Fulya Erdemici im Gespräch über die 13. Biennale in Istanbul

»Die Biennale steht dazwischen«

Am 14. September beginnt die 13. Biennale Istanbul mit dem Titel »Mom, am I Barbarian?«. Es sollte eine Ausstellung im Dialog mit der Stadt werden. Angesichts der Gezi-Proteste entschloss sich die Kuratorin Fulya Erdemci, das Konzept zu ändern.

»Public Alchemy« lautete der Titel Ihres Ausstellungskonzeptes, das die Stadt als Ort vielfältiger Auseinandersetzungen begreift. Sie haben mit diesem Ansatz in gewisser Weise die Gezi-Proteste vorweggenommen. Dennoch wurde Ihr Konzept dann von vielen Künstlern als eine den öffentlichen Raum istrumentalisierende Großveranstaltung des Establishments kritisiert. Unter dem Eindruck der Demonstrationen haben Sie entschieden, dass sich die Biennale aus dem öffentlichen Raum zurückzieht. Warum war dieser Schritt notwendig?
Es geht darum, Stellung zu beziehen. Schon in den ersten Tagen der Gezi-Proteste war spürbar, dass die Proteste spontan genau das taten, was die Biennale hatte initiieren wollen. Der öffent­liche Raum wurde zu einem Ort des Protests, die städtebauliche Transformation und Deformation der Innenstadt wurden in vielen Aktionen thematisiert und künstlerisch revidiert. Es entstand beispielsweise eine Bibliothek im Gezi-Park, die einer im Rahmen der Ausstellung geplanten Arbeit glich. Wir als Biennale-Team haben mit großer Spannung verfolgt, wie die Leute die öffentlichen Räume zurückerobert haben: mit einer großen kreativen Kraft und Ausdrucksstärke.
Zugleich bin ich auch selbst als Demonstrantin mit Gas attackiert worden und war der staatlichen Gewalt ausgesetzt. Viele Menschen werden jetzt wegen ihrer friedlichen Protest­aktionen als Mitglieder terroristischer Vereinigungen angeklagt. Wie kann ich also als Kuratorin der Biennale hergehen und in der momentanen Situation eine genehmigte Ausstellung an Orten abhalten, für deren Nutzung andere Menschen strafrechtlich verfolgt werden? Wir wollten eigentlich das Atatürk-Kulturzentrum, den Gezi-Park, den Taksim-Platz, den Tarlabaşı-Boulvard, die Hafengebäude, den Karaköy-Platz, die Galata-Brücke und das historische Postamt in Sirkeci als Ausstellungsorte nutzen. Wir klammern diese Orte nun bewusst aus und nutzen nur Flächen privater Träger, weil wir keiner staatlichen Kontrolle unterliegen wollen. Gleichzeitig sehen wir den öffentlichen Raum als sinnvoll von der Protestbewegung besetzt.
Was erwartet die Besucher auf der Biennale? Welche Orte haben Sie als offizielle Aus­stellungsorte ausgewählt? Werden die künstlerischen Initiativen der Gezi-Proteste berücksichtigt?
Die Biennale nutzt das ehemalige Hafengebäude Antrepo als Hauptausstellungsfläche. Es wird seit Jahren für die Kunst-Biennale benutzt und wird gerade privatisiert. Wir nutzen die Ausstellungsflächen der privaten Museen Arter und Salt auf dem Istiklal-Boulevard. Das ist ungewöhnlich, weil in der internationalen Kunstszene die Kuratoren und Institutionen in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. Wir konnten diese Kleingeisterei in diesem Jahr aufgrund der außergewöhnlichen Situation überwinden. Ich habe dankend angenommen, als die Kollegen mir anboten, bei Ihnen aus­zustellen. Die Stationen der Biennale befinden sich fast alle in der Nähe des Taksim-Platzes und der Orte der Proteste, die wir natürlich unterstützen. Wir haben alle Initiativen eingeladen, ihre Aktivitäten im Rahmenprogramm an die Biennale anzubinden. Die, die das gemacht haben, bewerben wir über unseren Presseverteiler. Aber wir können und wollen diese Bewegung nicht dominieren. Es hat heftige Interventionen bei Veranstaltungen der Biennale in Istanbul gegeben, eine Diskussionsveranstaltung mussten wir komplett abbrechen, das finde ich aber auch normal. Die Stadt ist momentan ein Pulverfass, und natürlich wird die Biennale von Konzernen finanziert, die für viele in der Bewegung ein rotes Tuch sind. Das ist der übliche Rahmen einer Biennale, wir brauchen Geld und Sponsoren, um eine Großausstellung zu finanzieren.
Natürlich muss ich mich auch der Kritik stellen, denn ich kuratiere die Ausstellung inhaltlich. Deshalb wollte ich hinsichtlich der Hauptausstellung auch nicht von meiner künstlerischen Grundauswahl groß abweichen, weil sie zu den Realitäten der Stadt passt. Wir fordern die Biennale-Besucher darüber hinaus aber auf, in die Parks zu gehen und sich dort die poli­tischen Foren anzusehen. Auch wenn der Gezi-Park erst einmal durch die Polizei von Protesten abgeschirmt wird, so gehen die Aktivitäten doch in den anderen öffentlichen Parks weiter. Es gibt verschiedene Komitees und Diskussionsforen, symbolische Tauschbörsen und vieles mehr, was die alternative Nutzung öffentlicher Räume betrifft. Da die Biennale diese Thematik vertritt, ist es nur eine logische Konsequenz, dass Besucher sich die Aktivitäten im öffentlichen Raum anschauen.
Im Sommer haben viele Istanbuler auch gegen die Sanierung der Innenstadt gekämpft. Ist die Biennale ebenfalls von den Umgestaltungsplänen der Stadt betroffen?
Auf jeden Fall. Das ist auch einer der Gründe, warum wir uns aus dem öffentlichen Raum zurückgezogen haben. Wir fühlten uns einfach verschaukelt. Ich bin bis zum Sommer noch davon ausgegangen, dass das Atatürk-Kultur­zentrum einer meiner Hauptausstellungsorte sein würde. Da das Gebäude seit Jahren nicht genutzt wird und mir gesagt wurde, es werde gerade renoviert, habe ich viel erwartet. Während der Besetzung des Gezi-Parks und des Taksim-Platzes hatte ich dann die Gelegenheit, mir das Gebäude in Abwesenheit von Polizeikräften und Stadtverwaltungspersonal von innen anzuschauen. Es war niederschmetternd. Es ist nur noch eine leere Hülle. Die gesamte aus den Fünfzigern und Siebzigern stammende modernistische Innenarchitektur, das Lampendesign und die Einrichtung wurden entfernt, das ­Gebäude wurde entkernt. Mir war zum Heulen zumute. Jeder Istanbuler hat Erinnerungen an so viele kulturelle Ereignisse in diesem Kulturpalast. Zudem hatte man mich belogen. Die Stadtverwaltung hatte mir gesagt, das Gebäude werde für den 29. Oktober, den Nationalfeiertag zur Republikgründung, renoviert. Dann wurde der 10. November, der Todestag Atatürks, anvisiert. Das war alles utopisch und auch nicht ernst gemeint. Während der Proteste wurde die Willkür dieser sogenannten Stadtplanung deutlich. In den ersten Wochen verkündete Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan, dort werde ein Einkaufszentrum gebaut. Die Leute regten sich auf, daraufhin wollte er alles abreißen lassen. Da regten sich noch mehr Leute auf, jetzt will er dort eine barocke Oper errichten lassen Das hat alles weder Hand noch Fuß und basiert vor allem auf keinerlei Mitbestimmung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen.
Werden die Proteste im Herbst wieder aufflammen?
Bestimmt, denn die Ursachen für die Proteste bestehen weiter. Es gibt viele Initiativen, die im Herbst mit Aktionen beginnen werden, in friedlicher Form. Am Weltfriedenstag haben die Demonstranten eine Friedenskette auf dem ­Istiklal-Boulevard und am Bosporus gebildet. Eine zentrale Treppe im öffentlichen Raum wurde aus Solidarität mit der LBGT-Bewegung in den Regenbogenfaben gestrichen. Die Stadtverwaltung überstrich sie grau, da gab es einen Riesenaufruhr, vor allem auf den sozialen Medienplattformen. Und es ist kaum zu glauben, aber die Treppe wurde offiziell wieder in den Regenbogenfarben gestrichen, im Auftrag der Stadtverwaltung von Beyoğlu. Das sind kleine Schritte, aber doch der Beginn einer öffentlichen Auseinandersetzung über die Gestaltung und die Nutzung des öffentlichen Raums. Wir werden als Biennale ein internationales Publikum anziehen, das wird auch der Protestbewegung Auftrieb geben, hoffe ich.
Sie haben mehrere Jahre in den Niederlanden gearbeitet. Waren Sie nach Ihrer Rückkehr überrascht über die Entwicklungen in Istanbul?
Ich habe natürlich den Kontakt nie verloren, war aber nicht anwesend. Ich bin als Kuratorin der Biennale auf der einen Seite schockiert über die politisch und wirtschaftlich motivierte rapide Transformationspolitik in Istanbul, auf der anderen Seite versöhnt mich die kreative Eruption, die ich miterleben darf. Die Proteste werden von einem kollektiven Willen geleitet, der auf wunderbare Art und Weise seinen Ausdruck in vielerlei künstlerischen Gestaltungsformen findet. Es waren nicht nur die Künstler, Musiker und Lyriker, die hier Graffiti gesprüht, Aphorismen erfunden und Performances veranstaltet haben, sondern oft ganz normale Leute. Als Biennale sehen wir uns als Teil einer sehr komplexen Situation. Da ist die Regie­rung mit ihren Anhängern, ihren Wirtschaftsinteressen. Da das alteingesessene Kapital und seine Interessen. Auf der anderen Seite stehen die Aktivisten der Protestbewegung. Als Biennale stehen wir irgendwie dazwischen, und das ist für mich momentan eine durchaus reiz­volle Position.

Fulya Erdemci (geboren 1962) lebt und arbeitet in Istanbul und Amsterdam. Sie ist Direktorin der Stiftung für Kunst im öffentlichen Raum in Amsterdam. Zuvor war sie Leiterin der Internationalen Istanbul Biennale 1994–2000. Erdemci lehrte an der Bilkent Universität, Ankara (1994–1995), der Marmara Universität, Istanbul (1998); und der Bilgi Universität Istanbul (2000–2007). Erdemci war Mitglied des kuratorischen Teams der 2. Moskauer Biennale für Zeitgenössische Kunst 2007.