Giftgas, ist sich zugleich aber darin einig, lieber nichts zu tun.