Der Musik-Streaming-Dienst Spotify

Sie werden reich, du wirst berühmt

Der Musik-Streaming-Dienst Spotify bietet einen nicht unerheblichen Teil der Musikgeschichte zum Hören an. Doch die Firma wird dafür kritisiert, Künstler nicht angemessen zu entlohnen.

Plötzlich verschwanden sie einfach. Vor einigen Wochen ließ Thom Yorke, Kopf von Radiohead und vieler anderer Projekte, sein Soloalbum sowie Songs seiner Band Atoms for Peace aus dem Angebot des Streaming-Dienstes Spotify löschen. Seine Entscheidung kommentierte er in einem Tweet: »Macht keinen Fehler. Die neuen Künstler, die ihr auf Spotify entdeckt, verdienen kein Geld. Die Aktionäre hingegen werden sich bald darin wälzen. So einfach ist das.« Die Alben von Radiohead, die auf dem mittlerweile an mehrere Anteilseigner (unter anderem an Sony Music) verkauften Label EMI erschienen sind, findet man immer noch auf Spotify. Nach der Löschung sprangen Branchenblätter, Wirtschaftszeitungen und Blogs auf den Zug auf – mal wieder, denn spätestens seit den mittlerweile beigelegten Streitereien zwischen Spotify und Metallica sowie zwischen Spotify und Adele fährt dieser Zug pünktlich einmal im Jahr durch die Medienlandschaft.
Laut eigenen Angaben ist Spotify mit seinen 24 Millionen Nutzern und einer 20 Millionen Songs umfassenden Mediathek der größte Anbieter im Streaming-Bereich. Einfacher zu bedienen als Last.fm, dank vieler Extras und passgenauer Vernetzungsmöglichkeiten mit Facebook »sozialer« als der Dienst Simfy und nicht ganz so bieder daherkommend wie der Neuling Ampya.
Man könnte Yorkes Einschätzung teilen: Spotify schwimmt im Geld, die Manager von Partnerfirmen wie Sony, Warner und Universal schaufeln Kaviar, während die Künstler, deren Werke zigfach über Spotify gestreamt werden – sei es, weil ihr Plattenvertrag sie dazu verpflichtet, dort vertreten zu sein; sei es, weil sie ihre Songs in der Annahme anbieten, nur auf diesem Weg ein größeres Publiukm zu erreichen – sich die Dose kalten Thunfisch teilen müssen. Der gravierendere Aspekt von Yorkes Kritik wurde weniger wahrgenommen. Er polemisierte nicht nur gegen Streaming-Dienste, er schloss mit einem nachvollziehbaren Fazit, sinngemäß: Anders als im Kampf gegen diesekönne die Musikindustrie nicht besiegt werden. Damit erhielten seine und die vorher im Guardian veröffentlichte Kritik seines Kollegen Nigel Godrich gleichsam existentiellen Charakter.
Die Musikbranche lebte einst von dem Mythos, dass nur sie dem Künstler die Chance bieten könne, eines Tages Geld mit seinen Songs zu verdienen. Die Illusion, die Branche stehe den Musikern beim Verkauf ihrer Werke fair und unterstützend zur Seite, wird aufrechterhalten von wenigen Ausnahmen wie den Rolling Stones, Madonna und Michael Jackson. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Als 1998 die Piratenpartei begann, für einige Jahre die Bosse der Plattenfirmen in Aufruhr zu versetzten, waren die einzigen Leidtragenden aber aufstrebende Künstler und engagierte Labels, die ihre Kellerbüros räumen mussten. Dann kam Myspace, dann Youtube und so weiter. Die Musikindustrie hatte ihren größten Reiz verloren: den Traum vom Durchbruch exklusiv verkaufen zu können. Doch dank der Streaming-Dienste hat sich das wieder geändert.
Mitarbeiter von Spotify werden angesichts der Möglichkeiten, die solche Dienste bieten, ganz euphorisch. Stefan Zilch, Chef von Spotify in Deutschland, bedient sich in Interviews, wie jeder gute CEO, stets der gleichen Versatzstücke, die bereits in unzähligen Pressemitteilungen und Bilanzmeldungen Verwendung gefunden haben. Und es wird einem ganz schwindelig angesichts der unzähligen tollen Potentiale von Spotify: »Der Kunde hört 26 Songs pro Tag«, »unsere Kunden geben doppelt so viel Geld für Musik aus, wie sie das für Tonträger jemals getan haben«, »durch Playlists und Vernetzung mit den Künstlern können ganz neue Hörerschichten angesprochen werden«. Immer wieder beteuert Zilch: »70 Prozent der Einnahmen gehen an die Labels.« Und natürlich werden die Einnahmen immer größer.
Ein besonderes Verkaufsmodell sorgt dafür, dass Kunden dauerhaft als Abonnenten an den Dienst gebunden werden. Früher hätte man es Nötigung im Drückerkolonnenstil genannt: Durch Gratis­angebote zu Spotify gelockt, entdecken viele ihre Lieblingsmusiker, können verfolgen, was Freunde sich anhören, bekommen Tipps, welche DJs eine eigene Playlist ­zusammengestellt haben – und plötzlich: »Genieße Spotify noch komfortabler, indem du dir den unbegrenzten Zugang für 4,99 Euro oder die Prämiummitgliedschaft, mit der du stets und überall auf deine Playlist zugreifen kannst, für nur 9,99 Euro im Monat sicherst.« Die Werbung wird so aufdringlich vorgetragen, dass einem das Blut gerinnt, wenn sie überraschend und rücksichtslos in die Playlist grätscht. Neben der Eigenwerbung zerhacken unzählige weitere Ads den Musikgenuss.
Doch bei der Generation Fernsehkind müssen die Daumenschrauben fester angezogen werden, damit die Rendite stimmt. Kurz bevor im August mitgeteilt wurde, dass Spotify einen Verlust von 75 Millionen Dollar gemacht hatte, konnte der Kostenlosnutzer nur noch zwölf Stunden im Monat Musik hören und wurde mit mehr Werbung als ohnehin schon üblich vollgemüllt. Zilch plant eine exklusive Zusammenarbeit mit Automarken, damit jedes Cockpit bald mit einem Spotify-Button ausgestattet ist.
So offen Zilch über den durch Spotify und vergleichbare Dienste bewirkten Rückgang ­illegaler Downloads spricht –über den sich auch der deutsche Musikverband enthusiastisch äußert –, so schweigsam reagiert er auf die Frage, wie viel von dem Geld bei den Künstlern letztlich ankomme. Dabei spielten hochkomplexe Strukturen eine Rolle, heißt es dann, oder darüber spreche man in der Branche nicht.
Einige Künstler haben nun jedoch ihre Kontoauszüge vorgelegt. So die Mitglieder der britischen Indie-Band Uniform Motion in dem Online-Magazin Gizmodo. Demnach bringt das Streamen einer ihrer Songs der Band ab der dreißigsten Sekunde 0,004 Dollar ein. Wie dabei der Verteilungsschlüssel ausfällt, wissen Uniform Motion nicht. Sie behaupten, dass diese Information den großen Majorlabels vorbehalten bleibe – also zum Großteil den Anteilseignern. Die Indie-Band Galaxie 500 gibt den gleichen Verdienst an. Bei Amazon sind es nach Angaben von Uniform Motion für ein ganzes Album fast 6,90 Euro und bei iTunes fast 6,30 Euro. Beim Apple-Musicstore koste es allerdings fast 50 Dollar, es ein Jahr zum Verkauf anzubieten. Dass Cro, ein Sänger des Indie-Labels Chimperator, laut Zilch die Spotify-Charts 2012 anführte, ist auch nicht wirklich ein Indiz dafür, dass es sich für Indie-Labels lohnt, im Dienst vertreten zu sein: Er bestimmte die ausschlaggebenden Media Control Charts und hatte unzählige Airplays in den Radios. Er brauchte Spotify also mit Sicherheit nicht, um seine Reichweite zu erhöhen. Das sollten Nachwuchsbands wissen.
Dennoch setzt man auf die Reichweite des Dienstes. So auch die in Berlin wohnende Musikerin Zoe.Leela: »Junge Musiker wollen in der Regel gehört werden und ihre Musik so einfach wie möglich einem breiten Publikum verfügbar machen. Neben den klassischen Vertriebskanälen sind Streaming-Dienste ein ergänzendes Tool. So erhöht man die Chance, Aufmerksamkeit zu generieren. Und Aufmerksamkeit ist ja bekanntlich eine wichtige Ressource in der Musikindustrie.« Zoe.Leela gibt aber auch zu bedenken, dass sie die Ausschüttung und den Umgang mit den Künstlern für nicht fair genug halte.
Streaming-Dienste wie Spotify bleiben eine schöne Welt für große Labels. Selbst wenn die konkrete Summe nicht bekannt ist, die auf ­ihren Konten landet: Sony Music, Universal Music und Warner Music besaßen noch nie ein Werkzeug, mit dessen Hilfe dermaßen gezielt die Vorlieben der Kunden analysiert werden können. Und das ganz ohne Social-Media-Manager, die Twitter, Facebook, Instagram und ­dergleichen aufwendig auswerten müssen. Sie bekommen alle diese Daten aus einer Hand. Es ist der Wunschtraum eines jeden schamlosen R&A, der nun Bands maßgefertigt liefern kann. Ein Horrorszenario, nicht nur für die Künstler, sondern auch für Musikliebhaber. Auch Zoe.Leela fragt sich, wer darüber entscheidet, welche Künstler hier eigentlich gefördert werden – und »ob man als Newcomer auch wirklich eine Chance besitzt, eine Vorstellung in der Radio-Funktion zu erhalten, oder ob so eine Positionierung rein vom Marketing abhängig ist«.