Die Steuerpläne der Opposition

Die Angst der Besserverdiener

Die Steuerpläne der Opposition sorgen für Aufregung. Dabei wollen SPD und Grüne ihre Fehler aus Regierungszeiten nur geringfügig korrigieren, und die Forderungen der Linkspartei rufen Erinnerungen an die Kohl-Ära hervor.

Freidemokratischer Humor ist sonderbar. Auf ihrer Homepage hat die FDP ein Spiel eingestellt, das sich über die Steuerpolitik von SPD und Grünen lustig macht. »Kostet Rot-Grün Sie das letzte Hemd?« ist der Titel. Es erscheinen wahlweise eine Frau oder ein Mann, klicken die Nutzer auf Aussagen wie »Ich verdiene mehr als 42 300 Euro im Jahr«, »Ich wohne« oder »Ich habe ein Haustier«, verschwindet ein Kleidungsstück nach dem anderen. Am Ende sind Mann oder Frau nackt und bedecken die Geschlechtsteile mit den Händen. Eine fiese grüne Hand greift nach ihnen. Die SPD und vor allem die Grünen beziehen viel Prügel für ihre Steuerprogramme. »Unternehmen klagen an: Rot-Grün will uns schröpfen«, schreibt Focus. »Imageschäden durch Steuerpolitik«, berichtet die FAZ. Die Grünen hätten ein Kommunikationsproblem, sagt ihre Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. »Wir senken die Steuern für 90 Prozent der Leute«, wiederholt sie gebetsmühlenartig. Die Botschaft kommt nicht an. Da helfen auch die vielen Werbeanzeigen der Grünen beim Internet-Dienstleister Google nicht, die bei der Eingabe von Suchbegriffen wie »Steuergerechtigkeit«, »Spitzensteuersatz« oder »Steuerreform« ganz oben auf dem Bildschirm erscheinen. »Das Thema passt nicht zu ihnen«, stellt Manfred Güllner, Geschäftsführer des Forsa-Instituts, fest. Soziale Gerechtigkeit sei ein Thema, mit dem die Grünen schlicht keine Stimmen gewinnen könnten.

Das deutsche Steuersystem ist für Laien nur in sehr groben Zügen durchschaubar. Immerhin leben knapp 90 000 Steuerberater davon, dass ihre Klienten nicht willens oder fähig sind, den Dschungel zu durchdringen. Zig Einzelforderungen der Parteien in den Wahlprogrammen, Zahlen über Zahlen, Prozentsätze, Fachjargon – dahinter können sich Politiker auf Wahlkampfveranstaltungen und in Talkshows bestens verschanzen und alle möglichen Behauptungen aufstellen. Regelmäßig wetteifern Wahlkämpfer der Linkspartei und der Grünen darum, welche von beiden Parteien die Mittelschicht steuerlich stärker entlastet. Die Antwort hängt davon ab, was man unter Mittelschicht versteht. Eindeutig ist aber, wer die Menschen mit den geringsten Einkünften entlasten will. Wer im Jahr 2013 nicht mehr als 8 130 Euro verdient, muss dafür keine Einkommenssteuer zahlen. Das soll nach dem Willen der SPD so bleiben. Die Grünen wollen den Betrag, bis zu dem keine Abgaben ans Finanzamt geleistet werden müssen, auf 8 700 Euro anheben. Bei den Linken soll er auf 9 300 Euro steigen – wer 1 000 Euro brutto im Monat oder weniger verdient, müsste dann keine Einkommenssteuer mehr zahlen.
In der Bundesrepublik gilt die Steuerprogression. Je höher das Einkommen, desto höher der Steuersatz. Wer viel verdient, soll nicht nur absolut, sondern auch relativ mehr zahlen. Das ist jedenfalls die Idee. Steuertricks und Betrug unter sachkundiger Anleitung sorgen oft genug dafür, dass Reiche bei weitem nicht das ans Finanzamt abführen, was sie sollten. Immerhin, gesellschaftlich akzeptiert ist das nicht. Ebenso wenig wie die Vorstellung, dass Arme und Reiche gleich viel oder gleich wenig zahlen sollen. Es ist noch ­keine acht Jahre her, dass Angela Merkel (CDU) mit Paul Kirchhof einen Steuerrechtler zum Finanzminister machen wollte, der einen Einheitssteuersatz befürwortete. Nach viel Kritik, auch vom christdemokratischen Publikum, verzichtete sie auf den Heidelberger Professor. Das Ganze kostete Merkel viele Stimmen.

In den vergangenen 15 Jahren sind die Weichen so gestellt worden, dass die Union im Großen und Ganzen keinen Änderungsbedarf anmeldet. Das Steuergeschenk für Hoteliers, Erben und Familien mit hohen Einkommen zu Beginn der schwarz-gelben Legislaturperiode mutet fast bescheiden an im Vergleich zu den Entlastungen für Unternehmen und Reiche, die Rot-Grün zu verantworten hat. Ein Beispiel dafür ist die Körperschaftssteuer. Die müssen juristische Personen in Form von Kapitalgesellschaften wie Aktiengesellschaften zahlen. Nach ihrer Senkung von 25 auf 15 Prozent im Zuge der rot-grünen Steuerreform 2001 gab der Staat Unternehmen 400 Millionen Euro zurück. Die Einnahmen aus der Körperschaftssteuer hatten im Jahr 2000 noch bei 23,6 Milliarden Euro gelegen. Die öffentlichen Kassen leiden nach wie vor unter dem Geldentzug. Ihre steuerpolitischen Fehler wollen SPD und Grüne nur sehr begrenzt korrigieren. Die rot-grüne Bundesregierung hat den Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt. Jetzt wollen die beiden Parteien ihn wieder anheben, aber nicht auf das alte Niveau. Die Sozialdemokraten wollen ab einem Einkommen von 100 000 Euro 49 Prozent verlangen, die Grünen ab einem Einkommen von 80 000 Euro. Nur die Linkspartei will zu dem Spitzensteuersatz zurückkehren, der unter Kanzler Helmut Kohl galt: 53 Prozent. Der soll ab einem Bruttoeinkommen von 63 000 Euro gelten. Bei Einkommen ab einer Million Euro sollen 75 Prozent fällig werden. Das ist neu. Viele Steuervorschläge der Linkspartei sind das aber nicht, sie orientieren sich am Zustand vor Beginn der rot-grünen Regierung im Jahr 1998. Das gilt für die Körperschaftssteuer, die wieder auf 25 Prozent steigen soll, und den Plan, Gewinne aus Kapitalanlagen wie Einkommen zu besteuern. »Die Linke will die Wohlhabenden auspressen, wo es nur geht«, schreibt die Süddeutsche Zeitung, die es besser wissen müsste. »In keinem Bereich lässt sie sich von SPD und Grünen übertreffen. Da geht es nicht mehr um Gerechtigkeit. Das grenzt an Populismus.« Allerdings ist es nicht sehr schwer, SPD und Grüne zu übertreffen – auch wenn die auf Empörung abzielende Kampagne etwas anderes glauben machen will. Die SPD will zwar eine Vermögenssteuer einführen, aber deren Höhe ist unklar. Kapitalerträge sollen weiter mit einer Flatrate besteuert werden, allerdings mit 32 Prozent statt mit 25 Prozent. Auch der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für die Hotelbranche soll abgeschafft werden. Die Erbschaftssteuer für Kinder von Unternehmern soll daran geknüpft werden, ob Arbeitsplätze erhalten werden. Auch die Grünen wollen von Reichen eine moderate Abgabe, wenn sie mehr als eine Million Euro Vermögen haben. Unternehmen sollen von 35 Prozent des Betriebsgewinns 1,5 Prozent zahlen.

Wie die Linkspartei wollen SPD und Grüne das sogenannte Ehegattensplitting früher oder später abschaffen. Dieses Steuerprivileg begünstigt Paare mit sehr ungleichem Einkommen und damit die klassische Alleinverdienerehe. Denn das ­Finanzamt teilt die Einkünfte des Paares und berechnet dann die fällige Steuer, die bei rechnerisch zwei kleinen Einkommen geringer ist als bei einem hohen. Verdienen Partner gleich viel, hat das Ehegattensplitting keine Auswirkungen. Bei zusammenlebenden Paaren, die nicht verheiratet oder verpartnert sind, muss ohnehin jeder sein Einkommen selbst versteuern. Das Ehegattensplitting hält an überkommenen Rollenmustern fest. Die Unionsparteien aber wollen es retten, indem sie das »Familiensplitting« nach französischem Modell einführen – ein Projekt, das im Fall einer Bestätigung der schwarz-gelben Koalition bei der Bundestagswahl gute Chancen auf Umsetzung hätte. In Frankreich beziehen die Finanzämter zur Ermittlung der Steuerschuld auch Kinder ein und verteilen das Familieneinkommen auf mehrere Köpfe, so dass die Abgaben sinken. Union und FDP wollen die Kinderfreibeträge für die Steuerberechnung und das Kindergeld erhöhen – wovon nach einer Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in erster Linie Besserverdiener profitieren würden. Familien, die von Hartz IV leben, hätten nichts davon. Sie können keine Freibeträge geltend machen, das Kindergeld wird mit ihren Leistungen verrechnet. »Hohe Kosten bei geringer Entlastung für einkommensschwache Familien«, urteilen die DIW-Wissenschaftler. Nach ihren Berechnungen werden die Familien im untersten Zehntel der Einkommensskala mit 300 Euro im Jahr entlastet, Familien im obersten Zehntel mit 840 Euro. Kosten würde das Familiensplitting sieben Milliarden Euro. »Es ist in erster Linie eine massive weitere Entlastung von Besser- und Spitzenverdienern und damit genau das Gegenteil dessen, was wir steuerpolitisch brauchen: eine solidarische Umverteilung«, sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider. Immerhin eine Partei ist in der steuerpolitischen Defensive und versucht das mit Attacken auf Rot-Grün zu kaschieren: die FDP. Vor vier Jahren konnten die Freidemokraten gar nicht oft und laut genug nach Steuersenkungen rufen. Aus ihrem Plan, eine umfassende Steuerreform zum Markenzeichen der schwarz-gelben Koalition zu machen, ist nichts geworden. Die Liberalen haben allerhand Einzelforderungen, aber kein vorzeigbares Gesamtkonzept. Sie wissen, dass ihre Idee einer Drei-Punkte-Flatrate nicht mehrheitsfähig ist und sprechen in ihrem Programm nur noch von »Stufentarif«. »Ehemals eine Vorreiterpartei in Sachen Steuerpolitik, wirkt die Partei heute gestrig«, urteilt die SZ. Aber das kann sich je nach Wahlausgang schnell ändern.