Urteile gegen Militärangehörige in Kolumbien

Die Spitze des Leichenbergs

Tausende Menschen wurden in Kolumbien ermordet, weil die Regierung Prämien auf tote Guerilleros ausgesetzt hatte. Anfang September sind Mitglieder eines der für die Morde verantwortlichen Bataillone verurteilt worden.

Publio Hernán Mejías Lebenslauf galt lange Zeit als vorbildlich. Vielfach ausgezeichnet war der kolumbianische Oberst, der in Valledupar, der Hauptstadt des im Norden des Landes liegenden Verwaltungsbezirks Cesar, das Bataillon La Popa befehligte. 2007 schied er aus dem aktiven Dienst aus, am 6. September 2013 verurteilte ihn der sechste Senat in Bogotá nun zu einer Freiheitsstrafe von 19 Jahren. Mejía ist der zweite ranghohe Militärangehörige, der wegen der sogenannten falsos positivos (»falsche Positive«) verurteilt wurde. »Als falso positivo wird ein Zivilist bezeichnet, der ermordet und als Rebell deklariert wird, der im Kampf getötet wurde«, erklärt Bayron Góngora von der Menschenrechtskanzlei Corporación Jurídica Libertad in Medellín. Er gehört zu den Anwälten, die sich seit Jahren mit den Fällen von Jugendlichen und Männern beschäftigen, die verschwinden und Tage oder Wochen später von der Armee als im Kampf getötete Guerilleros präsentiert werden. »Wir gehen von mindestens 3 000 Fällen aus, rund die Hälfte davon sind dokumentiert«, sagt der Menschenrechtsanwalt.
Dazu gehören nun auch die 19 vermeintlichen Mitglieder der Frente 6 de Diciembre der kolumbianischen Guerilla ELN. Deren Tod hatte Oberst Mejía am 25. Oktober 2002 seinen Vorgesetzen gemeldet. Doch schon damals war die Kampfhandlung als ungewöhnlich eingestuft worden, denn es starben alle vermeintlichen Guerilleros, aber keiner der 14 beteiligten Soldaten hatte auch nur eine Verletzung. Zudem soll sich das Gefecht in der von paramilitärischen Gruppen kontrollierten Region Bosconia abgespielt haben.

Gleichwohl wurde Mejía mit einer Medaille und Prämien ausgezeichnet erst als einer der Untergebenen des geltungssüchtigen Oberst auspackte, kam langsam heraus, weshalb das Bataillon La Popa zwischen 2002 und 2004 überdurchschnittlich viele getötete Guerilleros vorweisen konnte. Für Offiziere und Soldaten war dies sehr lukrativ, denn es gab Prämien für jeden im Kampf getöteten Kämpfer der ELN und der Farc, der beiden großen Guerillaorganisationen in Kolumbien. So legt die einst geheime Direktive 029 vom November 2005 en detailliert fest, wie viel ein Getöteter wert ist: Für einen Guerillaführer winken umgerechnet bis zu zwei Millionen Euro, für einen einfachen Kämpfer etwa 1 500 Euro. Das machten sich zahlreiche Armeeeinheiten zunutze. Aus­sagen von Militärangehörigen machen deutlich, dass sie systematisch vorgingen. So gab es ein kit de legalización, ein Paket, das die nötigen Utensilien enthielt, um einen Menschen als getöteten Guerillero zu deklarieren, wie eine Waffe, Uniformjacke und Abzeichen. Auch das »Rekrutieren zukünftiger Toter« ist in der Aussage von ranghöheren Militärangehörigen genau beschrieben. Ein Leutnant der XIV. Brigade machte Góngora zufolge, der akribisch Informationen sammelt, im Dezember 2009 darüber eine Aussage. In der Truppe kursierte nicht der Begriff falsos positivos, sondern sie nannten ihr Vorgehen legalizacion, Legalisierung. Höhere Stellen verlangten Erfolgsmeldungen, denn mit »positiven« Statistiken wollte man untermauern, dass Kolumbien auf dem richtigen Weg sei, so Reynaldo Villalba, Anwalt der in Bogotá ansässigen Menschenrechtskanzlei Colectivo de Abogados José Alvear Restrepo.
Für die Aufklärung der Morde waren nicht nur die Daten auf dem Laptop von Jorge 40, dem Befehlshaber des nördlichen Blocks der paramilitärischen Gruppen, ausgesprochen nützlich, sondern auch Zeugenaussagen, das hartnäckige Nachfragen von Müttern, die ihre Söhne vermissten, und die Arbeit von Medizinern in den Leichenschauhäusern, die Anwälte auf Auffälligkeiten und Widersprüche hinwiesen. 2008 machte vor allem der Fall von Jugendlichen aus Soacha, einer Vorstadt von Bogotá, Schlagzeilen. Als ein Gerichtsmediziner bei einem jugendlichen Toten ein Mobiltelefon fand und die zuletzt gewählte Nummer wählte, meldete sich die Mutter in Soacha. Alsbald stellte sich heraus, dass weitere Jugendliche aus Soacha in und um Ocaña, einer Kleinstadt im Verwaltungsdistrikt Norte de Santander, ermordet worden waren. Der Regierung bescherten die zahlreichen Fälle von falsos positivos unbequeme Nachfragen. Der UN-Berichterstatter Philip Alston kritisierte 2009 die »systematischen Versuche, die Prozesse gegen Täter und ihre Hintermänner zu erschweren«, und warnte eindringlich vor Straflosigkeit.

Daran hat sich auch mit dem Urteil vom 5. September nichts geändert. Das Verfahren ist erst das zweite, in dem ranghohe Militärangehörige für die Ermordung von Zivilisten und deren anschließende Etikettierung als Guerilleros zur Verantwortung gezogen wurden. Drei Tage nach dem Urteil gegen Mejía zogen die Menschenrechtsanwälte des Colectivo de Abogados José Alvear Restrepo gemeinsam mit Vertretern anderer Organisationen vor das Verfassungsgericht, um eine Petition gegen die geplante Reform zur Stärkung der Militärgerichtsbarkeit einzureichen. Auch Villalba demonstrierte als Gegner der Militärjustiz. Er warnt auf der Homepage der Anwaltskanzlei: »Ich denke, dass die Erweiterung der Militärjustiz zu mehr Straffreiheit führt, deshalb müssen wir den Zugang zur internationalen Gerichtsbarkeit weiter öffnen.« »Vergessen darf man auch nicht, dass die Regierung zwar beteuert hat, dass die Militärjustiz nicht für die Fälle der falsos positivos gelten soll. In der Realität gibt es aber schon Fälle, die der Militärjustiz überantwortet wurden«, so der Anwalt weiter.