Berliner Musiklehrer protestieren gegen neue Honorarverträge

Not nach Noten

In Berlin protestieren Musiklehrer gegen die neuen Honorarverträge des Senats.

Dirk Strakhof ist Bassist, Komponist und Lehrer. Er hat an der Universität der Künste in Berlin und in New York studiert. Seine Vita ist beeindruckend, seine Tourneen führten ihn bis nach Tansania, Südafrika und Kolumbien, sein Internet-Auftritt ist entsprechend professionell. Das klingt gut, aber Strakhof ist unzufrieden und einer der Wortführer der Protestwelle, die in Berlin seit Wochen Schlagzeilen macht. Der Grund für den Protest der Musiklehrer liegt in ihrem Beschäftigungsverhältnis, denn wer an einer Berliner Musikschule unterrichtet, ist scheinselbstständig.

Das zumindest monierte die Deutsche Rentenversicherung Bund, als sie vor rund zwei Jahren die Verträge begutachtete, mit denen der Berliner Senat die Lehrkräfte – seit Jahren fast ausschließlich auf Honorarbasis – beschäftigt. Bei einer Überprüfung stellte sie fest: Wer fast ausschließlich von den Einnahmen lebt, die er oder sie als Musiklehrer oder Musiklehrerin erzielt, gilt als scheinselbstständig. Das Land Berlin müsse als Arbeitgeber deshalb in die Pflicht genommen werden und mit Nachzahlungen in die Sozialkassen rechnen. Für seine Lehrkräfte Sozialabgaben zu bezahlen, ist jedoch nicht im Sinne des Senats. Zu Beginn des Sommers wurden den Lehrkräften Verträge vorgelegt, mit denen der Dienstherr sich von nun an rechtlich absichern möchte. Statt monatlich eine pauschale Summe zu erhalten, sollen sie nun jede Stunde einzeln abrechnen.
Das bedeutet nicht nur einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand, sie verlieren auch Geld: »Ausfälle wegen Klassenfahrten, Schulveranstaltungen oder Feiertagen«, sagte eine Betroffene gegenüber der Presse, »sollen zukünftig nicht mehr vergütet werden. Aufgrund der räumlichen Situation in den Schulen können die Stunden nicht nachgeholt werden, die Stundenausfälle bleiben unberücksichtigt und der bürokratische Aufwand, alles zu dokumentieren, wird erheblich sein. Die Gehaltseinbußen können mindestens 3,2 Prozent betragen.« Das ist viel Geld für diejenigen, die ohnehin dazu gezwungen sind, knapp zu kalkulieren. Für viele Musiklehrer in Berlin wird es nun richtig eng: »Die neuen Verträge stellen in der Tat eine Verschlechterung für die Musikschullehrer dar.« Mit diesen Worten zitierte die Berliner Morgenpost, als die Proteste begannen, den Leiter der Musikschule Steglitz-Zehlendorf. »Der überwiegende Teil der auf Honorarbasis tätigen Musikschullehrer ist hochqualifiziert und mit Eintritt des Rentenalters massiv von Altersarmut betroffen und wird auf Grundsicherung angewiesen sein.«

»Kein Tarifvertrag, keine Arbeitslosenversicherung, kein Weihnachtsgeld, eine Rentenerwartung unterhalb der Grundsicherung«, so fasste eine Betroffene ihre Lage auf einer der Demonstrationen zusammen, die die Lehrkräfte veranstalteten. Darüber hinaus schrieben sie Briefe und wandten sich an die Presse. Die Gewerkschaft Verdi schaltete sich ein und die Mehrheit der Lehrenden kündigte an, die neuen Verträge nicht zu unterschreiben. Für diesen Fall drohte der Senat mit Kündigung. »Am 30.September ist es soweit«, sagt Strakhof, »das ist der offizielle Kündigungstermin. Aber schon jetzt ist klar, dass beispielsweise von den 300 Kollegen, die an der Musikschule Zehlendorf-Steglitz unterrichten, 27 nicht unterschrieben haben. Es handelt sich also um zehn Prozent, die sozusagen ihre Arbeit verloren haben.« In ein solches Arbeitsverhältnis auf Honorarbasis werden seit Jahren immer mehr Lehrkräfte, insbesondere in der Erwachsenenbildung, gedrängt. Sie sind für ihre soziale Absicherung selbst zuständig und nicht arbeitslosenversichert. Für sie ist Altersarmut nicht nur ein Wort, und wer für über einen längeren Zeitraum hinweg krank wird, fällt ins Nichts.
»An dieser Situation müsste grundsätzlich mal gerüttelt werden«, findet Strakhof und gibt zu, dass die Musiklehrer zumindest noch die Künstlersozialkasse im Rücken haben. Bei vielen anderen Lehrkräften, die beispielsweise an den Volkshochschulen unterrichten, ist das nicht der Fall. Strakhof hat den neuen Vertrag letztlich unterschrieben: »Am letzten Tag bevor die Frist ablief.« Die Entscheidung war existentiell.