Deutsche Soldaten sind unzufrieden mit der Reform der Bundeswehr

Dienen hat ausgedient

Soldaten, Offiziere und Zivilbeschäftigte kommen mit der Reform der Bundeswehr nicht zurecht.

Antimilitaristen dürften sich freuen: In der Bundeswehr herrscht schlechte Stimmung. Grund dafür ist der Umbau der Streitkräfte von einer Armee der Landesverteidigung zu einer global agierenden Interventionstruppe. Wie das zu Jahresbeginn mit dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt fusionierte Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr (SoWi) ermittelt hat, fühlen sich nur 32 Prozent der militärischen Dienststellenleiter über diese »Neuausrichtung« gut informiert. Mehr als die Hälfte der befragten Offiziere gibt sogar an, nicht zu wissen, »wohin die Reise gehen wird«. Auch dass das zent­rale Ziel der besagten »Neuausrichtung« – die Verbesserung der »Einsatz- und Durchhaltefähigkeit« auf fremdem Territorium – erreicht wird, können sie nicht erkennen: »58 Prozent sind der Ansicht, dass es (…) nicht gelingen wird, die Einsatzfähigkeit der Truppe zu erhöhen, und 79 Prozent bezweifeln, dass die Durchhaltefähigkeit der Truppe gesteigert werden kann.«

Die vom SoWi zugleich mit den Führungskräften befragten Soldaten und Zivilbeschäftigten der Bundeswehr stellen dem »Veränderungsmanagement« ihres Arbeitgebers ein geradezu vernichtendes Zeugnis aus. Lediglich 24 Prozent von ihnen fühlen sich über den eingeleiteten »Reformprozess« gut informiert; 89 Prozent wissen nach eigenem Bekunden nicht, »wohin die Reise gehen wird«. Wie die Offiziere sind auch sie der Ansicht, dass eine Steigerung der »Einsatz- und Durchhaltefähigkeit« nicht in Sicht ist. Doch damit nicht genug: Jeweils mehr als die Hälfte der Befragten verbindet mit der »Neuausrichtung« überwiegend persönliche Nachteile und hält die »Stimmungslage« insgesamt für »schlecht« respektive »sehr schlecht«. Einschätzungen wie diese bleiben selbstverständlich nicht ohne Auswirkungen auf die Loyalität der Truppe: 41 Prozent der Bundeswehrangehörigen geben an, dass sich ihre »Einstellung gegenüber dem Dienstherrn« in letzter Zeit überwiegend »zum Negativen« entwickelt habe.
Ganz besonders genervt sind offenbar die Zivilbeschäftigten der deutschen Streitkräfte. Gemäß den Vorgaben der vom Bundesverteidigungsministerium eingesetzten »Strukturkommission« soll ihre Anzahl von derzeit rund 70 000 bis 2016 auf 55 000 reduziert werden. Sie haben Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, wie einer unlängst vom Meinungsforschungsinstitut Forsa vorgestellten Studie zu entnehmen ist. Der vom »Verband der Beamten der Bundeswehr« (VBB) in Auftrag gegebenen Erhebung zufolge sind 46 Prozent der zivilen Bundeswehrbediensteten mit ihrem Arbeitgeber unzufrieden; 40 Prozent geben sogar an, »derzeit nicht gerne zur Arbeit« zu gehen – ein Bekenntnis, das sonst lediglich zehn Prozent der lohnabhängig Beschäftigten in Deutschland ablegen. Passend hierzu meinen 85 Prozent der Befragten, ihre »Belange und Wünsche« würden »von den Verantwortlichen des Ministeriums« nicht »in ausreichendem Maße berücksichtigt«; knapp die Hälfte hält die gegenwärtige Militärreform schlicht für »nicht durchdacht«, »überstürzt« und »chaotisch«. Mit Blick auf den von der Deutschen Bahn AG betriebenen Stellenabbau, der in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt über Wochen hinweg zu zahlreichen Zugausfällen und Verspätungen geführt hatte, erklärte der VBB-Vorsitzende Wolfram Kamm, auch beim zivilen Bundeswehrpersonal herrschten »Verhältnisse wie am Mainzer Hauptbahnhof«.

Gleichzeitig hat das deutsche Militär offenbar große Probleme damit, neue Soldaten zu rekrutieren. Schon 2011 bezeichnete das von den Streitkräften eingerichtete Online-Portal »Reader Sicherheitspolitik« die »Nachwuchslage« als »dramatisch«. Insbesondere im Bereich der Bundeswehrärzte und beim »fliegenden Personal« sei man mit einem eklatanten »Fachkräftemangel« konfrontiert, hieß es; die Crews der Transport- und Kampfgeschwader etwa wiesen eine personelle »Unterdeckung von 20 bis 30 Prozent« auf: »Egal ob Jet-Pilot, Transall-Flieger oder Angehöriger der Flugbereitschaft des Verteidigungsministeriums – Lücken gibt es in allen Bereichen.« Damit einhergehend konstatierte der Autor des »Readers Sicherheitspolitik« eine »nach­lassende Qualität des potentiellen Bewerberpools«. Zurückgeführt wurde dies darauf, dass in Deutschland immer mehr Kinder gezwungen seien, von »Hartz IV« zu leben, was sich negativ auf »Lernvermögen« und »Bildungsstand« auswirke.

In dieselbe Kerbe schlug erst kürzlich auch Hans Rühle, der von 1982 bis 1988 den Planungsstab des Bundesverteidigungsministeriums leitete. In der Welt ließ Rühle wissen, dass den deutschen Streitkräften pro Jahr circa 20 000 bis 30 000 Bewerber für die Laufbahn der Mannschaften, Unteroffiziere und Feldwebel fehlen. Die Armee sei daher gezwungen, »in erheblichem Umfang« Personal zu engagieren, »das sie bisher wegen Qualitätsdefiziten nie eingestellt hätte«. Darüber hinaus konstatierte der ehemalige Ministerial­beamte der Regierung Helmut Kohls »massive unlösbare Probleme mit den freiwillig Wehrdienstleistenden«. Neben »sinkenden Bewerberzahlen« sei die Bundeswehr damit konfrontiert, dass mehr als ein Viertel der jungen Rekruten ihr Dienstverhältnis innerhalb der ersten drei Monate kündigten, so Rühle. Da sich gleichzeitig mehr als die Hälfte der freiwillig Wehrdienstleistenden für weniger als 15 Monate verpflichte, kämen sie für eine Teilnahme an Auslandseinsätzen nicht in Frage – und dienten somit auch nicht, wie im Rahmen der »Neuausrichtung« vorgesehen, der »Entlastung« der kämpfenden Truppe. Das Fazit des einstigen Militärplaners fiel mehr als deutlich aus: »In der Konkurrenz zur freien Wirtschaft (…) hat die Bundeswehr kaum eine Chance«; das »Konzept des freiwilligen Wehrdienstes« habe sich daher »erledigt«.
Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) ficht die an seinen Reformen geäußerte Kritik indes nicht an. In einem vom Presse- und Informationsstab seines Hauses pünktlich zum Internationalen Antikriegstag am 1. September veröffentlichten Interview verwies er auf eine »aktuelle Studie, in der die Bundeswehr als einer der drei beliebtesten Arbeitgeber bei 16- bis 18jährigen Schülern abschneidet«. Die besagte Erhebung stammt von dem Berliner Meinungs- und Marktforschungsinstitut Trendence, das neben zahlreichen Großunternehmen auch das Auswärtige Amt, den Bundesnachrichtendienst (BND) und die deutschen Streitkräfte zu seinen Kunden zählt. Nach eigenen Angaben entwickelt die Einrichtung »Konzepte und Strategien«, die es Personalwerbern ermöglichen sollen, »gezielt Einfluss auf Auswahlentscheidungen« zu nehmen. Zudem werden den für die Nachwuchsrekrutierung Zuständigen statistische »Messinstrumente« offeriert, mit denen sie dem Institut zufolge überprüfen können, ob ihre »Kommunikationsbemühungen die gewünschte Wirkung erzielen«. Von beiden Angeboten macht die Bundeswehr offenbar regen Gebrauch: Regelmäßig rangiert sie auf den von Trendence erstellten Ranglisten der 100 deutschen »Top-Arbeitgeber« weit vorne, während sie das ebenfalls von Trendence vergebene Qualitätssiegel »Deutschlands 100 Top-Arbeitgeber« als Werbemittel auf ihren Karriere-Websites einsetzt.