Voll aufmerksam

»Traditional Music of Notional Species Vol. 1« – Rashad Becker macht sich einen Spaß daraus, den Titel seines Debut-Albums nach einer jener musikethnographischen Compilations klingen zu lassen, die während des Booms sogenannter Weltmusik in den vergangenen Jahren so zahlreich erschienen sind. Doch das Forschungsobjekt »notional species« deutet schon an: Hier geht es abstrakter zu. Die präsentierte »traditionelle Musik« ist dann auch irgendwo im Feld von experimenteller Elektronik und Musique concrète angesiedelt. Wird in letzterer jedoch meist ausgreifenden linearen Strukturen nachgegangen, gibt Becker seinen Soundgebilden klarere, knappe Formen. Kein Track überschreitet die Poplänge von viereinhalb Minuten, viele sind durch ein – wenn auch verschüttetes – Fundament aus geräuschhaften Loops rhythmisiert. Gerade durch diese entfernten Ähnlichkeiten mit eingängigeren Genres wirken die Klangmontagen immer wieder seltsam vertraut und bleiben in ihrer Klanglichkeit doch unnahbar. Die Sounds scheinen mal als verfremdete Stimmsamples erkennbar und sind dann wieder so abstrakt, wie von irgendwelchen Apparaten ganz ohne menschliches Zutun erzeugt. Vor allem diese Mischung aus Nähe und Distanz macht »Traditional Music of Notional Species« so faszinierend. Diese Musik will volle Aufmerksamkeit, ohne sich je zu erschließen – und sie macht deutlich, was für beschränkte 4/4-Songs in tausendmal gehörten Harmonien wir sonst permanent um die Ohren gehauen bekommen.

Rashad Becker: Traditional Music of Notional Species Vol. 1 (Pan/Boomkat)