Die Euro-Politik und die »Alternative für Deutschland«

Back to Bismarck

Außenpolitisch setzt die Alternative für Deutschland nicht auf die EU, stattdessen kürt sie Otto von Bismarck zum Vorbild. Mittlerweile scheint sich auch die CDU vor der neuen Partei zu fürchten.

Sie ist die große Unbekannte des Bundestagswahlkampfs und niemand weiß genau, wo die ­Alternative für Deutschland (AfD) am Ende landen wird. In Umfragen rangiert sie zwar konstant unter fünf Prozent, doch ihre potentiellen Wähler gelten unter Meinungsforschern als verschlossen. Viele wollen niemandem verraten, dass sie ihr Kreuz bei der Anti-Euro-Partei machen. Aktu­elle Umfragen, wie das Politbarometer des ZDF oder der Sonntagstrend von Emnid, sehen die AfD bei vier Prozent.
Bernd Lucke, Bundesvorsitzender der AfD, glaubt sogar an bis zu acht Prozent der Stimmen. So hoch schätzt er den Anteil der Bevölkerung ein, der sich eine radikale Kursänderung in der Euro-Politik wünscht. Gerne verweist Lucke dabei auf die Erkenntnisse des Informationsdienstes »Wahl-Radar«, der die Partei schon so gut wie im Bundestag wähnt. Der Dienst wertet nicht nur die klassischen Umfragedaten aus, sondern bezieht auch Social Media und Wahlbörsen mit ein. Die wohlwollenden Vorhersagen sind allerdings nicht weiter verwunderlich, wenn man weiß, dass die Agentur von einem AfD-Funktionär geleitet wird. Doch solche Prognosen sind für Lucke ein dankbarer Anlass, um sich öffentlich bereits über mögliche Koalitionen auszulassen. Eine Zusammenarbeit mit der Union sei trotz der »momentan noch« gegensätzlichen Positionen bei der Euro-Rettung möglich, sagte er vergangene Woche im ARD-Morgenmagazin. Schließlich sei die CDU »nicht unbedingt die Partei, bei der man sagen kann, dass die Wahlversprechen sonderlich verlässlich sind«.

Auch wenn Luckes Zweckoptimismus übertrieben erscheinen mag, so erhielt er in den vergangenen Wochen dennoch kräftigen Rückenwind. Das wichtigste Thema seiner Partei, die Euro-Politik, spielte im Wahlkampf lange Zeit keine Rolle. Die schwierigste Phase sei vorbei, bald werde es wieder aufwärts gehen, lautete unisono die Botschaft der schwarz-gelben Bundesregierung. Und auch die Sozialdemokraten schweigen sich über das Thema aus. Sie tragen die bisherigen Euro-Rettungsprogramme mit, einen ernsthaften Gegenentwurf zur Politik der Bundesregierung haben sie nicht anzubieten. Die Euro-Krise war jedoch wieder schlagartig präsent, als Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vor wenigen Wochen zugeben musste, dass spätestens im kommenden Jahr mit einem weiteren Hilfspaket für Griechenland zu rechnen ist.
Tatsächlich hat sich an der prekären Lage der Euro-Zone wenig geändert. Nach wie vor ist die wirtschaftliche Lage vor allem der südlichen Staaten dramatisch: Sie befinden sich in einer tiefen Rezession, ihre Schulden wachsen weiter, während die Arbeitslosenrate im besten Fall auf einem historisch hohen Niveau stagniert.
Und auch die Deutschen sind alles andere als beruhigt. Einer aktuellen Umfrage zufolge glauben nur 17 Prozent der Wähler, dass die Euro-Krise schon überwunden sei. Rund die Hälfte sieht den Wohlstand gefährdet und fürchtet sich wegen der niedrigen Zinsen vor Altersarmut. Die Euro-Schuldenkrise ist die größte Sorge der Deutschen, noch vor der Arbeitslosigkeit und steigenden Preisen.

Diese Angst ist ein guter Verbündeter der Alternative für Deutschland. Während die anderen Parteien versuchen, das Thema möglichst kleinzuhalten, präsentiert sie einen scheinbar einfachen Plan, um die Krise zu beenden. »Meine Strategie ist, Ländern wie Griechenland keine weiteren Hilfsgelder zu geben. Würden wir den Geldfluss abstellen, würde Athen aus dem Euro austreten«, erklärte Lucke kürzlich in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen. Länder wie Italien, Spanien, Portugal und Zypern müssten folgen. Die gemeinsame Währung könne »in Frieden und Freundschaft« einfach aufgelöst werden, dann werde eben die D-Mark wiederkommen.
Für viele Wähler hören sich solche Aussagen verlockend an. Immerhin hat die Bundesregierung jahrelang erklärt, die Schuldnerländer seien selbst für die Krise verantwortlich. Deutschland finanziere die Euro-Rettung, ohne selbst an den Ursachen der Misere schuld zu sein. Warum soll es dann für die Schulden anderer Länder zahlen? Wer dieser Begründung folgt, ist bei Luckes Partei gut aufgehoben.
Nachdem die konservative Konkurrenz die AfD lange Zeit ignorierte, warnt nun auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor einem Anti-Euro-Kurs. »Die meisten Bürger wissen: Der Euro ist gut und sichert Arbeitsplätze für Deutschland«, sagte sie vorige Woche in der Bild-Zeitung.
Die Distanzierung ist ihr auch deshalb wichtig, weil die AfD sichtlich bemüht ist, sich von ihrem Image als bloße Anti-Partei zu lösen. Die Führungsspitze um Lucke, der frühere FAZ-Redakteur Konrad Adam und der ehemalige hessische Staatssekretär Alexander Gauland, präsentieren sich gerne als Repräsentanten eines bürgerlich-konservativen Milieus, das unter der Ägide Merkels heimatlos geworden sei.
So erläuterte Gauland kürzlich in Berlin die außenpolitischen Positionen der Partei, die auch enttäuschten Merkel-Anhängern gefallen werden. Der stellvertretende AfD-Vorsitzende wetterte insbesondere gegen einen möglichen EU-Beitritt der Türkei, denn damit drohe Europa »seine abendländische Identität« zu verlieren. Zudem sprach er sich für eine intensivere Zusammenarbeit mit Russland aus. Das Land habe »an entscheidenden Wegmarken der deutschen Geschichte positiv Pate gestanden und Preußen vor dem Untergang bewahrt«, wusste er zu berichten. Und es gehe darum, ohne Scheu nationale Interessen zu formulieren und sie international zu vertreten.

An Bismarcks Epoche orientiert sich auch die Spitzenkandidatin Beatrix von Storch, die in Berlin den AfD-Wahlkampf führt und auf dem zweiten Listenplatz antritt. Bekannt wurde sie mit ihrem Einsatz gegen die Bodenreform auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und ihrer Forderung, das Land wieder in die Hände der früheren Großgrundbesitzer zu geben. Gehör verschafft sie sich mittlerweile aber auch mit ihren Thesen zur Familienpolitik. Die traditionelle Ehe mit Vater, Mutter und Kind sei das »definierte Optimum«, die volle Gleichstellung von Homosexuellen lehnt sie ab. Völlig unumstritten sind solche Positionen innerhalb der AfD zwar nicht. Im Juni versendete der Berliner Landesverband eine Pressemitteilung, in der er sich »ohne Vorbehalte« zur steuerlichen Gleichstellung von hetero- und homosexuellen Paaren bekannte. Die Mitteilung wurde aber umgehend vom Bundesvorstand zurückgezogen, der sich ausdrücklich davon distanzierte. Die Rechtsprechung dürfe nicht zu einer »faktischen Entwertung der Ehe« führen, hieß es in der Begründung.
Der Streit ist symptomatisch für den Konflikt zwischen einem eher liberalen Flügel, zu dem ehemalige FDP-Mitglieder zählen, und rechtskonservativen Kreisen. Wer diese Auseinandersetzung am Ende gewinnen wird, lässt sich unschwer vorhersagen. Während man zuvor darauf bedacht war, Mitglieder von NPD oder DVU fernzuhalten, können Mitglieder der rechtspopulistischen Partei »Die Freiheit« zur AfD wechseln, ohne dort auf große Vorbehalte zu stoßen. Wie fließend die Grenzen nach rechts außen sind, zeigt auch der AfD-Werbeslogan »Einwanderung ja. Aber nicht in unsere Sozialsysteme«, der unter anderem in Brandenburg auf Plakaten zu sehen ist. Zugleich wirbt dort die NPD mit dem Spruch »D-Mark statt Euro-Pleite«. Sollte es der AfD gelingen, mehr als drei Prozent bei den Bundestagswahlen zu erreichen, hat sie zumindest Chancen, sich als Partei rechts von der CDU zu etablieren.