20 Jahre Oslo-Abkommen

Das Oslo-Syndrom

Vor 20 Jahren wurde das sogenannte Oslo-Abkommen zwischen Israel und den ­Palästinensern unterzeichnet. Frieden ist ohne die Anerkennung der Existenz eines jüdischen Staats im Nahen Osten jedoch nicht zu machen.

In diesen Tagen jährt sich die Unterzeichnung der als Oslo-Abkommen bekannt gewordenen Prin­zipienerklärung zwischen Israel und den Paläs­tinensern zum 20. Mal. Doch die damit verbun­denen Hoffnungen auf einen Frieden sind längst zerstoben. Mitte August veröffentlichte die isra­elische Tageszeitung Maariv eine Umfrage, derzufolge 57 Prozent der Israelis der Meinung sind, das Abkommen habe ihrem Land großen Schaden zugefügt. Und so mutet aus heutiger Sicht der ­damals begonnene Friedensprozess wie ein Überbleibsel aus einer Zeit an, in der man noch an ­ein »Ende der Geschichte« glaubte.
Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass mit der Unterzeichnung am 13. September 1993 statt Frieden eine Ära des tödlichen Terrors anbrach. Bereits wenige Tage nach der feierlichen Zeremonie vor dem Weißen Haus in Washington wurden am 4. Oktober bei einem der ersten palästinensischen Selbstmordanschläge 29 Israelis verletzt. Dies war der Auftakt zu einer bis dato ungekannten Terrorwelle gegen den jüdischen Staat, in deren Folge bis heute 1 500 Israelis ­ermordet wurden – mehr als in den Jahrzehnten zuvor nach der Staatsgründung. Damit war der durch das Abkommen von Oslo initiierte Friedensprozess historisch wohl der einzige, der zu einer Zu- statt einer Abnahme der Gewalt führte.
Es ist dieser Umstand, der den damals eingeschlagenen Weg und die Überzeugung, Land für Frieden sei die Lösung des Konflikts, fragwürdig erscheinen lässt. Der US-amerikanische Psychiater Kenneth Levin beschrieb die israelische Haltung in jenen Jahren in Anlehnung an das Stockholm-Syndrom treffend als »Oslo-Syndrom«. Laut Levin hatte der andauernde Belagerungszustand, in dem sich Israel seit seiner Gründung befand, dazu geführt, dass von vielen Israelis die reale Bedrohung durch eine von der Wirklichkeit losgelöste Imagination ersetzt wurde. Wie sich 1973 die Bankangestellten in Stockholm für ihre Geiselnehmer einsetzten und sich bei ihnen für die gute Behandlung bedankten, machte sich das linke Friedenslager Israels für die palästinensische ­Seite stark und rationalisierte selbst Terroranschläge als verständliche Reaktionen auf isra­elisches Verhalten. So erschienen nicht mehr der antisemitische Hass und die Ablehnung des ­jüdischen Staats als die Gründe für den Konflikt, sondern man sah die Schuld dafür ausschließlich bei sich selbst.

Diese Haltung spielte auch beim Zustandekommen des Osloer Abkommens eine große Rolle. Denn es handelte sich hierbei zunächst um eine Initiative eben jenes israelischen Friedenslagers und erst an zweiter Stelle um die offizielle Politik der israelischen Regierung. Der Ausgangspunkt waren informelle Treffen Ende 1992 in London und am Fafo-Institut in Oslo zwischen Ron Pundak und Yair Hirschfeld, zwei israelischen Akademikern und Friedensaktivisten, auf der einen Seite und Vertretern der Palästinenserinnen und Palästinenser auf der anderen Seite. Pundak und Hirschfeld unterhielten zudem gute Beziehungen zu Yossi Beilin, einem engen Vertrauten des ­damaligen Außenministers Shimon Peres. Nachdem im Januar 1993 das israelische Parlament das Kontaktverbot zur Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) aufgehoben hatte, seg­nete Peres die Kontakte ab. Hirschfeld, Pundak und Abu Alaa, ein Vertrauter des PLO-Vorsitzenden Yassir Arafat, arbeiteten in der Folge einen Entwurf des Abkommens aus. Unter der Leitung des ­norwegischen Außenministers Johan Jørgen Holst wurde dieser mit Peres und Arafat abgestimmt. Bezeichnenderweise wurde der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin, dessen Skepsis ­gegenüber solchen Verhandlungen bekannt war, erst kurz vor Verhandlungsende über das Ergebnis ­informiert. Schließlich sah aber auch er darin eine Möglichkeit, Israel Sicherheit und Frieden zu bringen, und gab, nachdem Arafat sich in einem Brief zum Existenzrecht Israels bekannt und für eine friedliche Lösung ausgesprochen hatte, sein Plazet.

Dennoch bleibt es bis heute ein Rätsel, wieso selbst israelische Politiker, die der politischen Führung der Palästinenser distanziert gegenüberstanden, bereit waren, mit Arafat und der PLO Abkommen abzuschließen, ohne dass es Anzeichen für eine Abkehr von Gewalt und für die wirkliche Anerkennung eines jüdischen Staats gab. Anti­israelische Reden führender Palästinenser gehörten auch nach der Unterzeichnung des Oslo-­Abkommens zum Alltag, genauso wie die Hetze gegen Israel in palästinensischen Medien und Schulbüchern. Es waren zwar hauptsächlich die islamistischen Terrororganisationen Hamas ­und Islamischer Jihad, die in den neunziger Jahren den mörderischen Terror nach Israel trugen, aber Arafat hatte sich im Oslo-Abkommen zu einem Vorgehen gegen diese Organisationen verpflichtet. Er hielt sich nicht an diese Zusage. Im Gegenteil: Nach Angaben der israelischen Regierung hatte Arafat im März 1997 in mehreren Geheimtreffen mit der Hamas grünes Licht für solche Anschläge gegeben. Er ließ die islamistischen Terroristen gewähren, doch alle noch so offensichtlichen Anzeichen für die Unglaubwürdigkeit von Arafats Bekenntnissen zum Frieden wurden ignoriert.
Unter einigen israelischen Beobachtern herrschte bereits nach der Unterzeichnungszeremonie große Enttäuschung über Arafats Auftreten, denn die Symbolik der Vertreter beider Seiten in Washington hätte unterschiedlicher nicht sein können. Der israelische Ministerpräsident Rabin wählte in seiner Rede Worte, die nichts an Klarheit vermissen ließen: »Wir, die wir gegen euch, die Palästinenser, gekämpft haben, wir sagen euch heute mit lauter und klarer Stimme: genug des Bluts und der Tränen. Genug!« Arafat hin­gegen, der am Vorabend der Unterzeichnung dem norwegischen Außenminister Holst versprochen hatte, er werde die Palästinenser zu einem Ende der Gewalt und des Terrorismus aufrufen, vermied in seiner kurzen Ansprache eben diese eindeutigen Aussagen. Er pries zwar in allgemeinen Worten den Frieden, aber auf eine Zurückweisung des Terrors wartete die israelische ­Seite vergeblich.
Für Arafat war das Oslo-Abkommen ein Schritt auf dem Weg zu einem unabhängigen Staat ­Palästina – wie man dorthin gelangte, war für ihn zweitrangig. So war es wenig verwunderlich, ­dass er sich allein im September 1993 mehr als ein Dutzend Mal auf den Zehn-Punkte-Plan der PLO von 1974 berief, der eine phasenweise Befreiung ganz Palästinas von der »zionistischen Besatzung« vorsah. Sogar am Tag der Unterzeichnung be­kräftigte Arafat diese Position in einer Rede an die Palästinenserinnen und Palästinenser, die im ­jordanischen Fernsehen übertragen wurde.

Dessen ungeachtet wurde durch die an das Oslo-Abkommen anschließenden Vereinbarungen, insbesondere das Oslo-II-Abkommen von 1995, eine schrittweise Übertragung der Verwaltung und Kontrolle an die neugeschaffene Palästinensische Autonomiebehörde (PA) eingeleitet. Anfänglich erfüllte Israel, trotz der einsetzenden Terrorwelle, diese Vereinbarungen, so dass bereits innerhalb der ersten Jahre fast 99 Prozent der ­Palästinenserinnen und Palästinenser in der Westbank unter palästinensische Verwaltung kamen. Alle großen palästinensischen Bevölkerungszentren wurden Arafat unterstellt und bis kurz vor Beginn der Zweiten Intifada Ende des Jahres 2000 umfassten diese Gebiete knapp 46 Prozent der Fläche der Westbank.
Allerdings bildeten diese Gebiete größtenteils keine zusammenhängende Einheit und weite Teile waren immer noch der vollständigen Kontrolle Israels unterstellt. Doch diese ersten Schritte zeigten den guten Willen Israels. Es waren letztlich die zahllosen Brüche der Abkommen durch Arafat, die die Übertragung weiterer Gebiete verhinderten. Dennoch war die israelische Regierung bereit, sich im Jahr 2000 in Camp David an Endstatusverhandlungen mit Arafat zu beteiligen. Doch Ara­fat verhandelte nur vorgeblich, die Vorbereit­ungen für die Zweite Intifada hatten bereits Monate zuvor begonnen.
Die Ursache für das Scheitern von Oslo und Camp David war, dass das Grundproblem des Konflikts ausgeblendet wurde. Seit 60 Jahren geht es nur scheinbar um Gebietsfragen und die Unabhängigkeit Palästinas, Kern der Auseinander­setzung ist vielmehr die Existenz eines jüdischen Staats im Nahen Osten. Selbst Arafats »moderater« Nachfolger, Mahmoud Abbas, weigert sich bis heute vehement, diese anzuerkennen. So sagte er noch im Oktober 2011 gegenüber einem ägyp­tischen Fernsehsender: »Ich werde niemals den jüdischen Charakter dieses Staats oder einen ­jüdischen Staat anerkennen.«
Eine Lehre aus den Verhandlungen des Oslo-Abkommens, die sich ausschließlich mit territo­rialen, sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Fragen beschäftigten, lautet dementsprechend, dass für eine zukünftige Friedenslösung die Anerkennung Israels als jüdischer Staat eine conditio sine qua non ist, so wie es bereits im Teilungsplan der Vereinten Nationen von 1947 vorgesehen war. Nur so könnten die ideologischen und eigent­lichen Wurzeln des Konflikts angegangen werden.
Somit haben diejenigen Stimmen, die heute den Tod des Oslo-Prozesses beklagen, Recht: Der vor 20 Jahren eingeschlagene Weg ist gescheitert – aber eben nicht erst jetzt und nicht an Israel.
Das Oslo-Abkommen war zum Scheitern verurteilt, weil die palästinensische Seite an einer schrittweisen »Befreiung« ganz Palästinas festhielt und die israelische Seite es um des Friedens willen vorzog, alle diesbezüglichen Anzeichen ­zu ignorieren.